Der Belgier Jasper Philipsen vom Team Alpecin-Deceuninck jubelt bei der Zieleinfahrt der 10. Etappe der Tour de France
Tourreporter

Philipsen gewinnt 10. Etappe Der Sprint bei der Tour de France als Puzzle

Stand: 09.07.2024 23:23 Uhr

Im vergangenen Jahr dominierte Jasper Philipsen die Sprints der Tour de France. Diesmal muss er für seinen ersten Sieg bis zur 10. Etappe warten. Erst dann passen alle Teile seines Puzzles zusammen.

Von Michael Ostermann, Saint-Amand-Montrond

Hätte Jasper Philipsen diesen Tipp doch nur schon vorher parat gehabt. "Das war sicher nicht die coolste Etappe, die man sich ansehen konnte", sagte der Sieger des 10. Teilstücks der Tour de France, eine Etappe, die - um es vorsichtig auszudrücken - recht ereignisarm war: keine Ausreißer, ein geschlossenes Feld, eine flache Strecke.

Weltmeisterliche Sprintvorbereitung

"Eine gute Gelegenheit, um vielleicht den Kopf auf das Sofa zu legen, ein bisschen zu schlafen und dann zum Sprint wieder aufzuwachen", sagte also Philipsen, leider erst im Zielort Saint-Amand-Montrand. Wenn man diesem Rat gefolgt und rechtzeitig aufgewacht wäre, hätte man sich vermutlich aber erstmal kneifen müssen, um sicher zu sein, dass man nicht von einer Sprintankunft aus dem Jahr 2023 träumt.

Denn man sah Matthieu van der Poel ein höllisches Tempo vorlegen, dahinter Philipsen, der dann kurz vor dem Ziel antrat und deutlich gewann. Sicher: Daran, dass van der Poel das Regenbogentrikot trug, hätte man das Jahr 2024 erkennen können. Aber sonst war alles wie im vergangenen Jahr, als Philipsen vier Etappensiege feierte und das Grüne Trikot des Punktbesten mitnahm.

"Zehn von zehn Punkten" gab der belgische Sprinter seinem Teamkollegen für dessen Sprintvorbereitung. "Wir haben exakt gemacht, was wir machen wollten", sagte Philipsen. "Den Weltmeister zu sehen, wie er dir den Sprint anfährt auf den letzten 200 Metern ist etwas Besonderes."

10. Etappe - die letzten drei Kilometer

Sportschau Tour de France, 09.07.2024 17:29 Uhr

"Beschissene erste Woche"

Diese Vorarbeit von van der Poel ist der Schlüssel für Philipsens Erfolge, die im vergangenen Jahr - so umstritten sie zum Teil auch waren, weil die Sprints des 26-Jährigen oft sehr rücksichtslos sind - stets so souverän wirkten. Und natürlich war das Team Alpecin-Deceuninck genau mit dieser Vorstellung zur Tour 2024 angereist, dass es diesmal wieder so sein würde.

Doch dann kamen in der ersten Tourwoche vier Sprints, bei denen die Konkurrenten vorne waren: Mark Cavendish, Dylan Groenewegen und zwei Mal Biniam Girmay. Das war nur schwer zu ertragen für Philipsen. "Wir hatten eine beschissene erste Woche", sagte er auf der Pressekonferenz des Siegers (im internationalen TV-Interview hatte er das zuvor weniger drastisch formuliert). "Es hat einfach nicht komplett funktioniert. Heute hat es leicht ausgesehen, das ist es aber nie."

"Nur eine Frage der Zeit"

Die Sprints im Radsport sind eine Mischung aus Kraft, Schnelligkeit, Teamarbeit, Glück, Intuition und Radbeherrschung. Aber der vielleicht entscheidendste Faktor ist Selbstvertrauen. Und Niederlagen lassen die Zweifel wachsen, nicht nur bei den Sprintern, sondern auch bei deren Teamkollegen, die sich abrackern, im Vertrauen darauf, dass der endschnelle Mann es dann schon richten wird.

Bei Alpecin-Deceuninck war diese Unsicherheit in der ersten Woche zu spüren, auch wenn das natürlich niemand offen sagte. Es habe keinen Grund gegeben, nicht zuversichtlich zu sein, behauptete der Manager des Teams, Philip Roodhooft, nachdem der ersehnte Sieg gelungen war. Dafür sei die Mannschaft zu gut aufgestellt. "Aber das Warten ist manchmal schwierig. Die Dinge richtig zu machen bedeutet auch, ruhig zu bleiben. Denn es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Puzzleteile alle ineinander passen."

Ackermann und Bauhaus fehlt ein Puzzleteil

An diesem Tag war das für seine Mannschaft der Fall. Genau wie für das Team Israel-Premier Tech und Pascal Ackermann, für andere dagegen nicht. "Ich glaube, heute hat man gemerkt, dass viele Fahrer kaputt sind. Es waren einige Züge nicht da, die sonst da waren", sagte Ackermann. "Wir waren alle da und von daher haben wir ein richtig gutes Positioning gehabt, ich war am richtigen Rad." Das war Phlipsens, aber dessen Antritt hatte er dann nichts entgegenzusetzen.

Der andere deutsche Sprinter im Feld, Phil Bauhaus, war dagegen schon auf dem letzten Kilometer auf sich alleine gestellt gewesen, weil sein Anfahrer Nikias Arndt und er sich im entscheidenden Moment aus den Augen verloren hatten, was sie am Teambus dann auch eifrig diskutierten. "Dadurch war ich ein bisschen zu weit hinten und mit dem Rückenwind bin ich dann geblieben, wo ich war", sagte Bauhaus nach dem Zwiegespräch.

Bauhaus' und Ackermanns Problem ist aber auch, dass ihnen für ihre Sprints ein Puzzleteil wie van der Poel fehlt. Ihr Puzzle bleibt dadurch möglicherweise unvollständig. Zuversichtlich sind beide trotzdem noch. Zwei bis drei Chancen wird es für die Sprinter noch geben.