
Immer wieder London Frankfurt zurück in der Stadt der großen Gefühle
Chelsea, Arsenal, West Ham und schon wieder Tottenham: Eintracht Frankfurt macht auf der Reise durch Europa zum fünften Mal in knapp sechs Jahren Station in London. Wie jedes Mal in der britischen Hauptstadt geht es um Historisches.
Es ist nicht wirklich so, dass Eintracht Frankfurt am Tag vor dem Europa-League-Viertelfinale bei Tottenham Hotspur (Donnerstag ab 21 Uhr im hr-iNFO-Audiostream) schon sichtbare Spuren in der Stadt hinterlassen hätte. Hin und wieder taucht in Londons Straßen zwar ein Aufkleber mit hessischer Herkunft auf, auch Fans sind hier und da zu erkennen oder zu hören. Von einer Invasion in Barcelona-Ausmaßen ist die Metropole jedoch weit entfernt. Die Eintracht ist für London eine Randnotiz.
Umgekehrt sieht die Beziehung zwischen der Weltstadt und dem aufstrebenden Club aus Frankfurt jedoch ganz anders aus. In keinen anderen Ort außerhalb Deutschlands ist die Eintracht in den vergangenen Jahren öfter gereist, mit keinem anderen Ort verbindet sie so viele und so unterschiedliche Erinnerungen. "Es kribbelt schon sehr, jetzt hier zu sein", sagte Trainer Dino Toppmöller am Mittwoch. Das Viertelfinal-Hinspiel bei den Spurs ist bereits die fünfte Partie auf Londoner Boden in den vergangenen sechs Jahren, Spektakel und große Gefühle gab es bis jetzt immer.
Es begann mit Hintis Tränen
Die Premiere der Frankfurter Festspiele auf britischen Fußball-Bühnen stieg im Mai 2019 an der Stamford Bridge. Die zahlreichen vergebenen Torchancen, der weinend vom Platz humpelnde Sebastian Rode und das Drama im Elfmeterschießen lösen in Hessen noch heute Phantomschmerzen aus. Das Foto vom untröstlichen und von den Fans geherzten Martin Hinteregger hat sich in die Eintracht-Seele eingebrannt. So grausam und gleichzeitig gefühlsduselig kann Fußball sein.
Das Halbfinal-Aus beim FC Chelsea, so schmerzhaft es war, hatte jedoch auch etwas Gutes: Es ließ die Gier der Eintracht auf Titel fast ins Unermessliche ansteigen und bildete so den Ausgangspunkt für die Erfolge in den kommenden Jahren.
Nicht wenige glauben, dass ohne diese dunkle Nacht von London der goldene Abend von Sevilla drei Jahre später nie möglich gewesen wäre. "Die Ursache für den Titel ist das Scheitern in den vergangenen Jahren. Bei Rückschlägen zeigt sich, ob du ein Großer bist", sagte Ex-Trainer Oliver Glasner nach dem Triumph in der Europa League 2022 gegen die Glasgow Rangers. Die Eintracht erlebte beim FC Chelsea eine ihrer bittersten Niederlagen und lernte so das Siegen. Das auslösende Moment der Frankfurter Heldenreise ereignete sich in London.

Während Chelseas Azpilicueta jubelt, versinken im Hintergrund die Frankfurter Profis in Trauer.
Historisches Halbfinale gegen West Ham
Es passt perfekt in die Dramaturgie, dass die Eintracht den vorletzten Schritt auf dem Weg zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte natürlich ebenfalls in London machte. Das Halbfinale 2022 fand wie drei Jahre zuvor in London statt, dieses Mal bei West Ham United, dieses Mal mit hessischem Happy End. Das Hinspiel in England entschieden die Hessen mit 2:1 für sich, nach dem 1:0-Sieg im Rückspiel brachen in Frankfurt alle Dämme. "Das sind unglaubliche Emotionen, das brennt sich für immer ein", sagte Coach Glasner damals. Kevin Trapp sprach von einem wahrgewordenen Traum. "Ich bin dankbar, das erleben zu dürfen."
Dass im London Stadium hr-Reporter auf der Tribüne von Hammers-Fans tätlich angriffen worden waren, sorgte für zusätzliche hessisch-britische Brisanz. Stinknormaler Fußball sieht anders aus.
Auch gegen Arsenal und Tottenham passierte viel
Komplettiert wird das historische Frankfurt-London-Quartett von den Duellen mit dem FC Arsenal in der Europa-League-Saison 2019/20 und dem erstmaligen Aufeinandertreffen mit Tottenham in der Champions-League-Gruppenphase 2022/23. Die insgesamt vier Partien konnten und können in Sachen Spannung zwar nicht ganz mithalten. Dass selbst diese beiden Vergleiche ihre eigenen Geschichten produzierten, passt aber ins Bild. Die Daichi-Kamada-Gala im Emirates Stadium oder der heldenhafte Harry-Kane-Schreck Makoto Hasebe sind im Frankfurter Gedächtnis noch immer sehr präsent. What happens in London, stays in memory.
Und nun folgt also der fünfte Anlauf. Die Eintracht, in der Bundesliga trotz des Ausrutschers in Bremen weiter auf Kurs in Richtung Königsklasse, trifft im Viertelfinale der Europa League auf kriselnde Spurs. Für die Hessen geht es darum, den Traum von einer erneuten Finalteilnahme am Leben zu erhalten und den Lieblings-Wettbewerb weiter mit voller Hingabe zu genießen. Für Tottenham, das mit insgesamt schon 16 Niederlagen eine historisch schlechte Premier-League-Saison spielt, geht es um die letzte Rettung. Die Ausgangslagen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Eintracht-Coach Toppmöller schob die Favoritenrolle auf der Pressekonferenz am Mittwoch zwar klar in Richtung Tottenham. Dass die Eintracht ins Halbfinale und dann wieder ins Endspiel will, ist aber auch klar. "Natürlich reden wir über diesen Traum", gab Ellyes Skhiri zu. "Wir brauchen jetzt erst einmal eine brutale Leistung, dann kann alles passieren." Die einen müssen unbedingt, die anderen wollen unbedingt. Große Gefühle sind da wieder einmal vorprogrammiert. So wie eben immer in London.