Wiedergeburt beim Giro Schachmann misst sich wieder mit den Größten
Radprofi Maximilian Schachmann ist beim Giro d'Italia zu alter Stärke zurückgekehrt. Der gebürtige Berliner schnupperte bereits am Etappensieg. In der letzten Woche kommt ein Denkspiel auf ihn zu. Soll er seine gute Form und seine Cleverness zur Jagd auf den Tagessieg für sich und für das Team nutzen oder lieber alle Kräfte zur Verteidigung des Podiumsplatzes von Kapitän Daniel Martinez einsetzen?
Denn dieser Giro d’Italia ist eine Art Wiedergeburtsrennen für Maximilian Schachmann. Nach zwei bedrückenden Jahren mit vielen gesundheitlichen Rückschlägen misst er sich jetzt wieder munter mit den Größten seiner Zunft. Er schlug den Dominator Tadej Pogacar im Sprint, ist in Fluchtgruppen präsent und ist auch wichtig bei der Unterstützung des Kolumbianers Daniel Martinez im Gesamtklassement.
Bei Bora hansgrohe ist man glücklich, wieder auf ihn zählen zu können. "Max ist richtig gut. Er kann unser Game Changer sein, denn er hat Talent, er kann Rennen richtig lesen, und wenn man seine Kräfte gut managt, kann man viel erreichen", lobte ihn sein sportlicher Leiter Enrico Gasparotto gegenüber der Sportschau.
Schachmanns Stärken werden vielfältig eingesetzt
Für sein Team ist Schachmann - wieder - eine Art Wunderwaffe. Er kann seine individuelle Stärke im Kampf um den Etappensieg ausspielen. Deshalb ging er auch am Sonntag (19.05.2024), bei der Königsetappe des Giro über den Mortirolo nach Livigno, in die Fluchtgruppe des Tages. Von dort aus wurde er aber zurückgerufen.
"Heute ging es darum, Martinez zu unterstützen", teilte er der Sportschau als Begründung mit. Denn die Hilfe für den an dritter Stelle platzierten Kapitän Martinez ist der zweite große Aufgabenbereich für den einstigen deutschen Straßenmeister. Dazwischen gilt es abzuwägen.
Comeback dank ungestörter Vorbereitung
Schachmann ist natürlich froh, wieder eine solche Rolle spielen zu können. "Jetzt sieht man einfach, was gehen kann, wenn man gesund ist und einen vernünftigen Formaufbau hat", sagte er der Sportschau. Genau dieses Erlebnis, einen vernünftigen Formaufbau, frei von Verletzungen und Krankheiten, hatte Schachmann über zwei Jahre nicht gehabt. Erschöpfungssysndrome und Infektionen, Covid-Erkrankungen und Covid-Spätfolgen reihten sich wie eine Perlenkette des Unglücks aneinander.
Maximilian Schachmann
Schachmann konnte nicht zeigen, was er eigentlich kann: Bei Klassikermonumenten um den Sieg mitfahren, einwöchige Etappenrennen gewinnen wie etwa zweimal die Fernfahrt Paris - Nizza. Oder bei Grands Tours Etappensiege holen wie 2018 beim Giro, als ein Tagessieg in den Bergen seinen Durchbruch in die Weltspitze markierte.
Pogacar geschlagen, trotzdem Rosa knapp verpasst
Sechs Jahre später ist er wieder da. Zum Auftakt dieses Giro initiierte er 16 Kilometer vor dem Ziel eine Fluchtgruppe. Vor der weißen Linie rang er im Dreiersprint um den Etappensieg sogar Tadej Pogacar nieder. Schneller als die beiden war allerdings noch der Ecuadorianer Jhonatan Narvaez. Der durfte sich dann auch mit dem Rosa Trikot des Gesamtführenden schmücken.
Schachmann hatte das ganz große, das märchenhafte Comeback nur um ein paar Zentimeter verpasst. "Natürlich hätte ich auch gern Rosa", meinte er zur Sportschau. Gegenüber dem Ärger überwogen aber Freude und Stolz auf die eigene Leistung.
Schachmann: "Das war wie beim Aktienmarkt"
Denn Schachmann war nicht nur physisch wieder ganz vorn dabei. Er hatte mit seiner Cleverness und seinem Renninstinkt der Radsportwelt gleich am Anfang des Giro gezeigt, dass Pogacar auch zu schlagen ist. "Alle haben ja gedacht, dass das ein Tag für Pogacar ist. Das war ähnlich wie beim Aktienmarkt", sagte Schachmann, der zu Beginn seiner Profikarriere noch parallel Wirtschaftsingenieurwissenschaften studiert hatte.
"Ich habe gedacht, vielleicht stimmt das nicht", meinte er - und stellte sich gegen den Markt. "Gegen den gesamten Markt, gegen alle, gegen die gesamte Meinung", lachte der gebürtige Ostberliner.
Da spürte man auch wieder die Freude, die Schachmann am Radsport hat. Schnell fahren, clever fahren, auch mal was Ungewöhnliches probieren. Die Form jedenfalls stimmte. Das bestätigte Platz fünf im ersten Zeitfahren, herausgeholt mit nicht ganz 100 Prozent.
Keine Bestwerte mehr nach Sturz
Auf der neunten Etappe erhielt die schöne Comeback-Geschichte aber einen Knacks. Schachmann stürzte. Die Folgen spürt er noch jetzt, eine Woche danach. "Seit dem Sturz konnte ich bisher keine Bestwerte mehr abrufen", teilte er nach der 15. Etappe am Sonntag der Sportschau mit. Auch bei seinem Team beobachtet man den Rückschlag mit Sorge. "Wir müssen sehen, wie es geht, müssen flexibel und kreativ sein", blickte der sportliche Leiter Gasparotto auf die dritte Woche voraus.
Viel Verantwortung liegt jetzt auch in den Händen der Physiotherapeuten, damit Schachmann sein Potenzial als Game Changer für Attacken auf Tagessiege wie aufs Klassement auch abrufen kann. Dass sein Kapitän Martinez aus ähnlichem Holz geshnitzt ist, betonte Schachmann. "Wenn Dani eine Chance zum Angreifen sieht, wird er die auch nutzen", meinte er über den Kolumbianer. In der Vorbereitung eines solchen Angriffs könnte ein wiederhergestellter Max Schachmann eine Schlüsselrolle spielen.