André Böge hält eine Spritze in der Hand.

Ehemaliger Kraftsportler und Dealer "Ich habe mich selbst kastriert"

Stand: 31.03.2023 05:00 Uhr

Der Niedersachse André Böge verkaufte Dopingmittel und nahm sie auch selbst. Das hatte Konsequenzen, nicht nur für seine Kunden.

Von Wigbert Löer, Hajo Seppelt, Jörg Winterfeldt und Peter Wozny

Ob es denn irgendwann den Moment der Erkenntnis gegeben habe aufzuhören, fragt der Arzt in Hannover, als André Böge vor ihm sitzt. Böge war Dopingdealer, nahm die Mittel aber auch selbst, eineinhalb Jahrzehnte lang. Er begann, als er 18 Jahre alt war. Heute ist er 38.

"Ja", antwortet Böge. "Ich hatte den Zoll bei mir mit einer Hausdurchsuchung. Der hat alles mitgenommen. Und das hat mir dann so gesehen den Tritt verpasst, damit aufzuhören."

Eine Razzia, morgens früh um 6.30 Uhr, bei der die Ermittler des Zolls die 771-fache Menge an Dopingsubstanzen fanden, die Böge hätte besitzen dürfen. Dieser Tag, sagt Böge, habe alles geändert: kein Konsum der anabolen Steroide mehr, die einst aus einem schmächtigen Teenager einen Muskelmann gemacht hatten. Und auch kein Kauf der verbotenen Substanzen mehr.

Zuerst hob der Zoll ein Untergrundlabor aus

Der Zoll hatte seinen Kompagnon hochgenommen, der in Nordrhein-Westfalen ein Untergrundlabor betrieb. "Köche" werden solche Leute in der Szene genannt. Sie machen aus Wirkstoffen, die sie oft aus Fernost beziehen, bei sich zu Hause Substanzen für den Schwarzmarkt. Viele Bodybuilder gieren nach den Produkten, auch wenn sie zuweilen unter prekären hygienischen Bedingungen entstehen. Die Mittel sind preiswert und helfen, kurzfristig an Muskelmasse zuzulegen.

Flüssigkeit wird in einen Behälter gegossen.

Flüssigkeit wird in einen Behälter gegossen.

Böge war in das Geschäft mit dem Untergrundlabor eingebunden. Doch anders als der "Koch", der verurteilt wurde und ins Gefängnis musste, hatte er am Ende nur eine Geldstrafe zu zahlen.

Steroide, die sie "blaue Herzen" nannten

An seine ersten Testosteronspritzen kam André Böge über Bekannte im Fitnessstudio. Das künstlich hergestellte Sexualhormon ließ seine Muskeln wachsen. Bald nahm er auch das Steroid Metandienon, besser bekannt unter dem Markennamen Dianabol. "Dianas" oder "blaue Herzen" nannten man die Tabletten in seiner Doper-Clique.

Böge war Zeitsoldat bei der Bundeswehr, später arbeitete er für Wach- und Sicherheitsdienste. Das Geld, das er legal verdiente, reichte nicht aus, um seinen Konsum an Dopingmitteln zu finanzieren. Böges Lösung: Er besorgte die Mittel nicht mehr nur für sich selbst, sondern auch für andere, im Darknet etwa oder im Ausland, wo man in Apotheken mitunter leichter als in Deutschland an Medikamente kommt, die sich zum Doping missbrauchen lassen.

In guten Phasen bis zu 3.000 Euro Gewinn – pro Woche

Böge konnte liefern, das sprach sich herum, zuerst mal im Bekanntenkreis. Man empfahl ihn weiter, die Zahl seiner Kunden wuchs. Und die Gewinnmargen waren stattlich. Bald konnte Böge sich ein Leben auf größerem Fuß leisten. Urlaub war jetzt nicht nur einmal im Jahr drin. Vor der Tür parkte ein großes Auto.

Als er über einen anderen Dealer den Koch in Nordrhein-Westfalen kennenlernte, weitete sich das Geschäft noch einmal aus. Nun wurden die Mittel bundesweit verschickt, über Packstationen oder an Briefkästen mit falschem Namen. "In guten Phasen waren es in der Woche bis zu 3.000 Euro, nur an Gewinn, den ich hatte. Kann auch manchmal mehr gewesen sein", sagt er im Interview mit der ARD-Dopingredaktion, für die er in den vergangenen Wochen nicht mehr erreichbar war.

Wie er dann in den Fokus des Zolls geriet, weiß Böge nicht genau. Mit großer Wahrscheinlichkeit kamen die Ermittler über Dokumente auf Böge, die sie bei der Hausdurchsuchung des Kochs in Nordrhein-Westfalen gefunden hatten.

Die Auswirkung des künstlichen Testosterons: Minihoden

Als Verkäufer von Dopingmitteln ist Böge mit einem blauen Auge davongekommen. Als langjähriger Konsument trägt er bis heute schwer an seiner Vergangenheit. Das zeigt sich auch in der Arztpraxis in Hannover. Für Böges Schilddrüse gibt der Internist Entwarnung, nennt den Befund unauffällig. Als der Arzt die Untersuchung weitgehend abgeschlossen hat, nimmt er eine Kette zur Hand, an der verschieden große eierförmige Holzstücke aufgezogen sind – Hodenattrappen.

Geheimsache Doping: Dealer - Minihoden

Die Hodenattrappen zeigen den Größenunterschied durch den Drogenkonsum.

"Damit sie das auch vom Größenvergleich her sehen können, ihre beiden Hoden befinden sich größenmäßig etwa in diesem Bereich", sagt der Arzt und zeigt Böge einen der sehr kleinen Holzhoden. "Rechte Seite zwischen vier und fünf Milliliter, linke Seite sechs Milliliter. Und die Hoden sollten eigentlich in dem Bereich 15 bis 20 Milliliter oder sogar etwas darüber liegen." Böges Hoden sind also quasi auf ein Viertel der Normalgröße geschrumpft.

Das sei nun einfach die Auswirkung des Testosterons und anderer Substanzen, erklärt der Arzt dem Patienten Böge. Die Mittel hätten "dazu geführt, dass die Hoden nicht mehr gebraucht wurden und dementsprechend an Größe verlieren mussten". Böge reagiert trocken auf den Befund. "Ich habe mich so gesehen selbst kastriert", sagt er.

Wenn Sie Hinweise oder Anregungen zu Recherchen für unsere ARD-Reihe Geheimsache Doping haben, kontaktieren Sie uns bitte unter teamhajoseppelt@ard.de