Tour de France, 19. Etappe Pogacars Meisterstück in den Hochalpen
Tadej Pogacar hat einen Riesenschritt in Richtung Tour-Gesamtsieg gemacht. Auf der extrem schweren drittletzten Etappe deklassierte er die Konkurrenz.
Tadej Pogacar blickte ein letztes Mal zurück, dann riss der Radsport-Superstar im Gelben Trikot lächelnd beide Fäuste in die Luft und verbeugte sich vor dem Publikum. Mit einer Attacke für die Geschichtsbücher hat Pogacar der chancenlosen Konkurrenz eine weitere brutale Lehrstunde erteilt und steht dicht vor seinem dritten Gesamtsieg.
Pogacar, seit dem Tour-Start vor zweieinhalb Wochen im Dauer-Angriffsmodus, deklassierte in der Höhenluft der Alpen die demoralisierten Rivalen Jonas Vingegaard und Remco Evenepoel. Das erste Giro-Tour-Double seit Marco Pantani 1998 ist nach der denkwürdigen Machtdemonstration zum Greifen nah.
Vingegaard verliert 1:42 Minuten
Auf der brutalen 19. Etappe über drei Zweitausender triumphierte Pogacar am Freitag als Solist in Isola 2000, es war bereits sein vierter Tageserfolg bei der 111. Frankreich-Rundfahrt. "Ich bin sehr glücklich, dass ich heute super Beine hatte", sagte Pogacar.
Titelverteidiger Vingegaard und Evenepoel erreichten das Ziel mit 1:42 Minuten Rückstand. Pogacars Vorsprung in der Gesamtwertung auf Vingegaard liegt bei fast uneinholbaren 5:03 Minuten. "Das ist sehr wahrscheinlich das Ende, dieses Jahr mit Jonas die Tour zu gewinnen", sagte Grischa Niermann, Sportdirektor von Vingegaards Team Visma, der Sportschau.
Der Plan sei gewesen, Pogacar schon am vorletzten Berg anzugreifen. "Im Endeffekt muss Jonas natürlich selbst den Call machen und die Beine dazu haben. Und er hat deutlich gesagt, dass er nicht das Gefühl hat, eine Chance zu haben, Pogacar abzuhängen", sagte Niermann.
Girmay nicht mehr einholbar
Eine historische Entscheidung fiel auch im Kampf um das Grüne Trikot. Der dreifache Etappensieger Biniam Girmay wird seine herausragende Tour als Gewinner der Punktewertung abschließen, sollte er am Sonntag das Ziel in Nizza erreichen.
Der Sprinter aus Eritrea kann bei einem Vorsprung von 33 Punkten von seinem belgischen Verfolger Jasper Philipsen nicht mehr eingeholt werden und wird als erster afrikanischer Radprofi die "Große Schleife" in Grün beenden. Dabei sammelte Girmay am Freitag keine weiteren Zähler. Eine Fluchtgruppe machte die frühe Sprintwertung unter sich aus, im Hauptfeld kontrollierte Pogacars UAE-Team die Verfolgung.
Pogacar und seine starken Helfer
Pogacar konnte sich vor der entscheidenden Attacke neun Kilometer vor dem Ziel auf seine Helfer verlassen. An der Cime de la Bonette, dem brutalen 22,9 Kilometer langen zweiten Anstieg auf das 2.802 Meter hohe Dach der Tour, schuftete Pogacars deutscher Teamkollege Nils Politt mehr als die Hälfte des Weges an der Spitze. Bis zum Gipfel übernahmen die Kollegen, Pogacar und seine Rivalen hielten sich noch zurück.
Im finalen Anstieg nach Isola 2000 übernahm Pogacar die Initiative. Er trat an und flog förmlich davon. Der Vorsprung auf das Duo Vingegaard/Evenepoel wuchs stetig, die verbliebenen Ausreißer ließ Pogacar stehen. "Du schaffst es", funkte ihm die Sportliche Leitung ins Ohr. Pogacar schaffte es. Zwei Kilometer vor dem Ziel stellte er in Matteo Jorgenson den letzten Ausreißer und machte alles klar.
Pogacar will vorletzte Etappe genießen
Auf der vorletzten Etappe der diesjährigen Tour geht es am Samstag zwar noch einmal zur Sache, aber Pogacar macht einen derart überragenden Eindruck, dass er seine komfortable Führung wohl verteidigen kann - zumal er die Gegend gut kennt.
"Die Etappe werde ich genießen können, dort habe ich die meisten Trainingskilometer meiner Karriere verbracht", sagte Pogacar auch mit Blick auf seinen Vorsprung in der Gesamtwertung.
Eine letzte Bergankunft
Von Nizza auf Meereshöhe geht es los zu einer wilden Berg- und Talfahrt, auf der rund 4.600 Höhenmeter erklommen werden müssen. Vier lange, extrem schwere Anstiege müssen bezwungen werden, das Finale ist eine Bergankunft: Sie liegt auf dem fast 1.700 Meter hoch gelegenen Col de la Couillole und muss über 15,7 Kilometer bei einer durchschnittlichen Steigung von sieben Prozent erklettert werden.
Die Tour endet am Sonntag mit einem Einzel-Zeitfahren von Monaco nach Nizza.