EM-Eröffnungsspiel Schottlands Coach Clarke - der Anti-Nagelsmann
Schottland fordert im Eröffnungsspiel der Fußball-EM 2024 Deutschland heraus. Es ist eine Partie, in der Welten aufeinandertreffen. Das liegt auch an zwei grundverschiedenen Trainerpersönlichkeiten: Steve Clarke und Julian Nagelsmann.
Steve Clarke hat mit Schottland Geschichte geschrieben. Der 60-jährige Trainer hat die Nationalmannschaft nach 2020 erneut zur Europameisterschaft geführt. Zweimal hintereinander - zur vierten EM-Teilnahme überhaupt in der langen Historie des Verbands.
Am Abend bestreitet Clarkes Mannschaft das Eröffnungsspiel der EM 2024 gegen Deutschland. "Viele Leute hier. Muss wohl ein wichtiges Spiel sein", sagte Clarke mit seinem trockenen Humor, als er auf die Bühne im Presseraum der Fußball Arena München kam. In dem Stadion, in dem er einen Tag später dem dreimaligen Europameister Deutschland den Auftakt zur Heim-EM verderben möchte.
Schottlands Traum: Die Vorrunde überstehen
Deutschland will die EM gewinnen. Schottland will zum ersten Mal in seiner Geschichte die Vorrunde überstehen. So unterschiedlich die Ausgangslagen bei dieser Europameisterschaft sind, so unterschiedlich sind die beiden Mannschaften generell.
Und das liegt nicht zu einem geringen Anteil daran, dass Clarke so etwas wie der Gegenentwurf zu Julian Nagelsmann ist. Der eine Coach hat eine Karriere im Eiltempo hingelegt: mit 28 Jahren Bundesliga-Trainer, mit 33 Jahren FC-Bayern-Trainer, mit 36 Jahren Bundestrainer.
Mourinho, Scolari, Benítez - Clarke war der ewige "Co"
Clarke ging einen anderen Weg. Als Spieler hatte er mit dem FC Chelsea den FA Cup und den Europapokal der Pokalsieger gewonnen. Nach seinem Karriereende machte ihn Ruud Gullit zu seinem Assistenten. Es war die erste einer ganzen Reihe schillernder Trainerpersönlichkeiten, unter denen er als Co-Trainer arbeitete, von Sir Bobby Robson, über José Mourinho bis hin zu Luiz Felipe Scolari, Kenny Dalgish und Rafael Benítez.
Gefragt nach einer Gemeinsamkeit in der Arbeitsweise dieser Trainerlegenden, die er nun als Cheftrainer auf seine Teams übertragen könne, antwortete Clarke schlicht: "Es geht ums Gewinnen" und fügte dann an: "Jeder ist anders. Ich versuche, einfach ich selbst zu sein. Das hat mich auf diesen Stuhl gebracht - und das ist gar nicht mal so schlecht, würde ich sagen."
14 Jahre Warten auf eine Cheftrainer-Stelle
Fast 14 Jahre dauerte es, bis Clarke seinen ersten Posten als Cheftrainer bekam. Einen Topverein trainierte er aber nie. Von West Brom ging es zum FC Reading, zum Kilmarnock F.C. und schließlich zur schottischen Nationalmannschaft.
Nagelsmann-Lob für Clarke: "Brillante Arbeit"
Dort hat er das Team umgekrempelt, einen neuen Stil etabliert, was auch dem Bundestrainer nicht entgangen ist: "Er hat viel von den großen Trainern gelernt. Er hat den schottischen Fußball transformiert", sagte Nagelsmann auf derselben Bühne in der Münchner Arena wenige Minuten nach Clarke über den Auftaktgegner: "Früher waren es lange Bälle und Kampf. Jetzt können sie auf dem Platz alles: in einer kompakten Formation verteidigen, kontern, pressen, Ballbesitz - und das ist der brillanten Arbeit meines Kollegen zu verdanken."
Doch diese Arbeit könnte nun zum Stolperstein für die großen Ambitionen von Nagelsmann werden. Denn so unterschiedlich die beiden Trainerkarrieren waren, so spielt auch das Team von Clarke einen Fußball, der wie das Gegengift für Nagelsmanns Plan auf dem Spielfeld wirkt.
Schottlands Spielweise ist Gift für die DFB-Elf
Kontrolliert der Gegner den Ball, zieht sich Schottland komplett zurück. Eine Fünferkette in der Verteidigung, davor eine engmaschige Viererkette, und beide Linien haben vor allen Dingen ein Ziel: Die Mitte des Spielfelds komplett zu verbarrikadieren, um bei einem Ballverlust des Gegners mit ihren pfeilschnellen Außenspielern zum Konterangriff zu jagen.
Es ist genau diese Spielweise, die dem DFB-Team in den vergangenen Turnieren und Testspielen immer wieder große Probleme bereitet hat.
Besonders der erfahrene Andrew Robertson vom FC Liverpool wird immer wieder versuchen, die Lücken in Deutschlands Restverteidigung durch seine Konter auszunutzen: "Wir müssen sie frustrieren und unseren Ballbesitz bestmöglich ausnutzen." Die Schotten-Taktik ist so einfach wie effizient, Robertson sieht das Spiel ähnlich pragmatisch wie sein Trainer.
Das EM-Eröffnungsspiel - ein besonderer Moment
Auch wenn die Herangehensweisen der beiden Mannschaften komplett unterschiedlich sind, das Ziel ist für beide das gleiche: Sie wollen dieses Auftaktspiel gewinnen. Und beide wissen, wie wichtig ein guter Start in die EM ist.
Als Nagelsmann nach der Bedeutung dieses Spiels gefragt wurde, begann der Bundestrainer einen Monolog über glänzende Augen seiner Spieler, über seinen Werdegang als Junge in einem 700-Einwohner-Dorf hin zum Nationaltrainer bei der Heim-EM, über diesen besonderen Moment im Leben der ihm und seinen Spielern bevorsteht, von dem Millionen von Menschen träumen.
Als Clarke gefragt wurde, ob er sich der Bedeutung dieses Spiels bewusst sei, antwortete er deutlich knapper: "Nein, aber so bin ich halt."