Tadej Pogacar
Tourreporter

Pogacar ist Topfavorit auf Gelb Fatalismus in Florenz

Stand: 28.06.2024 17:50 Uhr

Wer soll Tadej Pogacar stoppen? Diese Frage treibt das Peloton vor dem Start der Tour de France in Florenz um. Niemand, lautet die häufigste Antwort. Denn alles spricht für den Slowenen.

Von Michael Ostermann, Florenz

Noch liegt nicht einmal einer der insgesamt 3.498 Kilometer Strecke der Tour de France hinter den 176 Fahrern. Aber nun, da der Radsport-Tross zusammengekommen ist zum Grand Départ in Florenz, wo riesige gelbe Trikots unter Torbögen hängen und gelbe Fähnchen an den Häusern befestigt sind, macht sich schon so etwas wie Fatalismus breit. Man weiß ja schon, wie es diesmal ausgehen wird.

Selbst Konkurrenten halten Pogacar für unerreichbar

"Die Tour wird in drei bis vier Tagen vorbei sein", hat etwa Marc Madiot, der Chef der Équipe Groupama-FDJ, in der französischen Sportzeitung "L'Équipe" prophezeit. Was nicht heißt, dass das Rennen nicht bis Nizza kommen wird, wo die Tour in diesem Jahr wegen der Olympischen Spiele in Paris endet. Aber das Gelbe Trikot, das glaubt nicht nur der für seine markigen Worte bekannte Madiot, wird bereits früh vergeben sein - an Tadej Pogacar, den zweimaligen Toursieger und souveränen Gewinner des Giro d'Italia im Mai.

"Er wird bei dieser Tour de France unerreichbar sein", sagt selbst Remco Evenepoel, Sieger der Spanien-Rundfahrt 2022 und Weltmeister im Einzelzeitfahren. Dabei soll der Belgier ja eigentlich einer von Pogacars Konkurrenten sein - zumindest auf dem Papier. Die anderen beiden - noch höher bewerteten Mitfavoriten - Primoz Roglic und Jonas Vingegaard klingen nicht viel forscher. Roglic erklärt immerhin, man werde erst am Ende sehen, wie es ausgeht. Vingegaard, der Toursieger der beiden vergangenen Jahre, empfindet schon seine Anwesenheit in Florenz als einen Sieg.

Titelverteidiger Vingegaard ist mit dabei

Mittagsmagazin, 28.06.2024 13:26 Uhr

Ein Tag im April wird mitentscheidend

Mit dem Auftauchen des Dänen hatte man ja nicht unbedingt rechnen dürfen. Und wenn man irgendwann einmal die Geschichte dieser 111. Ausgabe der Tour de France erzählen will, wird man vermutlich am 4. April beginnen müssen. An diesem Tag waren Vingegaard, Roglic und Evenepoel in einen schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt verwickelt. Allen dreien geriet die Vorbereitung auf das wichtigste Radrennen mindestens durcheinander. Und damit auch die Aussicht auf einen Vierkampf ums Gelbe Trikot.

Vingegaard erwischte es am schlimmsten: Er verbrachte mit einer punktierten Lunge, gebrochenen Rippen und kaputtem Schlüsselbein ein paar Tage auf der Intensivstation. Erst im Mai nahm der Titelverteidiger das Training wieder auf. Wohl kaum einer rechnete damals damit, dass Vingegaard es überhaupt zum Grand Départ der Tour schaffen würde - nun ist er zumindest äußerlich fit nach Florenz gekommen.

Sportschau Tourfunk, 28.06.2024 13:23 Uhr

Vingegaard kämpft sich zurück

Hinter ihm liege "die schwierigste Zeit meiner Karriere", sagt Vingegaard. "Jeden zweiten Tag denkst du, du kannst es schaffen, jeden anderen Tag denkst du, du schaffst es nicht." Es sei das eine, wieder Rad fahren zu können, aber etwas ganz anderes, wieder richtig zu trainieren. "Es gab viele Verletzungen, die erst einmal heilen mussten." Er werde nun versuchen, das beste Ergebnis herauszufahren, das möglich sei. "Und natürlich hoffe ich auch, dass ich zumindest um den Sieg mitkämpfen kann."

Dafür wird es nicht nur auf seine körperliche Fitness ankommen, sondern auch darauf, wie gut er den Sturz mental verarbeitet hat. Vor allem in der traditionell immer sehr hektischen ersten Woche der Tour de France, in der alle Fahrer noch frisch zu Werke gehen und auch deswegen hohe Sturzgefahr herrscht. Vingegaard ist seit dem fatalen Sturz im Baskenland kein Rennen mehr gefahren. Und nun muss er gleich wieder mit dem besonderen Druck der Tour de France klarkommen.

