Autor über türkischen Rechtsextremismus Demirals Wolfsgruß "ist eine absolute Vollkatastrophe"
Der Autor Burak Yilmaz recherchiert seit Jahren zu den "Grauen Wölfen". Dass ein Nationalspieler den Wolfsgruß zeigt, ist seiner Ansicht nach eine "Vollkatastrophe". Die rechtsextreme Bewegung habe es dadurch leichter, neue Anhänger zu rekrutieren.
Sportschau: Herr Yilmaz, welche Wirkung hat das Zeigen des Wolfsgrußes durch den türkischen Nationalspieler Merih Demiral?
Yilmaz: Der Wolfsgruß ist ein antidemokratisches, rechtsextremes Symbol. Dass es von einem Nationalspieler gezeigt wird, ist eine absolute Vollkatastrophe. Daraus spricht die pure Menschenverachtung. Demiral hat gesagt, dass er den Gruß bei Fans gesehen und zurückgegrüßt habe. Es ist schon ein riesiges Problem, wenn Fans den Gruß zeigen. Aber wenn es ein Spieler macht, entwickelt das eine Dynamik und bekommt eine Reichweite, die sehr problematisch ist.
Sportschau: Demiral sagte nach dem Spiel, er habe nur Stolz und Freude ausdrücken wollen - hat er den Gruß vielleicht unbedarft gezeigt?
Yilmaz: Nach dem Spiel hat er auch noch ein Bild von sich beim Zeigen des Grußes in sozialen Netzwerken verbreitet. Das zeigt, dass er ein politisches Statement setzen will und den Fußball dafür missbraucht. Demiral hat vor einigen Jahren bei mehreren Spielen andere Spieler motiviert, vor der Kurve zu salutieren. Als sich einige weigerten, hat er sie verbal attackiert.
Merih Demiral (Nummer 3) salutierte mit anderen Spielern mehrfach bei Spielen der türkischen Mannschaft.ac
Als "Graue Wölfe" werden Anhänger der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung bezeichnet. In Deutschland wird diese vom Verfassungsschutz beobachtet. Verboten ist die Organisation jedoch nicht, ebensowenig ihre Symbole. Die Voraussetzungen für ein Vereinsverbot sind hoch: Die Zwecke oder Tätigkeiten des Vereins müssten Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die "Grauen Wölfe" gelten als größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland. Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet ihr rund 12.000 Anhänger zu. In der Türkei ist die ultranationalistische Partei MHP ihre politische Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
"Das war leider ein richtig guter Tag für die 'Grauen Wölfe'"
Sportschau: Die UEFA hat Ermittlungen eingeleitet - wie sollte sie als europäischer Fußballverband reagieren?
Yilmaz: Die UEFA muss daraus Konsequenzen ziehen. Wenn das ungeahndet bliebe, wäre klar, was für leere Worthülsen die Kampagnen gegen Rassismus eigentlich sind.
Sportschau: Welche Konsequenzen hat der Vorfall gesellschaftlich?
Yilmaz: Das war leider ein richtig guter Tag für die "Grauen Wölfe", vor allem in Bezug auf die Rekrutierung neuer Anhänger. Jetzt können sie behaupten, dass sie keine kleine Basis sind, sondern sogar Anhänger in der Nationalmannschaft haben. Daraus ziehen sie Dominanz und Stärke. Mit jedem Sieg bekommen sie so mehr Anhänger. Und der rechte Mob in der türkischen Gemeinschaft fühlt sich dadurch ermächtigt, andere einzuschüchtern.
Burak Yilmaz recherchiert als Autor seit Jahren zu den Aktivitäten der "Grauen Wölfe". Der 36-Jährige ist in Duisburg geboren und lebt im Duisburger Stadtteil Obermarxloh. Er sieht sich durch seine Arbeit immer wieder Beleidigungen, Einschüchterungen und Drohungen ausgesetzt.
Sportschau: Was macht die "Grauen Wölfe" gefährlich?
Yilmaz: Es ist die größte rechtsextreme Bewegung in Deutschland, sie ist nationalistisch, rassistisch und gewalttätig. Das politische Programm der "Grauen Wölfe" sieht eine Türkei nur für Türken vor. Sie wollen eine homogenisierte Gesellschaft, in der Minderheiten verachtet werden. Man darf den aktuellen Kontext dabei nicht außer Acht lassen. Einen Tag vor dem Spiel hat ein rassistischer Mob in der Türkei syrische Geflüchtete gejagt und ihre Unterkünfte angezündet. Das Spiel in Leipzig fand außerdem am Jahrestag des Brandanschlags auf ein Hotel in der türkischen Stadt Sivas statt. Am 2. Juli 1993 gab es einen pogromartigen Angriff auf Menschen, die ein alevitisches Musikfestival besucht haben, 35 Menschen wurden getötet. Bei rassistischer Gewalt ist der Wolfsgruß als Symbol immer dabei.
"Ich würde in Deutschland definitiv für ein Verbot der 'Grauen Wölfe' plädieren"
Sportschau: Wie sprechen die "Grauen Wölfe" Menschen im Fußball an?
Yilmaz: Der Wolfsgruß war bei Feiern nach den Siegen der Mannschaft bei der EM praktisch in jeder größeren deutschen Stadt zu sehen. Die "Grauen Wölfe" nutzen den Fußball, um neue Anhänger zu finden. Im Umfeld der Spiele der Nationalmannschaft versuchen sie, ihre Symbole zu normalisieren. Merih Demiral hat mit dem Gruß bei seinem Torjubel maßgeblich dazu beigetragen.
Ein Mann zeigt den Wolfsgruß bei einem Autokorso nach dem Sieg der Türkei gegen Georgien.
Sportschau: Was bleibt davon nach der EM in Deutschland?
Yilmaz: Wenn die EM zu Ende ist, bleiben die neuen Beziehungen und Kontakte bestehen, die während des Turniers entstanden sind. Vor allem 12- bis 16-Jährige, das ist ein ganz sensibles Alter, kommen mit den "Grauen Wölfen" in Kontakt. Diese Jugendlichen bekommen vorgelebt, dass die Symbole der "Grauen Wölfe" etwas Normales sind und kein Rechtsextremismus.
Sportschau: Wie sollte die deutsche Politik reagieren?
Yilmaz: Die "Grauen Wölfe" haben bundesweite Strukturen, es ist ein ganzes Netzwerk. Teilweise arbeiten Behörden sogar mit Vereinen zusammen, die den "Grauen Wölfen" nahestehen. Wer etwas dagegen sagt, wird eingeschüchtert, die "Grauen Wölfe" bauen einen sozialen Druck auf. In Österreich ist der Wolfsgruß verboten, in Frankreich ist die ganze Organisation verboten. In Deutschland haben die "Grauen Wölfe" Narrenfreiheit. Wir sollten das Problem in Deutschland endlich angehen. Es braucht Aufklärungsarbeit, Sensibilisierung und Forschung. Ich würde definitiv für ein Verbot plädieren.