Das DFB-Team in der Einzelkritik Die Verteidigungsmonster wackeln, Musiala unglücklich
Die DFB-Elf spielt gegen die Schweiz remis und darf sich bei Niclas Füllkrug bedanken. Die Leistung war insgesamt aber dürftig.
Die DFB-Elf schrammt beim 1:1 (0:1) am Sonntag (23.06.2024) gegen die Schweiz an der ersten Niederlage vorbei und darf sich bei Retter Niclas Füllkrug bedanken. Insgesamt war die Leistung aber eher dürftig. Die Einzelkritik.
Manuel Neuer
Zu Beginn der Partie hatte der deutsche Nationalkeeper einmal Probleme mit dem Rasen, sonst war er weitgehend beschäftigungs- und beim Gegentreffer machtlos. Szenen, um sich auszuzeichnen, hatte Neuer bis zu einem Schuss von Granit Xhaka in der 88. Minute nicht. Diesen parierte er glänzend. Immerhin: Nach seinem 18. EM-Spiel ist er nun gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger deutscher EM-Rekordspieler.
Joshua Kimmich
Mit etwas Glück oder größeren Füßen hätte der Rechtsverteidiger das 1:0 der Schweizer verhindern können. Dass Kimmich den Ball bei seiner Abwehraktion unglücklich in die Füße von Fabian Rieder spitzelte, passte zum lange unglücklichen Abend der deutschen Elf. Nach vorne kam von Kimmich sehr wenig, hin und wieder fehlte ihm das Tempo. Kimmich kann und will mehr.
Antonio Rüdiger
Der bisher so souveräne Innenverteidiger von Real Madrid geriet gegen die Schweiz ein ums andere Mal in die Bredouille. Der flinke Dan Ndoye stellte Rüdiger immer wieder vor Probleme, vor dem Gegentreffer schob Rüdiger zudem viel zu spät raus und ließ Flankengeber Remo Freuler einfach gewähren. Der Abwehrchef, bislang absoluter Anker und Teil der neu entdeckten Verteidigungsmonster, erwischte in Frankfurt einen seiner schwächeren Tage.
Jonathan Tah (bis 61. Minute)
Auch Jonathan Tah hat in dieser Saison und bei diesem Turnier sicher schon überzeugendere Auftritte hingelegt. Der Leverkusener wirkte hin und wieder von der Wucht und Schnelligkeit von Breel Embolo und Ndoye überrascht. Beim Gegentreffer kam Tah genauso einen Schritt zu spät wie kurze Zeit später in einem Zweikampf mit Embolo. Folge: Tah sah die zweite Gelbe Karte und muss im Achtelfinale zuschauen. Nach einem weiteren Foul im zweiten Durchgang nahm Julian Nagelsmann Tah vom Platz und bewahrte ihn so vor einem möglichen Platzverweis. Ein gebrauchter Tag.
Maximilian Mittelstädt (bis 61.)
Der Stuttgarter Durchstarter dieser Saison wurde bereits nach wenigen Sekunden rüde von den Beinen geholt und bekam so direkt einen Vorgeschmack auf das, was da kommen sollte. Mittelstädt hatte deutlich mehr Arbeit in der Defensive, als er sich das wohl vorgestellt hatte und war dabei teilweise überfordert. Da zudem in der Offensive bis auf eine geglückte Kombination mit Florian Wirtz zu wenig kam, durfte sich nach rund einer Stunde David Raum auf links probieren.
Robert Andrich (bis 65.)
Hatte Pech, dass sein vermeintlicher Führungstreffer wegen eines Musiala-Fouls in der Entstehung vom VAR überprüft und dann zurückgenommen wurde (18.). Es wäre das erste Länderspieltor des Leverkuseners gewesen, der sich sonst vornehmlich um die Defensive kümmerte. Bei Ballbesitz der Schweizer ließ sich Andrich in die Innenverteidigung fallen und unterstützte so Tah und Rüdiger. Dass dadurch ein Mann als Abfangjäger in der Zentrale fehlte, fiel auf, ist aber nicht Andrichs Fehler. Da Bundestrainer Julian Nagelsmann in der Schlussphase mehr Risiko ging, durfte der deutsche Meister schon wieder nicht durchspielen.
