Deutschland-Gegner Schottland Scott McTominay - "Rolls-Royce" mit neuem Torhunger
Scott McTominay hat in der vergangenen Saison einen großen Wandel vollzogen. Der einstige Abräumer kann jetzt alles, vor allem Tore schießen. DFB-Gegner Schottland setzt auf seinen wertvollsten Spieler.
Sollten Sie vor der EM mit einer großen Portion Angeberwissen glänzen wollen, stellen Sie eine Frage, deren Antwort ziemlich sicher keiner sonst parat hat: Wer hat in der Qualifikation die zweitmeisten Tore nach Cristiano Ronaldo aus dem Spiel heraus erzielt? Sollte nun jemand den Namen Scott McTominay nennen, würden denjenigen vielleicht viele für verrückt erklären, wir würden aber sagen: Sie sind ein echter EM-Experte.
Effizienter als Lukaku, Kane und Mbappé
McTominay hat eigentlich so gar nichts von einem Torjäger. Er ist gelernter Sechser, einer der robusten Art, spielt außerdem bei Schottland, einer Nation, die nicht gerade bekannt dafür ist, Tore am Fließband zu produzieren. Das einstige "Kick and Rush" ist zwar gewichen, die ganz große Fußballkunst wird von den Schotten aber nie zu erwarten sein. Auch von McTominay nicht. Dafür aber eine Effizienz, die selbst Ronaldo nicht toppen kann.
Acht Torschüsse hat der 27-Jährige für seine sieben Treffer in der EM-Qualifikation benötigt, alle fielen aus dem Spiel. Ronaldo traf insgesamt zehnmal, Romelu Lukaku (14), Harry Kane (neun) und Kylian Mbappé (acht) schossen auch mehr Tore als McTominay, trafen aber auch mehrfach per Elfmeter. Dazu spielen sie alle für Topteams, hatten deutlich mehr Gelegenheiten als McTominay.
Spanien-Doppelpack als Glaubensstifter
Reiner Zufall? Mitnichten! Denn auch bei seinem Klub Manchester United ist der Mittelfeldspieler ganz plötzlich zu einem verlässlichen Torschützen geworden. Zehn Pflichtspieltreffer hat McTominay in der abgelaufenen Saison erzielt, seine bisherige Bestleistung waren sieben in einem Jahr. Alle 277 Minuten jubelte der Schotte bei den "Red Devils", in seiner zuvor effektivsten Spielzeit lag die Quote bei 421 Minuten.
Dass Schottland mit großem Selbstvertrauen in die EM und ins Auftaktspiel gegen Deutschland am Freitag (14.06.2024, 21 Uhr) geht, hat auch viel mit seinen Treffern zu tun. Vor allem mit seinen zwei Toren beim 2:0-Sieg gegen Spanien in der Qualifikation. Die lief insgesamt sehr reibungslos, dieser Erfolg war aber das klare Highlight. Und das Spiel, das dem Team den Glauben gibt, gegen jeden Gegner bestehen zu können. Egal, wie groß die Außenseiterrolle ist.
Nationaltrainer Clarke: "Er ist unser Rolls-Royce"
McTominay spielt dabei nicht nur wegen seiner Tore eine herausragende Rolle. Wie sehr er fehlt, wenn er nicht da ist, zeigte sich zum Beispiel bei den abschließenden Testspielen in Gibraltar (2:0) und gegen Finnland (2:2), die er wegen einer Prellung nicht bestritt. Schottlands Nationaltrainer Steve Clarke beruhigte beim Trainingsstart seines Teams im EM-Quartier in Garmisch-Partenkirchen allerdings: "Scott geht es gut. Er hat trainert, er wird fit sein, zu 100 Prozent. Er ist unser Rolls-Royce."
Schottlands "Rolls Royce" ist also bereit für die EM-Reise. Wie weit sie geht? Unklar. Klar jedoch ist, dass McTominay entscheidend für sie ist. Mit seinen Toren, vor allem aber auch mit seinem Auftreten. Er ist der unangefochtene Leader (neben Liverpools Andy Robertson), an ihm richten sich die anderen - international eher unerfahrenen - Spieler auf. Er gibt den Ton an, am Ball, mit seiner Körpersprache, aber auch mit klaren Botschaften.
Zwei Jahre pumpen für die Karriere
"Gib niemals auf", ist eine Marschroute von McTominay. "Man gibt niemals auf, egal, in welcher Lebenssituation man sich befindet. Wirf niemals das Handtuch." Warum man ihm das glaubt? Weil sein Karriereweg nicht geradeaus und beulenlos ablief. McTominay musste immer schon kämpfen, in jeder Saison aufs Neue. Seit seinen fußballerischen Anfängen.
Er ist mittlerweile ein 1,93 Meter großes Kraftpaket, legte aber als 1,68 Meter kleiner Schmächtling los. Entsprechend schaffte er es auch nie in die Jugendnationalmannschaften. Dann arbeitete McTominay zwei Jahre lang richtig hart im Fitnessstudio, holte sich körperlich und mental das Rüstzeug, um auf dem Platz zu bestehen. Seine Belastbarkeit gilt nach wie vor als eine seiner großen Stärken.
Oft umstritten, von seinen Trainern geliebt
Kein Wunder, denn McTominay ist einer dieser Spieler, die Kritik nahezu magisch anziehen. Vermutlich weil er kein Künstler am Ball ist, kein Sonnyboy, kein Star. Er ist ein Arbeiter, hält auch mal aus. Bei Manchester United wird er oft angefeindet, glänzt dann aber doch immer wieder im Schatten der vermeintlichen Superstars. Er ist ein Trainerspieler.
Nahezu all seine bisherigen Coaches waren oder sind Fans von McTominay. José Mourinho machte ihn in Manchester zum Profi, samt besonderer Geschichte. Am Ende der Saison 2017/18 wählte der Verein traditionell seinen Spieler des Jahres. Es wurde nicht McTominay, Mourinho trat aber eigenmächtig aufs Podium, rief seinen Frischling auf. Der Spieler bekam vom Startrainer einen spontan erfundenen Extra-Award, die Trophäe war ein Kerzenständer.
Mourinho bezeichnete McTominay stets als "besondere Persönlichkeit", dessen Nachfolger Ole Gunnar Solskjaer benutzte den freundlich gemeinten Begriff "menschliches Monster". Ralf Rangnick kündigte später an, dass McTominay der künftige Kapitän von Man United sei. Erik ten Hag, der zunächst auch eine gewisse Skepsis zu haben schien, bemerkte zuletzt auch, dass der Schotte "sein Leben" für den Verein gebe. Und nun ist "Rolls-Royce" McTominay das Lebenselixir der schottischen Nationalmannschaft.