Datei Gewalttäter Sport Auch ausländische Fans werden zur EURO 2024 erfasst
Die Zahl der Einträge in der Datei "Gewalttäter Sport" ist so gering wie nie. Die Heim-EM wird allerdings zu einem Anstieg der Speicherungen führen, weil auch potenziell gewalttätige Fans aus dem Ausland erfasst werden.
"Es sind bislang keine Gefahrenhinweise im Kontext EURO 2024 durch andere Staaten übermittelt worden", teilte die Bundesregierung Mitte Mai auf eine Kleine Anfrage der CDS/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag mit. Dennoch wollen die deutschen Sicherheitsbehörden die Datei "Gewalttäter Sport" (DGS) nutzen, mit der die Polizei Informationen über Fußballanhänger sammelt. In der umstrittenen Datei sollen nun auch potenziell gewalttätige Fans aus dem Ausland gespeichert werden, die zur EURO 24 anreisen.
Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) in Duisburg, bei der die DGS verwaltet wird, schreibt dazu auf Anfrage: "Sofern die rechtlichen Voraussetzungen in den übersendenden Teilnehmerstaaten zur Übermittlung personenbezogener Daten potentieller Fußballstörer vorliegen, ist eine temporäre Nutzung dieser Störerdaten aus Anlass der UEFA EM 2024 in Deutschland durch die ZIS beabsichtigt."
Die Maßnahme stößt auf Kritik: Dass die DGS nun umfassend durch deutsche Behörden von Bund und Ländern im Rahmen der zahlreichen Maßnahmen zur Absicherung der EURO 2024 genutzt werde, sei "äußerst befremdlich und inakzeptabel", findet der sportpolitische Sprecher der Partei "Die Linke", André Hahn.
Speicherung innerhalb von 24 Stunden
Auch Hahn stellte der Bundesregierung eine Anfrage. In der Antwort bestätigte diese, dass die entsprechenden Daten innerhalb von 24 Stunden nach Übermittlung in die Datei eingepflegt werden sollen. "Das lässt befürchten, dass Bundes- und Landesbehörden Rechtsstaatlichkeit und Datenschutz in den kommenden Wochen mit Verweis auf ihre Sicherheitskonzepte nur noch als nachrangig betrachten", sagt Hahn.
Die Ampel-Regierung hatte sich in ihrer Koalitionsvereinbarung vorgenommen, die Datei "Gewalttäter Sport" mit Blick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz zu reformieren. Diese Reform ist zwar bislang ausgeblieben, führte in der Praxis aber dazu, dass die zuständigen Behörden die Kriterien für die Speicherung änderten. Ende 2022 waren mit knapp 5.500 Einträgen so wenig Fans wie noch nie in der Datei aufgeführt. Aktuell sind laut ZIS 5.644 Personen mit Stand vom 15. April 2024 erfasst.
Datenspeicherung im Ausland unklar
Wie Daten von mutmaßlichen Störern in den Teilnahmeländern der EURO 2024 von den dortigen Behörden erfasst werden, bleibt unklar und kann von deutschen Behörden auch nicht überprüft werden. Die Bundesregierung versichert jedoch, ausländische Behörden oder Institutionen hätten keinen direkten Zugriff auf die Datei "Gewalttäter Sport".
Der Dachverband der Fanhilfen kritisiert die geplante Speicherungspraxis während der EURO 2024, weil Fußballfans mit Terroristen gleichgesetzt würden: "Etwaige Bedrohungsszenarien, die jetzt im Vorfeld der EM formuliert werden, entsprechen so nicht unseren Beobachtungen", sagt deren Sprecher Oliver Wiebe.
Fanhilfen unterstützen an Spieltagen und darüber hinaus ehrenamtlich Fußballfans bei Konflikten mit der Polizei. "Eine Ausweitung der Datei mit ausländischen Fans lehnen wir als Fanhilfen grundweg ab", ergänzt Wiebe. Auch weil bisher nicht klar sei, was diese Speicherung für ausländische Anhänger letztendlich bedeutet.
Erste "Gefährderansprachen" der Polizei
Die deutschen Sicherheitsbehörden erwarten von den Daten einen operativen Nutzen für die Polizei in Bund und Ländern bei der Bekämpfung von "Fußballstörern". Wie ein solcher operativer Nutzen aussehen könnte, erleben aktuell erste Anhänger hierzulande, die mutmaßlich in der DGS erfasst sind.
Allein die Polizeidirektion Leipzig hat im Rahmen ihrer Vorbereitungen für die EURO 2024 über 200 sogenannter Gefährderanschreiben an Fußballfans verschickt. Auch an Anhänger, die bisher nur unter Tatverdacht stehen. Das sorgt für Kritik bei der lokalen Fanhilfe. Das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig hat schon angekündigt, in manchen Fällen dagegen klagen zu wollen. Damit solle laut eigener Aussage die Rechtswidrigkeit der Gefährderanschreiben festgestellt werden.
Das polizeiliche Vorgehen passt allerdings zur Ankündigung der Bundesregierung in der Antwort auf die Anfrage des Linken-Abgeordneten André Hahn, in der es wörtlich heißt: "Die Datei 'Gewalttäter Sport' ermöglicht der Polizei das Gewinnen von Anhaltspunkten für das sachgerechte und wirksame Treffen von Eingriffsmaßnahmen auch im Vorfeld, u. a. Gefährderansprachen (…)."
DGS kommt auch bei Grenzkontrollen zum Einsatz
Zur EURO 2024 wird die DGS von deutschen Behörden aber nicht nur mit Daten von Fans aus dem Ausland aufgefüllt, sondern auch zur Absicherung des Turniers genutzt. Dazu werden auch temporäre Grenzkontrollen gehören, bei denen laut Bundesregierung ebenfalls die DGS zum Einsatz kommt.
Allerdings müssen allein in England mehr als 1.500 gewaltbereite Anhänger ihren Pass für die Zeit der EM abgeben - als präventive Maßnahme gegen etwaige Gewalttäter. Sie können damit erst gar nicht in die EU bzw. nach Deutschland einreisen und fallen deshalb für eine Speicherung in der DGS von vornherein weg.