Fußball-WM der Frauen England-Trainerin Wiegman: "Es wird wirklich groß"
Der Europameister setzt bei der Weltmeisterschaft auf die einzige Trainerin, die es bis ins Halbfinale geschafft hat. Der Respekt vor Sarina Wiegman ist weiter gewachsen.
Noch zwei Siege fehlen Sarina Wiegman zum ganz großen Coup: Weltmeister und Europameister mit Englands Fußballerinnen in Personalunion.
Bei der WM kann die Nationaltrainerin der Lionesses, eine der wenigen Frauen auf diesem Niveau, ihre ohnehin beeindruckende Karriere mit dem Titel krönen. "Es wird wirklich groß werden", sagt Wiegman vor dem Halbfinal-Kracher gegen den euphorisierten Mit-Gastgeber Australien. "Es wird wahrscheinlich größer sein, als ich es mir jetzt vorstellen kann."
Während ihre Kolleginnen wie Martina Voss-Tecklenburg und Pia Sundhage nach Vorrunden-Debakeln mit Deutschland und Brasilien längst wieder zu Hause sind, könnte Wiegman am 20. August in Sydney ihr viertes großes Finale als Cheftrainerin bestreiten: 2017 gewann sie mit den Niederlanden die Heim-EM, 2019 unterlag sie mit den Oranje-Frauen erst im WM-Endspiel den USA. 2022 - ein Jahr nach ihrem Wechsel auf die Insel - feierte England unter ihrer Regie den Triumph im EM-Finale von Wembley gegen Deutschland.
"Das Superhirn"
"Das Superhirn" nannte "The Independent" die 104-fache niederländische Nationalspielerin, gelernte Sportlehrerin und zweifache Mutter. Nur zwölf von 32 Teams bei der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland waren mit einer Frau auf dem Cheftrainerposten angereist. Wiegman hat es als einzige bis ins Halbfinale an diesem Mittwoch (12.00 Uhr MESZ/ARD) in Sydney geschafft.
Die dreifache "Welttrainerin des Jahres" ahnt natürlich, was die Engländerinnen da erwartet. In den 37 Länderspielen seit ihrem Amtsantritt hat Wiegman nur ein Spiel verloren - den Test vor vier Monaten gegen Australien (0:2). Und die Matildas schwimmen spätestens seit ihrem Viertelfinalsieg im Elfmeterschießen gegen Frankreich auf einer Welle der Begeisterung bei ihrer Heim-WM. "Wir wurden so herzlich empfangen und haben unsere Zeit hier in Australien wirklich genossen", sagt Wiegman. "Ich mag die Menschen hier sehr, aber das bedeutet nicht, dass es keine Rivalität gibt. Das werden wir am Mittwoch erleben."
Beim 2:1 zuletzt im Viertelfinale gegen Kolumbien hatten die Engländerinnen die laustarke südamerikanische Fangemeinde gegen sich. "Eine ähnliche Kulisse erwarten wir gegen Australien. Wir freuen uns wirklich darauf", sagt Wiegman. "Wir wissen, dass es ein Auswärtsspiel ist. Lasst uns versuchen, es als Inspiration zu nehmen."
Den Widerständen getrotzt
Ihr Team hat sich immer wieder gegen Widerstände durchgesetzt: EM-Torschützenkönigin Beth Mead und Kapitänin Leah Williamson fielen verletzt aus. In der Vorrunde zitterte sich England jeweils zu einem 1:0 gegen Haiti und Dänemark. Im Achtelfinale gegen Nigeria musste Stürmerin Lauren James mit Rot vom Platz und kann frühestens im Finale wieder auflaufen. Und das Elfmeterschießen gegen die Afrikanerinnen raubte Wiegman den letzten Nerv: "Ich weiß nur, dass ich zehn Jahre älter geworden bin."
Aber Englands Spielerinnen um Bayern-Profi Georgia Stanway vertrauen ihr. Während in Frankreich lange ein Machtkampf zwischen der strengen Corinne Diacre und ihrer Auswahl tobte, das im März zur Ablösung der Cheftrainerin führte, gilt Wiegman als umsichtige Fußballlehrerin. Sue Campbell, Direktorin beim englischen Fußball-Verband FA, erzählte einst, dass der Verband gewusst habe, er würde die taktisch beste Trainerin der Welt verpflichten. "Was wir nicht wussten, war, dass wir diesen außergewöhnlichen Menschen bekommen."
Das große Ganze im Blick
Wiegman hat auch immer das große Ganze im Blick. "Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Trainerinnen geben wird", sagt die Niederländerin, für die das alles "viel mehr als Fußball ist. Wir möchten gewinnen, aber durch den Fußball kann man kleine Veränderungen in der Gesellschaft erreichen, und das erhoffen wir uns".
Die beiden vergangenen WM-Titel eroberte übrigens eine Trainerin: Jill Ellis 2015 in Kanada und 2019 in Frankreich mit dem US-Team. Der Alltag in den Ländern der WM-Teilnehmer sieht trotz der rasanten Entwicklung der Sportart aber eher so aus wie in Deutschland: Theresa Merk vom SC Freiburg ist in der neuen Bundesliga-Saison die einzige Frau auf dem Cheftrainerposten.