
Vor Nations-League-Duell gegen Deutschland Bondscoach Andries Jonker auf Abschiedstour
Andries Jonker will seine Erfahrungen im Frauenfußball nicht missen. Dennoch muss der Nationaltrainer der niederländischen Nationalelf im Sommer aufhören. Das Spiel in der Nations League gegen die DFB-Elf am Freitagabend wird also zum Auftakt seiner Abschiedstour als Bondscoach.
Es gibt nicht mehr viele Protagonisten aus dem deutschen Frauen-Nationalteam, die das Rat-Verlegh-Stadion in Breda noch kennen. Hier tief in der niederländischen Provinz Noord Brabant hat es schon mal ein wichtiges Länderspiel der DFB-Frauen gegeben.
Nämlich den EM-Auftakt 2017, als eine fade Nullnummer gegen Schweden für mehr Fragen als Antworten sorgte. Damalige Bundestrainerin: Steffi Jones. Deren Mission bei ihrem einzigen Turnier ging bekanntlich schief. Der achtfache Europameister scheiterte im Regen von Rotterdam im Viertelfinale gegen Dänemark. Wenige Tage später feierte gefühlt ganz Holland eine andere Fußballlehrerin: Sarina Wiegman, Erfolgsgarantin der Niederlande. Die Gastgeberinnen schnappten sich sensationell ihren ersten Titel im Frauenfußball.
Begegnungen bei den Auslosungen
Wenn sich jetzt zum Nations-League-Auftakt die Niederlande und Deutschland (Freitag 20.45 Uhr/live ARD) vor erwarteten 11.000 Fans in Breda begegnen, stehen zwei Männer an der Linie. Beim Gastgeber Andries Jonker, kein Unbekannter in Deutschland. Und bei den Gästen eben Christian Wück, noch ein Quereinsteiger, der erstmals im Frauenfußball arbeitet.
Der Bundestrainer erwartet einen Gegner, "der mit uns auf einem Level ist". Auch seinen Kollegen Jonker hat er schon kennengelernt. "Ich habe ihn jetzt zweimal getroffen bei den Auslosungen der UEFA", sagte Wück auf Sportschau-Nachfrage bei der Abschlusspressekonferenz. "Ich habe mich auch ein paar Mal mit ihm unterhalten."
Die Trennung hat den Bondscoach überrascht
Nur: Viele Begegnungen wird es in Zukunft nicht mehr geben. Wück hat erst im Herbst vergangenen Jahres angefangen, mit 51 Jahren ist der Mann auch noch jung genug, um möglicherweise bei den Frauen eine Ära zu prägen, wie es der gebürtige Unterfranke im Juniorenbereich mit dem WM- und EM-Titel bei der deutschen U17 getan hat.
Jonker hingegen ist auf Abschiedstour: Die Amtszeit des 62-Jährigen endet nach der EM in der Schweiz im kommenden Sommer (2. bis 27. Juli). Die Niederlande sind in der Hammergruppe mit Frankreich, England und Wales gelandet. Egal, wie es ausgeht: Danach ist Schluss für den Bondscoach.
Das gab der niederländische Verband (KNVB) vor knapp einem Monat bekannt. Nach einer Bewertung sei man zu dem Schluss gekommen, dass dann die Zeit für einen neuen Abschnitt komme, hieß es. Jonker machte keinen Hehl daraus, dass er gerne weitergearbeitet hätte. Ihn selbst habe der Entschluss durchaus "überrascht", gab er zu. Gleichwohl habe er sein Aus zu akzeptieren, "denn so funktioniert Fußball".
Unglückliches Aus bei der WM 2023
Jonker hatte die Oranje-Auswahl im August 2022 übernommen, bei der WM 2023 in Australien und Neuseeland das Viertelfinale erreicht, scheiterte jedoch etwas unglücklich mit 1:2 in der Verlängerung am späteren Weltmeister Spanien. Jonkers Team hatte in Wellington spät den Ausgleich erzwungen und dann durch Stürmerin Lineth Beerensteyn Chancen auf die Führung gehabt, ehe Shootingstar Salma Paralluelo für die Spanierinnen die Entscheidung besorgte.
