Pogacar, Vingegaard, Evenepoel Jede Sekunde zählt - vielleicht
Während Richard Carapaz in Superdévoluy seinen Sieg auf der 17. Etappe der Tour de France feiert, nehmen sich die drei Topfahrer des Gesamtklassements Sekunden ab. Für den Kampf um Gelb spielt das keine große Rolle, aber Tadej Pogacar feiert dennoch wieder einen kleinen Triumph.
Tadej Pogacar hatte noch die Gelegenheit, Fratzen zu schneiden auf dem Podium in Superdévoluy. Ist ja eh alles nur ein Spiel für ihn bei der Tour de France. Auch so eine Etappe wie die 17., hinein in die südlichen Alpen, mit drei Anstiegen auf den letzten 35 Kilometern.
Pogacar dehnt die Beine ein bisschen
Normalsterbliche Profis wie John Degenkolb und Simon Geschke stöhnten im Ziel, wie unglaublich hart dieser Tag gewesen war, weil es vor den Bergen im Finale fast 125 Kilometer gedauert hatte, bis das Rennen mit Ausreißern vorne und dem Feld dahinter einigermaßen struktriert war. Pogacar dagegen strahlte mit seinem Gelben Trikot um die Wette: Das ständige Gespringe und Gejage in den ersten zwei Rennstunden sei wie ein "Juniorenrennen" gewesen. "Und danach habe ich ein bisschen die Beine gedehnt", sagte er.
Diese "Dehnübung" war eine Attacke am Col du Noyer, dem vorletzten Anstieg des Tages, der niemand folgen konnte. Sein Hauptrivale Jonas Vingegaard kam ebensowenig mit wie der Dritte der Gesamtwertung Remco Evenepoel.
Tadej Pogacar attackiert während der 17. Etappe der Tour de France, dahinter Jonas Vingegaard
Es waren nur ein paar Sekunden Vorsprung, die Pogacar über den Gipfel mitnahm. Die beiden Konkurrenten konnten auf der Abfahrt aufschließen und Evenepoel fuhr dann seinerseits am nicht allzu steilen Schlussanstieg davon, was die beiden anderen aber nicht weiter zu jucken schien angesichts der Zeitabstände im Klassement. Der Belgier machte dadurch auch nur zwölf Sekunden auf Vingegaard gut. Pogacar setzte kurz vor dem Ziel auch noch einmal eine Attacke, die ihm zwei Sekunden gegenüber dem Dänen einbrachte. "Damit bin ich ganz happy", sagte Pogacar.
Evenepoel guckt eher nach hinten als nach vorne
Sein Vorsprung in der Gesamwertung beträgt nun also nicht mehr 3:09 Minuten, sondern 3:11 Minuten. Aber man weiß ja nie, wofür sie gut sind, diese Sekunden. Das gilt auch für Evenepoel, dem die zwölf Sekunden angesichts von immer noch 1:58 Minuten Rückstand auf Vingegaard und mehr als fünf Minuten auf Pogacar nicht allzuviel eingebracht haben. Aber darum war es ihm auch gar nicht so sehr gegangen. "Das ist positiv, aber nicht das Wichtigste", sagte Evenepoel über den Zeitgewinn auf die beiden Topfahrer. "Wichtiger ist jedoch, dass ich den dritten Platz und das Weiße Trikot gefestigt habe."
Fast acht Minuten trennen den Belgier vom Gesamtvierten Joao Almeida, einem Fahrer aus der Helferriege von Tadej Pogacar. In der Wertung des besten Jungprofis sind es mehr als acht Minuten auf den Gesamtsechsten Carlos Rodriguez vom Team Ineos, der vor der Tour als ernsthafter Kandidat für das Podium galt. Damit dürfte es nun allerdings endgültig vorbei sein.
Aber was nun war eigentlich der Sinn und Zweck von Pogacars "Dehnübungen" und dem Kampf um ein paar Sekunden? Pogacar selbst musste ja zugeben, dass er selbst nicht wisse, "warum ich es eigentlich versucht habe" mit einer Attacke am vorletzten Berg. Vermutlich, weil er eben nicht anders kann und erstaunlicherweise frischer wirkt, je länger das Rennen dauert.
Vingegaard: "Hatte vielleicht nicht meinen besten Tag"
Das ist eine Erklärung. Aber Radsport ist nicht nur eine Auseinanderssetzung auf der Straße, die mit Kraft und Ausdauer geführt wird. Radsport ist mindestens genauso sehr ein Psychospiel, bei dem man versucht, in den Kopf des Gegners zu kriechen, seine Schwächen zu erkennen und diese auszunutzen. Und in dieser Hinsicht war Vingegaard in Superdévoluy der Verlierer.
Es waren ja alle davon ausgegangen, dass der Däne, der wegen seines schweren Sturzes Anfang April bei der Baskenland-Rundfahrt nicht optimal vorbereitet zur Tour angereist war, in der dritten Woche der Rundfahrt seine Bestform erreichen würde. Danach sah es am Mittwoch allerdings nicht aus. "Ich hatte vielleicht nicht meinen besten Tag, aber wenn das mein schlechter Tag gewesen ist, bin ich zufrieden", sagte Vingegaard und bestand darauf, dass seine Form weiterhin besser werde.
Vingegaards Teamkollegen verhindern Schlimmeres
Dennoch mussten sie beim Team Visma-Lease A Bike vor dieser Etappe schon so eine Ahnung gehabt haben, wie der Tag enden könnte: In der hektischen Anfangsphase hatte Vingegaards Mannschaft immer wieder versucht, mit in die Attacken zu gehen und die Ausreißergruppe zu besetzen.
Tasächlich hatte der Däne dann später mit Wout van Aert, Christophe Laporte und Tiesj Benoot drei Fahrer vorne platziert, die ihm im Finale zur Seite stehen konnten, als Pogacar und Evenepoel versuchten, Schaden anzurichten. "Wenn Jonas keine Jungs vorne gehabt hätte, hätten Remco und ich vielleicht sogar mehr Druck auf ihn ausüben können", sagte Pogacar. "Dann wäre die Sache vielleicht anders ausgegangen."
So aber war es am Ende nur um ein paar Sekunden gegangen, die vermutlich keine allzu große Rolle spielen werden am Ende - zumindest nicht in Sachen Zeit. Nach der mittelschweren Etappe am Donnerstag stehen als Finale der Tour noch zwei extrem schwere Alpenetappen und ein Einzelzeitfahren von Monaco nach Nizza auf dem Plan. Da wird es dann eher wieder um Minuten gehen, anstatt um Sekunden.