ARD-Doku "Geheimsache Doping: Dealer" Europol: Neue Erkenntnisse über die Dopingmafia
Wie Europol aus dem niederländischen Den Haag die europäische Dopingjagd koordiniert und warum einzelne Länder überfordert sind.
Immer wenn die einzelnen EU-Länder bei grenzüberschreitender Kriminalität überfordert sind, schlägt die große Stunde von Europol. Aus Den Haag koordiniert die europäische Behörde gemeinsame Ermittlungen und Polizeieinsätze in den Mitgliedsländern. "Doping und der Handel mit Hormonen und leistungssteigernden Medikamenten ist von Natur aus ein grenzüberschreitendes Verbrechen", sagt der zuständige Europol-Chefermittler Sergio Tirrò, "und Europol zieht bei Ermittlungen im Hintergrund die Fäden wie der Regisseur eines Films."
In regelmäßigen Abständen orchestriert Europol länderübergreifende Operationen gegen Dopinghersteller und -händler. Fotos von beschlagnahmter Ware und Zahlen werden anschließend so stolz präsentiert wie Trophäen. Zuletzt kurz vor Weihnachten: Im Verlauf der Operation "Shield III" seien zwischen April und Oktober 2022 Dopingmittel im Wert von über 40 Millionen Euro beschlagnahmt worden, 349 Verdächtige verhaftet oder den Justizbehörden gemeldet, 59 Ermittlungen gegen Gruppen der Organisierten Kriminalität (OK) durchgeführt, 10 Untergrundlabore geschlossen und 89 Websites abgeschaltet worden.
Eine der OK-Gruppen tappte den Fahndern in Griechenland in die Falle. Die griechische Finanzpolizei hob zwei Labore aus, unter deren Kunden sich "Dutzende von Profisportlern" befunden hätten, meldete Europol. In den Laboren sei das über Moldawien und Bulgarien eingeschmuggelte Rohmaterial zu verschiedenen Produkten verarbeitet worden. Bei Bedarf kann Tirrò auch Fotos aus einer laufenden Ermittlung aus Ungarn zeigen: Dort war das Untergrundlabor in einem provisorischen Zelt. Zum Verhängnis wurde den Kriminellen die feine Nase der Nachbarschaft: Anrainer hatten sich bei der Polizei über den ständigen üblen Chemiegestank beschwert.
Trend zum Untergrundlabor
"Dies ist ein neuer Trend, den wir in den letzten Jahren in der EU festgestellt haben, denn in der Vergangenheit haben Kriminelle fertige Arzneimittel aus China, Indien und anderen Ländern importiert, aber wahrscheinlich haben sie erkannt, dass der Fahndungsdruck zu groß wurde", sagt der Italiener Tirrò. "Daher haben sie ihr kriminelles Verhalten von der Einfuhr von Arzneimitteln auf die Einfuhr oder den Schmuggel von Wirkstoffen verlagert, die dann in der EU auf illegale Weise verarbeitet werden. Es ist nämlich sehr einfach, eine illegale Fabrik zur Herstellung von Arzneimitteln zu errichten. Man braucht nur eine große Garage und ein geringes chemisches Fachwissen, und schon kann man seine eigenen gefälschten und natürlich gefährlichen Dopingmittel herstellen."
Ohne die geballte europäische Macht sieht der nationale Kampf gegen die Dopingmittelmafia oft trist aus. Wenn der Nordire John McLaughlin über seine Jagd nach dem dänischen Anabolika-Großhändler Jacob Sporon-Fiedler spricht, wird schnell klar, dass dieser große Ermittlungserfolg nicht zuletzt dem Zufall geschuldet ist. Der Nordire McLaughlin stand im Dienst der National Crime Agency, einer Art Bundeskriminalamt des Vereinigten Königreichs, als binnen weniger Tage mehrere Tonnen Steroide desselben Herstellers beschlagnahmt wurden: der Firma Alpha Pharma, die Sporon-Fiedler gehört und in Mumbai/Indien ansässig ist.
Ständige Überlastung der Strafverfolger
Dennoch, sagt McLaughlin, habe es einiger Überredungskünste gegenüber seinen Vorgesetzten bedurft und der Zusicherung, dass er nicht weiteres Personal zur Unterstützung benötige, bis er gegen den Großimporteur der verbotenen Tonnenware ermitteln durfte. "Es sind doch nur Steroide", sei ihm gesagt worden, erzählt McLaughlin, "nicht Heroin oder Kokain".
Der Nordire John McLaughlin steht im Dienst der National Crime Agency
Europol-Chefermittler Tirrò verweist auf eine Studie, die im Auftrag der Europäischen Kommission 2021 zum Thema gefertigt wurde: über den "Kampf gegen anabole Steroide und Wachstumshormon im Sport in der EU". In manchen Ländern der EU, heißt es da, sei der Konsum der Mittel bei Amateursportlern nicht einmal strafbar. "Einige Mitgliedstaaten", rügt die Studie beinahe höflich, "haben Potenzial, der Dopingbekämpfung mehr Priorität und Ressourcen einzuräumen."
Offenbar auch Deutschland, wo die Strafbarkeit des Imports, des Besitzes, der Anwendung und des Verkaufs klar im Anti-Doping-Gesetz geregelt ist. Im vertraulichen Gespräch klagen auch deutsche Staatsanwälte und Polizisten über mangelnde Ressourcen und ständige Überlastung. Auf der Prioritätenliste rangiert die Jagd nach den verbotenen Mitteln zum Körpertuning unter ferner liefen. Wenn nicht gerade Europol eine seiner großangelegten Operationen durchführt, wird in vielen Ländern Herstellern und Hintermännern kaum hinterher ermittelt - höchstens den Kunden und offenbar oft nur pro forma.
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