Roglic und Evenepoel haben immerhin im Vorfeld der Tour beide die Dauphiné-Rundfahrt bestritten, die Roglic sogar gewinnen konnte. Evenepoel, der das Baskenland mit einem gebrochenen Schulterblatt verlassen hatte und operiert werden musste, legte dort einen überlegenen Sieg im Zeitfahren auf die Straße. Doch beide waren dort auch wieder in einen Massensturz verwickelt, bei denen sie zwar lediglich Schürfwunden und Prellungen erlitten, aber danach nochmals gegen Schmerzen ankämpfen mussten. Evenepoel verpasste am Wochenende vor dem Tourstart zudem die nationalen Meisterschaften in Belgien wegen einer leichten Erkrankung.

UAE-Team - das "Real Madrid des Radsports"

Zu all diesen Rückschlägen und Widrigkeiten kommt noch ein weiterer Faktor hinzu: die Stärke der Teams. Die um Roglic formierte Red Bull-Bora-hansgrohe-Mannschaft ist recht breit aufgestellt. Evenepoels Team Soudal-Quick Step reicht schon da nicht heran. Und Vingegaards Equipe Visma-Lease A Bike, in den vergangenen Jahren die Top-Mannschaft der Tour, hat zwar Wout van Aert wieder mit an Bord, der sich im Frühjahr ebenfalls das Schlüsselbein brach. Das Team muss aber auf die verletzten Helfer Steven Kruijswijk und Dylan van Baarle sowie den an Covid erkrankten Vuelta-Sieger Sepp Kuss verzichten.

Pogacar dagegen hat ein Team an seiner Seite, das Evenepoel "Real Madrid des Radsports" nennt und das selbst ohne ihn die Konkurrenz das Fürchten lehren könnte: Der Brite Adam Yates beendete die Tour im vergangenen Jahr als Dritter hinter Vingegaard und Pogacar. Der Portugiese Joao Almeida war 2023 Dritter des Giro d'Italia. Beide belegten im Juni die Ränge eins und zwei bei der Tour de Suisse. Dazu kommt noch der Spanier Juan Ayuso, der im vergangenen Jahr den dritten Platz auf dem Podium bei der Spanien-Rundfahrt besetzte. Im Flachen darf u.a. der Kölner Nils Politt, der schon Zweiter und Vierter beim Kopfsteinklassiker Paris-Roubaix war, Pogacar aus dem Wind halten.

Covid-Infektion zwischen Giro und Tour

Dementsprechend gelassen geht Pogacar in das Unternehmen Double. Er wäre erst der achte Fahrer in der Geschichte des Radsports, dem der Sieg bei Giro und der Tour in einer Saison gelänge. Der bislang letzte war Marco Pantani 1998 - mit verbotenen Beschleunigern im Blut. "Das ist eine große Herausforderung, aber ich liebe Herausforderungen im Radsport", sagte Pogacar am Donnerstag in Florenz. Die Frage wird sein, wie gut er die drei Wochen Giro weggesteckt hat, in denen er aber nie wirklich herausgefordert wurde.

Bestens, heißt es aus dem Pogacar-Lager. Die Woche nach dem Giro habe er sich daheim in Monaco ausgeruht, sich danach im Höhentrainingslager auf die Tour vorbereitet. Nur zur Beerdigung seines Großvaters sei er noch mal nach Slowenien gereist. Ganz nebenbei erwähnte Pogacar dann auch noch eine Covid-Infektion, die ihn zehn Tage vor der Teampräsentation ereilt habe. Es habe sich wie eine leichte Erkältung angefühlt und ihn nur einen Tag lahmgelegt, danach habe er schon wieder auf der Rolle trainiert. "Ich fühle mich gut", betonte Pogacar, um auch nicht den Hauch eines Zweifels zuzulassen.

Gut möglich also, dass der Slowene schon gleich auf den ersten Etappen testen will, wie weit seine Konkurrenten tatsächlich sind. Schon die erste Etappe von Florenz über den Apennin nach Rimini mit mehr als 3.600 Höhenmetern bietet sich dafür an. Die vierte Etappe führt dann von Italien zurück nach Frankreich und über den Galibier. Marc Madiot jedenfalls ist sicher, was passieren wird: "Er wird das Feld in Stücke reißen."