BR24 Sport Sechs Neulinge: Welches Risiko geht Nagelsmann für die EM ein?
Für die ersten Spiele im EM-Jahr sorgt Julian Nagelsmann für einen Paukenschlag: Sechs Neulinge hat der Bundestrainer nominiert. Zudem kehrt Toni Kroos in die Nationalmannschaft zurück. Wieviel Aussagekraft hat dieser Kader für die EM?
Auf dieses Aufgebot waren die Fußball-Fans gespannt. Schon Tage vorher sickerten die ersten Namen durch, die im Kader der Nationalmannschaft für die Länderspiele gegen Frankreich am 23. März und drei Tage gegen die Niederlande stehen werden - oder eben auch nicht. Spieler des VfB Stuttgart gratulierten ihren Kollegen zur Nominierung, Sportdirektoren bestätigten hie und da Namen im Vorfeld - "eine skurrile Situation", wie Bernd Schmelzer, Nationalmannschaftsreporter der ARD, findet.
Nagelsmann macht radikalen Schnitt
Exakt drei Monate vor dem EM-Eröffnungsspiel verändert Julian Nagelsmann das DFB-Team radikal: Ein Schritt, den der Bundestrainer nach den enttäuschenden Auftritten gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) auch machen musste: "Nach den letzten Spielen haben wir gesagt, dass wir definitiv Dinge ändern werden und müssen. Bei der EM geht es nicht darum, die 20 Talentiertesten von den bekanntesten Klubs zu haben, sondern die 20, die am besten zusammenpassen", sagte Nagelsmann auf einer Pressekonferenz am Donnerstag.
Elf Spieler von diesen Spielen sind nicht mehr dabei – unter anderem Mats Hummels. Der Weltmeister von 2014 fehlt ebenso wie Leon Goretzka vom FC Bayern. Zu Hummels äußerte sich Nagelsmann so: "Wir werden anders aufbauen als zuletzt. Im Aufbau haben wir einen Innenverteidiger weniger. Ich sehe Mats nicht als ideale Besetzung, was die Backup-Rolle angeht. Wenn wir ihn in der ersten Elf gesehen hätten, wäre das vielleicht etwas anders" - heißt im Klartext: Der Bundestrainer glaubt nicht, dass Hummels sich mit der Reserverolle zufriedengeben wird.
Müller im Kader - wegen "seiner unkonventionellen Art"
Das sieht auch Schmelzer so: "Er macht mehr Unruhe, wenn er nicht spielt, anders als etwa Thomas Müller." Das Bayern-Urgestein hat es wieder - für einige überraschend in den Kader geschafft. In München kam Müller zwischenzeitlich kaum mehr zu Startelf-Einsätzen und ist an die Ersatzbank mittlerweile gewöhnt, auch wenn er zuletzt wieder deutlich mehr Einsatzzeit bekommen hat. "Müller hat mit seiner unkonventionellen Art ein anderes Standing als Hummels. Hummels gilt als einer, der viel hinterfragt, Müller geht da einen anderen Weg", sagt Schmelzer.
Das DFB-Mittelfeld: Kein Goretzka, dafür Kroos und Pavlovic
Und was sind die Gründe für das Goretzka-Aus? "Die Goretzka-Entscheidung hat nichts mit Pavlovic zu tun", stellte der Bundestrainer gleich klar. Aleksandar Pavlovic, Shooting-Star des FC Bayern, ist einer von sechs Neulingen im DFB-Team. Schmelzer sieht in der Nichtnominierung eine klare Positionierung des Bundestrainers: "Die Mannschaft bekommt mit Robert Andrich und Pascal Groß eine neue Statik. Rückkehrer Toni Kroos soll dieses Team führen - auch hier sieht Nagelsmann Goretzka nicht als Backup, der zufrieden auf der Bank sitzt", so Schmelzer. Andererseits hat der Bundestrainer betont, dass für niemanden, der jetzt nicht dabei ist, "die Tür zu ist - auch nicht bei Leon".
Neben Toni Kroos kehrt auch Manuel Neuer zurück in die Nationalmannschaft. Ob der FC-Bayern-Keeper auch gleich wieder als Nummer eins im Tor steht, ließ Nagelsmann offen, will mit Neuer und André ter Stegen erst Gespräche führen und seine Ideen erläutern. Denn die Abwehr bekommt mit der Viererkette eine neue Statik.
Wie viel Aussagekraft hat Kader mit Blick auf die EM?
Und wie viel Aussagekraft hat dieser Kader in Bezug auf die Heim-EM? Schmelzer glaubt, dass mindestens 60 Prozent, wenn nicht sogar 80 Prozent der Spieler aus dem aktuellen Kader auch bei der EM dabei sein werden: "Eine große Rolle rückwärts wird es nicht geben. Er hat elf Spieler aus dem vergangenen Kader ausgetauscht plus zwei neue dazu genommen - er hat 13 Veränderungen vorgenommen. Da kann er nicht hergehen und sagen: 'ich habe es mir anders überlegt'", analysierte Schmelzer, der aber auch Chancen bei dem ein oder anderen Spieler sieht:
"Leroy Sané ist jetzt nicht dabei, weil er gesperrt ist, das ist eine andere Geschichte. Bei Serge Gnabry muss man nach der langen Verletzung gucken. Nagelsmann lässt sich alle Hintertüren offen, das ist klar, aber eine dramatische Veränderung im Vergleich zu diesem Kader wird es sicher mit Blick auf die Europameisterschaft nicht geben."
Frage der Woche: Kann dieses DFB-Team positiv überraschen
Endgültig entschieden ist noch nichts in Sachen EM-Kader, trotzdem setzt Bundestrainer Julian Nagelsmann, nach den zuletzt enttäuschen, Leistungen auf einen Umbruch in der Nationalmannschaft. Für die EM-Testspiele gegen Frankreich und die Niederlande bekommen noch einmal sechs neue Spieler ihre Chance im DFB-Kader.
Die Niederlagen im November gegen die Türkei und Österreich haben Spuren hinterlassen. Bereits frühzeitig hatte Nagelsmann angekündigt, jede Position im Kader mit einer Rolle zu versehen und die erfolgreichen Basketballer als Vorbild genannt. Nicht mehr Verdienste und in der Vergangenheit gezeigte Leistungen zählen, sondern das Momentum und die Akzeptanz der zugedachten Rolle. Mit Waldemar Anton, Maximilian Mittelstädt und Deniz Undav sind unter den sechs Neu-Nationalspielern gleich drei Spieler, die zurzeit mit dem VfB Stuttgart durchstarten.
„Wir werden eine klare Rollenverteilung haben“, sagte der Bundestrainer bei der Kaderbekanntgabe und setzt auf eine Mischung aus erfahrenen Kräften und jungen Herausforderern. Nur mit Topstars allein funktioniere kein Team, so Nagelsmann. Gerade die jungen Herausforderer hätten im Training oder wenn sie ins Spiel kommen, eine wichtige Rolle. Sie seien Stimmungsträger, und ein Stück weit, dankbar und demütig. Dieser neue Spirit, die Mischung aus.
Jugendlicher Begeisterung und erfahrener Abgeklärtheit soll jetzt also für die Trendwende sorgen. Kann diese Mannschaft positiv überraschen?
Im Video: Die Pressekonferenz mit Julian Nagelsmann in voller Länge
Quelle: BR24Sport 14.03.2024 - 14:00 Uhr