Die heute für den VfL Wolfsburg spielende Beerenstyn sagte erst kürzlich zum Aus ihres Nationaltrainers: „Es kam nicht wirklich überraschend. Andries ist ein sehr guter Trainer, aber ich hatte schon den Eindruck, dass unser Verband etwas ändern möchte.“
Rückschlag in der Olympia-Qualifikation gegen die DFB-Auswahl
Jonker kam 2009 als Co-Trainer von Louis van Gaal zum FC Bayern, sprang für den entlassenen Chef kurzzeitig 2011 ein und ging 2012 als Trainer der zweiten Mannschaft, um dann beim VfL Wolfsburg von 2012 bis 2014 nochmals als Assistent zu arbeiten. 2017 machte ihn der Werksklub für 19 Spiele zum Cheftrainer, der den VfL mit seiner ruhigen Art in der Relegation gegen Eintracht Braunschweig vor dem Abstieg rettete.
Nach seinem Abschied im September 2017 beschloss er für sich, andere Prioritäten zu setzen. Erst 2019 heuerte er bei Telstar 1963 an, einem niederländischen Zweitligisten, wo "man kein großes Geld verdienten konnte, aber das war mir völlig egal, es hat großen Spaß gemacht." Der Heimatverband wollte ihn schon 2020 fürs Frauen-Nationalteam verpflichten, nachdem Jonker bereits Anfang der 90er Jahre für die niederländischen Ausbildungszentren zuständig war, an denen Jungs wie Mädchen gefördert wurden.
Mit der Erfolgstrainerin Wiegman ist Jonker seit langem befreundet, wobei Wiegman inzwischen fürs englische Nationalteam zuständig ist. Unter Jonker spielten die Niederländerinnen vor fast genau einem Jahr gegen das von Horst Hrubesch trainierte deutsche Team ums letzte Olympia-Ticket: Die "Oranje Leeuwinnen" rannten damals in Heerenveen vergeblich an und unterlagen gegen eine clevere DFB-Auswahl letztlich mit 0:2. Ein Rückschlag, der sicherlich für den Joberhalt nicht förderlich war.
Der Teamgedanke bei den Frauen ist ausgeprägter
Und doch bereut er seine Erfahrungen bei den Frauen mitnichten. Die Unterschiede benannte Jonker einmal in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Wenn Jungs oder Männer in eine Kabine kommen, ist immer klar: Sie selbst sind das Wichtigste. Ich will in diesem Verein spielen, ich will den Vertrag verlängern, ich will verkauft werden, ich will mehr Geld, ich will ein Auto - ich, ich, ich. Das ist nicht ihre Schuld, dazu werden sie in diesem Geschäft erzogen."
Bei den Frauen sei der Teamgedanke hingegen viel ausgeprägter. "Die Frauen kommen in die Kabine und stellen schon einmal ganz andere Fragen: Wie machen wir das? Was kann ich für die Mannschaft tun? Wie funktioniert das mit dem Umfeld, können wir so erfolgreich sein? Frauen sind viel mehr darauf ausgerichtet, gemeinsam zu arbeiten." Eine Zustandsbeschreibung, der auch Wück seine Zustimmung erteilt.
Bei den von Jonker benannten Unterschieden sei auf jeden Fall "ein bisschen was Wahres dran", sagte der Bundestrainer auf der digitalen Medienrunde aus dem deutschen Teamhotel in Tilburg, aber es gehe im Grunde immer ums Gewinnen, also darum, "eine Mannschaft so vorzubereiten, dass sie erfolgreich ist". Er habe daher in fußballerischer Hinsicht nicht so viele Unterschiede erkannt: „Es ist ein sehr angenehmes Arbeiten, deswegen gehe ich voller Vorfreude in die nächsten Wochen, Monate und Jahre." Bei seinem Gegenüber ist hingegen die Zeit sehr begrenzt.