Von der Nummer zwei zur Elfmeter-Heldin Die wundersame Olympia-Reise von DFB-Torfrau Ann-Katrin Berger
Lange wusste Ann-Katrin Berger nicht, ob sie die Olympischen Spiele auf der Bank oder im Tor verbringen würde. Dann sprach Trainer Horst Hrubesch ihr sein Vertrauen aus - und bescherte ihr so einen großen Auftritt beim Viertelfinalsieg gegen Kanada.
Am Ende war es natürlich Ann-Katrin Berger. Als wäre es das Natürlichste der Welt, stand Deutschlands Torhüterin im olympischen Viertelfinale gegen Kanada zum Elfmeter bereit – allerdings nicht auf ihrer Torlinie, sondern am Punkt. Nicht etwa, weil sie musste, sondern weil sie wollte. Sie hatte sich freiwillig gemeldet, übernahm als fünfte Schützin im Elfmeterschießen maximale Verantwortung.
Ein stoischer Blick, ein kurzer Anlauf, ein lässig platzierter Schuss flach neben den rechten Pfosten. Als der Ball über die Linie ins Tor rollte, jubelte Berger bereits. Sie war die deutsche Heldin beim dramatischen 4:1-Sieg im Viertelfinale gegen Kanada – obwohl vor zwei Wochen nicht einmal klar war, ob sie in Paris überhaupt auch nur eine Minute auf dem olympischen Rasen stehen würde.
Merle Frohms oder Ann-Katrin Berger?
Merle Frohms oder Ann-Katrin Berger? Die jahrelange Stammtorhüterin, Vize-Europameisterin mit 52 Länderspielen oder die 34-jährige Ersatzfrau mit erst zehn Länderspielen? Das war die Frage, die Bundestrainer Horst Hrubesch vor den olympischen Spielen in den Raum warf. Erst kurz vor dem Olympia-Auftaktspiel war klar, dass Hrubesch sich für Berger entschieden hatte.
Sie sei "eine gute Fußballerin" und eine "sicherer Torhüterin" sagte Hrubesch. "Ich habe gedacht, dass er mich verarschen will", sagte Berger selbst. Wollte er nicht. Auch, weil Berger sich zuvor angeboten hatte – mit guten Leistungen beim Gotham FC in New Jersey, aber auch mit viel Resilienz auf und abseits des Platzes.
Gleich zweimal wurde bei Berger in den vergangenen Jahren Schilddrüsenkrebs diagnostiziert, zum ersten Mal im Jahr 2017, dann 2022 zum zweiten Mal. Beide Male besiegte Berger die Krankheit, kehrte dann ins Tor zurück. Fünf Jahre lang spielte sie für den FC Chelsea in der englischen Super League, ehe sie im Frühjahr in die USA wechselte. International blieb Berger stets Ersatz – bis zu diesem Sommer.
Nationalmannschafts-Chance gut genutzt
In dem nutzt sie ihre erste echte Nationalmannschafts-Chance bislang bestens. In Paris überzeugte Berger bereits vor dem Elfmeterschießen gegen Kanada am Samstagabend. In den Gruppenspielen gegen Australien und die USA strahlte die Schwäbin Sicherheit aus, überzeugte allen voran bei hohen Bällen und auch in der Spieleröffnung. Einzig beim 4:1 im letzten Gruppenspiel gegen Sambia patzte sie wirklich.
"Natürlich" vertraue er Berger weiter, sagte Bundestrainer Hrubesch anschließend: "Es wäre ja traurig, wenn ich es nicht tun würde." Schließlich gebe Berger "der Mannschaft Sicherheit". So entsteht eine Wechselwirkung: Hrubeschs Vertrauen in Berger stärkt ihr Vertrauen in sich selbst. Und das beeindruckt durchaus: "Ich glaube, unter Druck arbeite ich besser als ohne Druck", sagte sie am Samstagabend.
Dass dies nicht einfach so daher gesagt war, hatte sie zuvor bewiesen: Schon im Spielverlauf inklusive Verlängerung hatte Berger einige durchaus gefährliche kanadische Chancen entschärft. Dann kam das Elfmeterschießen. Als erstes tauchte Berger nach rechts unten ab, parierte dort den zweiten kanadischen Elfmeter von Ashley Lawrence. Drei Minuten später hechtete sie nach links, hielt dort den dritten Elfer von Adriana Leon.
Das Vertrauen zurückgezahlt
Beim vierten Elfmeter hatte Horst Hrubesch an der Seitenlinie schon die Arme hochgerissen, als Berger den Ball erst hatte, er sich dann aber doch mit viel Spin noch über die Linie drehte. "Er hat mich zur Schnecke gemacht", sagte sie anschließend. "Wenn ich den schon hab, dann kann ich ihn auch festhalten", erklärte Hrubesch mit einem Lächeln.
Und überhaupt: Hätte Berger den Elfmeter gehalten, wäre ihr der letzte, wohl größte ihrer großen Momente verwehrt geblieben. So war sie es, die Deutschland ins Halbfinale gegen die USA (Dienstag, 18 Uhr) schoss. Mit vollstem Vertrauen in sich selbst, aber auch von ihrem Trainer. "Sonst hätten wir sie ja nicht schießen lassen", sagte der nach Spielende. Oder überhaupt erst spielen lassen.