Hessenschau-Interview Lilien-Präsident Fritsch: "Wir sind von der Hölle in den Himmel"
Abstieg, Trainerwechsel, Erfolgsserie - hinter dem SV Darmstadt 98 liegt ein ereignisreiches Jahr. Im ersten Teil des Jahresrückblicks-Interviews spricht Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch über den schweren Gang in die Zweitklassigkeit, den Rücktritt von Torsten Lieberknecht und wie er die Arbeit von Sportdirektor Paul Fernie einschätzt.
Ein ereignisreiches Jahr liegt hinter dem SV Darmstadt 98. Abstieg aus der Bundesliga, weitere sportliche Enttäuschungen, ein Trainerwechsel und der Aufschwung. Lilien-Präsident Rüdiger Fritsch blickt im ersten Teil des exklusiven Interviews zurück auf ein pickepackevolles Jahr.
Das Gespräch führte Stephan Reich.
hessenschau.de: Rüdiger Fritsch, Ihr Sportdirektor Paul Fernie sprach im hr Heimspiel davon, er habe "herausfordernde Zeiten" erlebt, seit er beim SV Darmstadt 98 ist. Wie herausfordernd war das Jahr 2024 für Sie?
Rüdiger Fritsch: 2024 war mal wieder ein Jahr, in dem die verschiedenen Welten des Fußballs sichtbar geworden sind, nämlich gute und schlechte Zeiten, Himmel und Hölle. Wobei es bei uns ja umgedreht war, wir sind von der "Hölle" in der ersten Jahreshälfte jetzt wieder einigermaßen im "Himmel". Das zeigt mal wieder, wie nah die Dinge im Sport zusammenliegen und dass man gut beraten ist, ruhig und seriös an die Dinge heranzugehen. Zumindest wir in der Führungsetage, die Fans dürfen natürlich anders reagieren.
hessenschau.de: Mit der Hölle meinen Sie den Abstieg aus der Bundesliga. Damals sagten Sie: "Das ist wie mit der 102-jährigen Oma, wo man weiß, irgendwann ist es so weit und dann ist es so weit. Dann ist man trotzdem sehr, sehr traurig." Trauern Sie noch um die Oma? Oder ist der Abstieg abgehakt?
Fritsch: Der ist abgehakt und muss auch abgehakt sein. Man darf nicht zu lange emotionalen Dingen nachhängen, weil einem das die Energie raubt für die Sachen, die anstehen. Für die Zukunft. Aber natürlich war es mit Torsten Lieberknecht ganz besonders und prägend, wir hatten zwei Top-Jahre mit viel Erfolg und viel Sympathie. Und dann eine Bundesligasaison, von der wir wussten, dass sie schwierig wird. Aber sie war dann doch schwieriger als schwierig. Die Saison hat uns auf allen Ebenen des Vereins viele Körner gekostet. Aber so ist es, nicht nur im Sport, sondern auch im Leben: Der Weg geht nicht immer nur bergauf.
hessenschau.de: Welche Körner meinen Sie?
Fritsch: Der Abstieg war für alle Beteiligten emotional belastend. Nicht nur für die Fans, die nach gefühlt 150 Niederlagen deprimiert aus dem Stadion gegangen sind. Sondern auch für uns in der Führungsebene und für die Spieler und Trainer sowieso. Das zehrt. Und wenn dann schlechte Stimmung aufkommt, muss man gucken, dass man diese Emotionen von den Dingen trennt, die zu analysieren sind. Denn das Ergebnis war natürlich nicht gut, aber es gehören viele Faktoren dazu. Zum Erfolg, aber auch zum Misserfolg. Es hängt weder an einzelnen Spielern, am einzelnen Trainer, am einzelnen Management, an einzelnen sonstigen Dingen. Es bedarf immer einer Rundum-Analyse.
hessenschau.de: Sie haben an Torsten Lieberknecht festgehalten, aber nach dem schwachen Zweitligastart trat er zurück. Das Ende einer besonderen Beziehung?
Fritsch: Das war so. Alle Menschen, die hier mit ihm zusammengearbeitet haben, haben das so gesagt. Wir haben die Bundesligasaison gemeinsam durchgestanden, und zwar auch mit den Fans und unserer gesamten Lilien-Familie, die genau verstanden hat, was wir hier mit Torsten Lieberknecht vorhatten, nämlich Kontinuität zu schaffen. Das hat mit dem schlechten Zweitligastart dann doch nicht funktioniert und es sind wieder die ominösen Gesetze des Fußball eingetreten. Vielleicht ist das eine grundsätzliche Erkenntnis: Dass Kontinuität im Fußball anders zu definieren ist. Zwei, drei Jahre sind schon eine riesige Kontinuität, auch wenn im normalen Leben ganz andere Zyklen gewohnt sind. Zum Schluss muss man aber auch Veränderungen im Sport zulassen. Weil der Sport davon lebt.
hessenschau.de: Hat Sie der Rücktritt mehr getroffen als bei anderen Trainern?
Fritsch: Es war eine intensive Beziehung mit Torsten. Aber auch mit den Trainern davor hatten wir ein gutes Verhältnis und sind in den meisten Fällen nicht im Schlechten auseinandergegangen. Man arbeitet sehr intensiv zusammen, da ist es nie schön, wenn es irgendwann vorbei ist.
hessenschau.de: Nach dem Abstieg gab es 17 Spieler ohne Vertrag, 13 neue Spieler wurden verpflichtet. Hatten Sie Sorge bei diesem Umbruch?
Fritsch: Nein, wir haben uns hier entwickelt und gute Leute geholt. Paul Fernie haben wir mit Vorlauf verpflichtet, er war ja schon in der Schlussphase der Bundesligasaison dabei. Aber nicht, um irgendetwas zu korrigieren, sondern in erster Linie, um den Neuaufbau vorzubereiten und dann umzusetzen. Und er hat ja auch noch Mitarbeiter, der Staff im sportlichen Bereich ist mittlerweile viel größer. Und wenn man Vertrauen in die Leute hat, die man engagiert hat, dann muss man auch Vertrauen in schwierigen Situationen haben. Und dass Verträge auslaufen, soll im Fußball schon mal vorgekommen sein. Es ist zwar jedes Jahr in der Öffentlichkeit ein Riesentheater, aber das kommt in jedem Verein vor, selbst in der Amateurliga. Die Zahl 17 hört sich natürlich auch toll an, damit kann man eine gute Überschriften produzieren ( grinst). Es waren ja auch nicht alles Stammspieler.
hessenschau.de: Wie bewerten Sie Paul Fernies Arbeit?
Fritsch: Er ist in ein schwieriges Fahrwasser gekommen, in dem das Schlauchboot Darmstadt 98 ziemlich durchgeschüttelt worden ist. Und in dieser Situation hat er die Führung übernommen, das Kapitänsamt in diesem Schlauchboot. Schwimmen lernt man ja auch oft erst, wenn man ins kalte Wasser geworfen wird. Das war direkt eine Challenge für ihn, die er gut gelöst hat. Er hat die herausfordernden Zeiten top gemeistert, jetzt sind wir froh, dass es wieder ruhigeres Fahrwasser gibt.
Im Teil zwei des Interviews, das ab dem 27. Dezember zu lesen ist, spricht Rüdiger Fritsch über den neuen Lilien-Coach Florian Kohfeldt und die Ziele für die laufende Saison.