Toni Kroos
Der Quarterback im deutschen Spiel war auch gegen die Schweiz der Dreh- und Angelpunkt. Kroos verteilte Bälle, organsierte seine Nebenleute und leitete immer wieder Angriffe ein. Allein: dieses Mal ohne durchschlagenden Erfolg. An Kroos, der standesgemäß weit mehr als 100 Ballkontakte hatte, lag es nicht, dass sich die DFB-Elf lange schwertat. An richtig guten Tagen wäre sein Schuss aus knapp 18 Metern (55.) aber nicht links neben, sondern im Tor gelandet.
Ilkay Gündogan
Der Boss in der deutschen Offensive legte nach seinem Gala-Auftritt gegen Ungarn auch gegen die Schweiz gut los und leitete einige Angriffe verheißungsvoll ein. Mit zunehmender Spieldauer tauchte Gündogan aber immer mehr unter und verpasste es zunächst, sein Team mitzureißen. Seine Spielverlagerung auf Raum leitete dann aber den Ausgleich mit ein.
Florian Wirtz (bis 76.)
Der erste der beiden Zauberlehrlinge im deutschen Team konnte sein Potenzial gegen die Schweiz nur sehr selten abrufen. Wirtz rieb sich auf und lief sich oft in der Schweizer Verteidigung fest. Sein Tempo, seine Technik und seine Explosivität bekamen die Zuschauer in Frankfurt nur sehr selten zu sehen. Dass er gemeinsam mit seinem kongenialen Partner trotz Rückstand ausgewechselt wurde, spricht Bände.
Jamal Musiala (bis 76.)
Der 21-Jährige wirkte übermotiviert und in einigen Szenen überhastet. Musialas Foul vor Andrichs vermeintlichem Treffer war genauso überflüssig und folgenreich wie sein Ballverlust vor dem Führungstor der Schweizer. Der Bayern-Youngster war an zwei entscheidenden Szenen direkt beteiligt, zweimal allerdings nicht mit positivem Einfluss. Nach vorne zudem zu oft mit dem Kopf durch Wand. Musiala kann das besser, viel besser.
Kai Havertz
Mal Mittelstürmer, mal Spielmacher, oft und viel unterwegs. Havertz probierte alles und hätte schon nach drei Minuten fast zur Führung eingeköpft. In weiteren Verlauf der Partie fehlten hier und da Durchsetzungsvermögen oder Fortune, kurz vor dem Ende touchierte ein Kopfball von Havertz die Latte. Alles in allem nicht so auffällig wie gegen Schottland oder Ungarn. Havertz hatte es gegen die massive schweizerische Deckung aber auch nicht leicht.
David Raum (ab 61.)
Der Leipziger sollte das Spiel über die linke Seite beleben und für mehr Gefahr über die Außen sorgen. Und genau das tat er in der Nachspielzeit dann tatsächlich auch: Raum bediente Füllkrug mit einer maßgeschneiderten Flanke aus dem Halbraum und war somit direkt am so wichtigen und frenetisch bejubelten Ausgleich beteiligt. Es gibt schlechtere Bewerbungen für mehr Spielzeit.
Nico Schlotterbeck (ab 61.)
Der BVB-Innenverteidiger ersetzte den Gelb-Rot-gefährdeten Tah und kam zu seinem Debüt bei dieser EM. Schlotterbeck fügte sich nahtlos ein und darf wiederkommen. Im Achtelfinale wird er wohl in der Startelf stehen.
Maximilian Beier (ab 66.)
Der Hoffenheimer Youngster kam etwas überraschend vor Niclas Füllkrug ins Spiel und durfte erstmals EM-Luft schnuppern. Beier hat das Talent, immer direkt im Spiel zu sein. Der 21-Jährige wirbelte, eine richtig große Aktion hatte er aber nicht.
Niclas Füllkrug (ab 76.)
Ganz im Gegensatz zu Niclas Füllkrug: Der Fan-Liebling tat in der Nachspielzeit genau das, was ein Mittelstürmer tun muss. Der Dortmunder stand genau richtig, setzte sich wuchtig durch und köpfte zum Ausgleich ein. Ein Hauch eines Oliver-Neuville-Momentes, der für dieses Turnier und die Euphorie noch sehr wichtig werden könnte.
Leroy Sané (ab 76.)
Der Bayern-Stürmer wurde zum dritten Mal eingewechselt, zum dritten Mal fiel er dabei aber nicht sonderlich auf. War am Ende des Tages dank Füllkrug aber auch nicht so wichtig.