Belgien-Trainer Domenico Tedesco

Hochdruck vor Duell mit Frankreich Tedescos Trick mit den Widerständen

Stand: 01.07.2024 13:00 Uhr

Vor dem Achtelfinale gegen Frankreich am Montagabend (29.06.2024) in Düsseldorf (18 Uhr, Live-Ticker bei sportschau.de) hat Belgiens Coach Domenico Tedesco wieder mal Widerstände gesucht, um sein Team daran wachsen zu lassen.

Am Vorabend des - gemessen an den Weltranglisten-Positionen, absoluten Top-Duells unter den besten 16 Teams Europas - musste Tedesco einmal kurz schlucken. Ein belgischer Journalist hatte ihn gefragt, ob ihm denn klar sei, dass sein bisheriges Wirken und die Bewertung von Belgiens Leistung bei dieser EURO allein vom Ausgang des Frankreich-Spiels abhängen würde.

"Habe erst ein einziges Spiel verloren"

Tedesco nahm sich etwas Zeit für die Antwort im Presseraum der Düsseldorfer Arena und blieb dann ausgesprochen höflich. Er hatte aber auch eine klare Botschaft für den Kollegen: "Wir sind hier, wir sind im Achtelfinale. Es geht absolut nicht um mich persönlich, aber ich habe erst ein einziges Spiel mit Belgien verloren. Und dass wir jetzt ein K.o.-Spiel haben, ist uns schon bewusst - das war aber nach der Slowakei-Niederlage anschließend gegen Rumänien und die Ukraine auch nicht anders."

Tedesco hat ja Recht. Vor der EM war seine Bilanz brillant, von 14 Spielen an der Seitenlinie der Belgier hatte er zehn gewonnen, vier gingen unentschieden aus. Doch die Stimmung rund um die "Roten Teufel" ist ziemlich schlecht. Es begann mit dem spielerisch armen 0:1 gegen die Slowaken. Das ordentliche 2:0 gegen Rumänien wäre dann gegen die Ukraine beinahe wertlos geworden, bei diesem 0:0 taumelte Belgien am Abgrund, schrammte hauchdünn am Vorrunden-Aus vorbei.

Courtois ausgemustert, das Team hinter sich versammelt

Anschließend hagelte es Pfiffe der eigenen Fans für einen extrem mutlosen und defensiv ausgerichteten Auftritt. Zeitungen wie "Het Laatste Nieuws" beschimpften Tedesco und sein Team als einen "Haufen von Angsthasen". Der Coach nahm all das auf - und nutzte es, so wie er es seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder getan hat.

Schon die Ausbootung oder den Rückzug - da gibt es sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen - von Weltklasse-Torhüter Thibaut Courtois im vergangenen Jahr war ein Vorfall, der Tedesco letztlich geholfen hat. Er hatte Romelu Lukaku die Kapitänsbinde anstelle des verletzten Kevin De Bruyne gegeben, was Courtois erzürnte, aber den Rest des Teams versammelte Tedesco durch seine klare Linie hinter sich.

Lukakus VAR-Pech, Laserpointer gegen De Bruyne, Fan-Pfiffe

Auch jetzt bei der EM in Deutschland gab es eine ganze Reihe von Widrigkeiten, aus denen der ehemalige Coach von Erzgebirge Aue, Schalke und Leipzig eine Wagenburg-Mentalität kreiert: Alle wollen uns was - uns macht das nur stärker. Da waren die drei aberkannten Tore durch Lukaku. Die Laserpointer gegen De Bruyne. Die Kritik von Leandro Trossards Vater Peter, der der Öffentlichkeit mitteilte, dieser Tedesco sei "kein guter Trainer für Belgien".

Belgiens Romelu Lukaku beim Spiel gegen die Slowakei

Belgiens Romelu Lukaku beim Spiel gegen die Slowakei

Dann die Pfiffe der eigenen Fans, worauf De Bruyne seinen Kollegen auf dem Rasen befahl, sich nicht vor der Kurve zu verabschieden, sondern kollektiv in die Kabine abzutanzen. Anschließend berichtete Tedesco auch noch ausführlich, wie nervig die Anreise zu diesem Spiel in Stuttgart gewesen war, weil die Polizei-Eskorte trotz freier Straßen mit "20 oder 25 Stundenkilometern durch die Stadt gefahren" sei und auch noch "vor jeder Roten Ampel gehalten" habe. "Unglaublich" sei das gewesen, er hätte die Ansprache nicht mehr in der gewünschten Länge halten können. Wer wollte, durfte für sich ergänzen: Und trotzdem hat es Belgien in die K.o.-Runde geschafft.

Tedesco zur Sportschau: "Wenig Lust zu jammern, aber..."

Die Polizei Stuttgart konterte die Beschwerde. Man habe frühzeitig darauf hingewiesen, dass 40 Minuten Anreisezeit zu knapp kalkuliert seien und 60 Minuten vorgeschlagen, was der belgische Verband abgelehnt habe. Die Sportschau fragte Tedesco nach seinen Konsequenzen aus diesem Vorfall in Bezug auf das Frankreich-Spiel und mit welcher Fan-Reaktion er nun rechnen würde. Der Coach: "Ich habe ja bekanntlich wenig Lust zu jammern. Aber diese Anreise war nicht gut und das wissen auch die Behörden. Wir haken das ab, genau wie die Sache mit den Fans. Sie bezahlen viel Geld für ihre Karten, natürlich dürfen sie auch jede Emotion zeigen und ausleben. Aber genauso dürfen wir auch unsere Enttäuschung darüber mitteilen."

Tedesco hat das alles natürlich auch mit seiner Mannschaft thematisiert und sie darauf eingeschworen, an den Pfiffen zu wachsen. Das erzählt Orel Mangala von Olympique Lyon, als ihn die Sportschau auf den Fan-Disput anspricht: "Ist doch total verständlich, dass alle frustriert waren. Wir haben in der Kabine darüber gesprochen, für uns ist alles ausgeräumt. Jetzt werden wir gegen Frankreich unser Herz zu 100 Prozent auf dem Platz lassen und die Fans werden zu 100 Prozent hinter uns stehen."

"Dann nehmen wir auch die Elfmeter"

Der Coach wirbt ebenfalls für einen Neustart der Beziehungen: "Es geht gegen Frankreich nur als Einheit, sowohl bei uns auf dem Platz als auch zwischen Fans und Mannschaft. Wir sind bereit für alles. Wir wollen es in 90 Minuten entscheiden, aber wenn es in die Elfmeter geht, dann nehmen wir auch die Elfmeter." Das wären dann eben noch ein paar Widerstände mehr, an denen Belgien wieder wachsen könnte.