Zahl der erfassten Fans gesunken Datei "Gewalttäter Sport" auf Rekordtief
Die umstrittene Datensammlung "Gewalttäter Sport", mit der die Polizei Informationen über Fußballfans sammelt, ist deutlich geschrumpft. Die Behörden führen dies unter anderem auf die Spätfolgen der Corona-Pandemie zurück, für Kritiker ist der hohe öffentliche Druck die Ursache dafür.
Ende 2022 waren 5.416 Fußballfans in der umstrittenen Datei "Gewalttäter Sport" (DGS) aufgeführt - so wenig wie noch nie. Mittlerweile sind es mit 5.712 (Stand: 08.04.2023) zwar wieder etwas mehr Personen, aber in der Historie der Datei hat es bisher nie weniger als 6.000 gespeicherte Anhänger gegeben. Damit hat sich die Anzahl der erfassten Fans in der Datei "Gewalttäter Sport" in den letzten zehn Jahren mehr als halbiert.
Stand/Datum | Anzahl erfasster Fans |
---|---|
01.12.2014 | 12.400 |
01.12.2015 | 11.797 |
20.12.2016 | 10.894 |
13.12.2017 | 9.496 |
31.12.2018 | 9.500 |
31.12.2019 | 9018 |
31.12.2020 | 7.924 |
31.12.2021 | 7.183 |
31.12.2022 | 5.416 |
08.04.2023 | 5.712 |
Quelle: Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 35 – Drucksache 20/8008
Datensammlung schon immer umstritten
Seit Einführung der Datei im Jahr 1994 gibt es heftige Diskussionen um die DGS, da es keine rechtmäßige Verurteilung benötigt, um darin erfasst zu werden. Ein Anfangsverdacht reicht aus, damit die Polizei eine Person dort eintragen kann. Mitunter kann schon eine einfache Personalienfestellung im Umfeld von Fußballspielen der Grund für einen Eintrag sein.
Zudem werden von der Speicherung betroffene Fußballfans darüber nicht informiert, was vor allem Datenschützer regelmäßig kritisieren. Recherchen des WDR-Magazins Sport inside hatten aufgezeigt, dass mehr als ein Viertel der in der Datei "Gewalttäter Sport" erfassten Personen wegen dieser niederschwelligen Speicherungspraxis keine Gewalttäter sind.
Reform der Datei bisher nicht absehbar
Die Ampelregierung hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, "die Datei 'Gewalttäter Sport' in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz" zu reformieren. Doch zu mindestens bis zur Europameisterschaft 2024 in Deutschland wird die Datei weiter in ihrer jetzigen Form in Benutzung sein. Das hat eine kürzlich veröffentlichte Kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" im Bundestag ergeben.
Eine "kritische Überprüfung" der Speicherungspraxis hat schon stattgefunden, wie die Sportschau schon im August 2022 berichtet hatte. So sollten unter anderem Fans, die erstmals auffallen, nicht sofort in die Datei "Gewalttäter Sport" aufgenommen werden. Die für einen Neueintrag zuständige Polizeibehörde solle sich dafür mit den szenekundigen Beamten (SKBs) der jeweiligen Fanszene verbindlich absprechen, ob ein solcher Eintrag überhaupt sinnvoll sei, betonte Matthias Mendel vom Landespolizeipräsidium Niedersachsen damals: "Es geht hier um den Austausch zu den vorhandenen Informationen bei möglicherweise speicherungswürdigen Anlässen. Wir würden diese Person aus diesem oder jenem Grund in die DGS aufnehmen, wie seht ihr das?" Darüber hinaus solle mindestens einmal im Jahr überprüft werden, ob die Eintragung weiterhin gerechtfertigt sei.
In Bayern kaum noch "Gewalttäter Sport"
Auch in Bayern sind seit dem 1. Januar 2022 bis Mitte dieses Jahres knapp 200 Datensätze von Personen gelöscht worden. Dort hat sich die Anzahl der in der DGS gespeicherten Anhänger von knapp 1.200 im Jahr 2017 auf aktuell nur noch 287 ebenfalls extrem verringert. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration gibt auf Anfrage der Sportschau als Grund für die Löschungen einerseits regelmäßige Überprüfungen sowie die Spätfolgen der Corona-Geisterspiele an.
Selbst nach Beendigung dieser "Geisterspiele" und der schrittweisen Öffnung der Stadien unter besonderen Hygienevorschriften (deutlich begrenzte Zuschauerzahl, Maskenpflicht usw.) hätten bestimmte Fangruppen zeitweise den Stadionbesuch boykottiert: "Folglich ist in dieser Zeit die Zahl der Strafanzeigen im Sportkontext gesunken, weshalb auch die Erfassungszahlen in der Datei zurückging", erklärt das Ministerium.
Der sportpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag, Max Deisenhofer, hat den immensen Rückgang im Bundesland mit Hilfe einer Kleinen Anfrage herausgefunden. Er sieht vor allem die sensiblere Speicherungspraxis der Behörden als Hauptursache für diesen auffälligen Rückgang. Dieser sei "nicht unbedingt aus eigenem Antrieb" erfolgt, "sondern vielmehr auf den öffentlichen Druck hin und auch weil die Bundesregierung die DGS reformieren möchte."
Deisenhofer spricht sich vor diesem Hintergrund weiter für eine grundlegende Reform der Datei aus, vor allem müssten die darin gespeicherten Fans endlich von der Polizei aktiv informiert werden.