Deutschland mit 1:1 gegen die Schweiz Vom Favoriten zum Achtelfinalisten - aber mit Momentum
Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zeigt gegen die Schweiz einige Schwächen, hofft aber, dass sie der späte Ausgleich noch einige Wochen durch das Turnier tragen wird.
Dieser Moment, wenn die Stirn den Ball trifft, genau wie es das Gehirn befohlen hat, ist gerade für einen Mittelstürmer wunderbar. Noch ein bisschen besser wird es, wenn die Augen umgehend dem Gehirn melden: "Der ist drin." Jeder im Frankfurter Stadion, der einen halbwegs vernünftigen Blickwinkel hatte, erhielt diese Meldung am Sonntagabend (23.06.2024) gegen 23 Uhr.
Niclas Füllkrug hatte den perfekten Blickwinkel nach seinem perfekten Kopfball, die wiederum durch eine perfekte Flanke von David Raum ermöglicht worden war. Die Übungen außerhalb der regulären Trainingseinheiten, die beide machen, zahlten sich aus. Der Treffer bedeutete das 1:1 gegen die Schweiz und damit den Gruppensieg, und er sorgte für ein gutes Gefühl nach zähem Spiel. Der Jubel war bei Mannschaft und deutschen Fans ekstatisch.
"So etwas kann entscheidend sein"
"Es war wunderbar, dass wir nochmal alle zum Leben erweckt haben", sagte Raum, der wie Füllkrug eingewechselt worden war. Der Torschütze gab nach seinem 13. Treffer im 19. Länderspiel zu Protokoll: "Das war ein schönes Gefühl. So etwas kann entscheidend sein."
Ein Tor mit Signalwirkung. Das gab es schon häufiger, etwa bei der WM 2006, die gerne zum Vergleich herangezogen wird. Oliver Neuville traf damals spät im zweiten Gruppenspiel gegen Polen, der 1:0-Sieg trug die deutsche Mannschaft auf eine Welle, die bis in die Verlängerung des Halbfinales gegen Italien schwappte.
Der Effekt kann allerdings auch schnell verpuffen. Auf den Tag genau sechs Jahre vor Füllkrugs Kopfballtor schoss Toni Kroos die Auswahl des DFB mit einem späten Freistoßtreffer zum 2:1-Sieg gegen Schweden. Das sei die Wende, jetzt sei das Momentum auf der deutschen Seite, versicherten die Deutschen. Vier Tage später schieden sie erstmals bei einer WM nach der Vorrunde aus.
Nagelsmann zufrieden
Julian Nagelsmann zog die Möglichkeit eines Scheiterns gar nicht in Betracht. Im Interview mit der Sportschau sagte er: "Wenn du ein Drehbuch hättest schreiben können, dann ist mir das 1:1 heute lieber als ein klares 4:0 für die nächsten Wochen." Das Achtelfinale gegen den Zweiten der Gruppe C, der am Dienstagabend (25.06.2024) zwischen England, Dänemark, Slowenien und Serbien ermittelt wird, findet schon am Samstag, in weniger als einer Woche statt.
Bundestrainer Nagelsmann ist einer, der wenig Zweifel an seiner Mannschaft und auch seinem Tun aufkommen lässt. Auch nach dem Spiel gegen die Schweiz war er wieder sehr überzeugt. "Wir haben besser gespielt als gegen Ungarn", sagte er. Die Schweiz habe sich zwar gut vorbereitet, aber das hätte sich nicht ausgezahlt, weil seine Mannschaft anders gespielt habe, als der Gegner es erwartet habe. "Damit hatten sie brutale Probleme", so Nagelsmann, vor allem "die beiden Halbverteidiger", in dem Fall waren das Fabian Schär und Ricardo Rodríguez, die links und rechts des starken Manuel Akanji in der Dreierkette spielten. Es kam allerdings noch eine Einschränkung des Bundestrainers: "Wir haben aber leider nicht in die Tiefe gespielt."
Deutschland tut sich lange schwer
Brutale Probleme für den Gegner, wie sie Nagelsmann gesehen hatte, waren den angeblich zig Millionen Fußballlehrern ohne Lizenz verborgen geblieben. Die Torschüsse waren mit 19:4 zwar eindeutig zugunsten der deutschen Mannschaft verteilt, aber "die Schweizer hatten die besseren Chancen", wie Sportschau-Experte Bastian Schweinsteiger sagte, der auch "Probleme" gesehen hatte, allerdings für Nagelsmanns Mannschaft.
Die spielte zwar mit derselben Startelf wie auch bei den Siegen gegen Schottland und Ungarn, aber eben auch anders. Robert Andrich ließ sich bei Ballbesitz der Schweizer in die letzte Reihe zurückfallen, sodass eine Fünferkette entstand. In Ballbesitz rückte er dann ab und an nach vorne zu Toni Kroos, der viel zentraler spielte als sonst und weniger aus der Tiefe aufbaute.
Joshua Kimmich rückte häufiger von der rechten Abwehrseite in die Mitte ein, um Andrichs Fehlen im Mittelfeld auszugleichen. Die Effekte waren überschaubar, sie hinderten weder Granit Xhaka daran, im schweizerischen Spiel die Fäden zu ziehen, noch gab es in der Offensive entscheidende Impulse. Deutschland hatte Schwierigkeiten mit der aggressiven Manndeckung des Gegners im Mittelfeld und sorgte kaum für Torgefahr, wenn der Ball, den Jamal Musiala häufig für sich behielt, mal ins letzte Drittel gelangt war.
Erst einige personelle Wechsel, eine Umstellung auf eine Formation mit zwei Angreifern und der Rückgriff auf ein von Nagelsmann eher wenig geschätztes Mittel brachten den Erfolg: Flanke, Kopfball, Tor. Meldung an Großhirn: Momentum.