Deutscher Nachwuchsstar Shooter Grgić - Zwischen Genie und Leichtsinn
Elf Tore in einem WM-Spiel, ein knallharter Wurf: Gegen Tunesien zeigte Marko Grgić, wie wertvoll er für die deutsche Handballnationalmannschaft sein kann. Über einen 21-Jährigen mit Potenzial - und Luft nach oben.
Wenn Marko Grgić in Dänemark einen Ball statt durch die Halle über die Autobahn gefeuert hätte, wäre ein Bußgeld fällig gewesen. 130 km/h sind dort maximal erlaubt, der Rückraumspieler schaffte in dieser Saison bereits 134,2 km/h Höchstgeschwindigkeit. Kaum ein deutscher Spieler kann da mithalten. Der knallharte Wurf ist Grgić' Markenzeichen, ständig Vollgas zu geben auch - dazu gehört, dass er den richtigen Moment fürs Bremspedal auch mal verpasst.
In Eisenach sind die Fans das gewohnt. Ihr Go-to-Guy heißt Grgić, mit 21 Jahren führt er diese wilde Horde unumstritten an, hat sie auf zur Saisonhalbzeit auf Rang acht der Bundesliga geführt. Unter den Torschützen gibt es nur einen, der noch vor dem Rechtshänder liegt: Welthandballer und WM-Superstar Mathias Gidsel mit 132 Treffern. Dahinter folgen in der besten Handball-Liga der Welt: DHB-Kollege Renārs Uščins und Marko Grgić mit je 126 Saisontoren.
"Schön, auch mal Geschichte zu schreiben"
Am Samstag stellte Grgić sein Talent endgültig auch in der Nationalmannschaft unter Beweis: Elfmal war er gegen die komplett überforderten Tunesier erfolgreich, damit warf sich der Youngster an Handball-Legenden wie Erhard Wunderlich, Jo Deckarm oder Jochen Fraatz vorbei - auf Platz zwei der besten Torjäger in einem WM-Spiel.
Nur Uwe Gensheimer liegt in dieser Liste noch vor ihm (traf 2015 und 2017 je 13 Mal), das fand Grgić im Sportschau-Interview ziemlich cool: "Schön, wenn man mal auch mal Geschichte schreiben kann. Aber ich bin einfach froh, dass ich heute mal mein Spiel machen und ein bisschen werfen konnte."
"War bisher nicht mehr Anpruch"
Ein bisschen werfen, das hat der Sohn des früheren kroatischen Nationalspielers und Ex-Eisenachers Danijel Grgić in den ersten fünf Turnierspielen nicht allzu oft gedurft. 73 Minuten bekam der Rechtshänder insgesamt, diese Zeit versuchte er um jeden Preis zu nutzen, weshalb er aber manchmal verkrampfte, gute Wurfchancen ausließ oder haarsträubende Fehlpässe spielte. "Das war bisher nicht mein Anspruch", gestand er nach der Partie gegen Tschechien (29:22), "Ich muss wieder dahin kommen, mit mehr Spaß zu spielen und einfach lockerer auf dem Platz zu sein."
Gegen Tunesien schonte Gislason fast die komplette Erstbesetzung, neben den erkrankten Juri Knorr, Rune Dahmke und Lukas Stutzke sahen sich Johannes Golla, Julian Köster und Uščins das komplette Spiel von draußen an, im zweiten Durchgang auch noch Luca Witzke. Grgić nutzte seinen Spielraum zunächst überragend, lag nach sieben Würfen bei einer 100-Prozent-Quote. Erst bei seinem achten Versuch nach 35 Minuten und 25 Sekunden scheiterte er zum ersten Mal am tunesischen Keeper.
Sechs Ballverluste - "ein bisschen zu viel"
In der Folge gab es dann auch den anderen Grgić zu sehen. Er begann, mit Schiedsrichter-Entscheidungen zu hadern, zog auch mal viel zu überhastet aus zehn Metern ab und schraubte seine Quote an Ballverlusten auf sechs an nur einem Abend - das ist eher Kreis- als Weltklasse.
Grgić merkte das natürlich. In den letzten zehn Minuten war seine Körpersprache erstaunlich genervt, aber neben seiner Rückraum-Peitsche sind es auch gerade diese sichtbaren Emotionen, die die Fans mitreißen können. "Es waren ein paar Fehlerchen zu viel", gab er hinterher zu: "Aber insgesamt bin ich natürlich trotzdem glücklich."
Auch Gislason nahm Grgić die vielen Turnover hinterher nicht übel, sagte zur Sportschau: "Insgesamt hat es Marko wirklich sehr gut gemacht. Er sollte viel werfen, ich bin sehr zufrieden mit ihm."
Viertelfinale wird ein Gradmesser
Ob dieser Auftritt reicht, um am kommenden Mittwoch im Viertelfinale (voraussichtlich gegen Portugal) auch in Bestbesetzung endlich mehr Spielzeit zu bekommen? Wie sehr vertraut ihm Gislason, wenn das Spiel eng ist? "Ich habe mir auf jeden Fall mein eigenes Vertrauen wiedergeholt", sagte Grgić, der in 133 Minuten Spielzeit nun bei 20 Toren und 14 Ballverlusten steht.
Diese Zahlen zeugen vom Genie und Leichtsinn, sein Spiel hat etwas von Wildwest-Handball, aber genau solche Impulse wird das deutsche Spiel immer wieder benötigen. Um eines muss sich der Bundestrainer keine Gedanken machen, wenn er den 21-Jährigen auf die Platte schickt: Grgić wird Vollgas geben - und so hart werfen, wie er kann.