Mbappe & Co. über Frankreich-Krawalle Zuerst Bürger, dann Fußballprofi
Kylian Mbappe und weitere französische Nationalspieler beziehen Position zu den Krawallen nach dem Tod des 17-jährigen Nahel Merzouk in Nanterre am Dienstag vergangener Woche.
Den Anfang machte Jules Koundé. Noch am Dienstagabend, als die erste Protestwelle nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Todes von Nahel durch Frankreichs Vorstädte tobte, meldete sich der Innenverteidiger des FC Barcelona und der französischen Nationalmannschaft zu Wort. "Ein 17-jähriger junger Mann wurde aus nächster Nähe von einem Polizisten erschossen, weil er sich einer Kontrolle verweigerte", schrieb Koundé auf Twitter. Er kritisierte auch die mediale Öffentlichkeit. "Als ob dieser neue Fehler der Polizei nicht schon genug wäre, machen die Dauernachrichtensender noch einen Riesenspaß daraus", kommentierte er düster.
Kritik an medialer Berichterstattung
Die Medien sah er getrieben von "Gruppen, die von der Realität abgekoppelt" seien. Sogenannte 'Journalisten' – er setzte die Berufsbezeichnung in Anführungsstriche - stellten Fragen "mit dem einzigen Ziel, die Wahrheit zu verdrehen, das Opfer zu kriminalisieren und mildernde Umstände zu finden". Koundé, vor vier Jahren bereits von Südfrankreich nach Spanien gezogen, sprach offensichtlich vielen Landsleuten aus dem Herzen, die im Tod von Nahel, einem Franzosen mit algerischen und marokkanischen Wurzeln, den erneuten Beweis für latenten Rassismus in der Polizei sahen und über die anfängliche Berichterstattung erzürnt waren.
Der französische Nationalspieler Jules Koundé
Den Tweet von Koundé, Sohn eines Mannes aus Benin und einer Französin, übernahm prompt Nationalmannschaftskollege Mike Maignan. "Magic Mike", wie er sich nennt, ist beim AC Mailand unter Vertrag und stammt aus dem französischen Überseegebiet Guayana. "Eine Kugel in den Kopf …. Es sind immer dieselben, bei denen Unrecht zum Tod führt", schrieb er .
Kylian Mbappé: "Ich leide an meinem Frankreich"
Am Mittwochmorgen, ziemlich genau 24 Stunden nach dem tödlichen Schuss, folgte Kylian Mbappé. Der wie das Opfer in einer Pariser Vorstadt aufgewachsene Sohn eines Fußballers aus Kamerun und einer franco-algerischen Handballerin äußerte zunächst seine Verzweiflung. "Ich leide an meinem Frankreich", schrieb er, und schickte ein blaues, ein weißes und drei rote gebrochene Herzen hinterher. Die Farben der Trikolore standen für das Land, für das er antritt, für das er Tore schießt, das er in ein WM-Finale führte und für das er mithalf, ein anderes WM-Finale zu gewinnen. Die gebrochenen Herzen sprachen ganz für sich. Mbappé nannte die Situation "inakzeptabel", was vieles meinen konnte. Und Nahel, im Original noch Naël geschrieben, weil das damals noch als Name des Opfers angenommen wurde, nannte er "einen kleinen Engel, der viel zu früh ging".
Offener Brief von Real Madrid-Star Aurélien Tchouameni
Wesentlich analytischer war am Mittwochabend Aurélien Tchouameni, zwei Jahre jünger noch als Mbappé und Koundé, vom Alter her also noch näher an Nahel. "Ich würde gern verstehen, warum seit Jahren junge Menschen bei ganz trivialen Polizeikontrollen sterben", schrieb der Sohn eines aus Kamerun stammenden Managers in der Pharmaziebranche und einer im Bildungswesen angestellten Mutter in einem offenen Brief auf Twitter. Tchouameni begrüßte das Video von der fatalen Verkehrskontrolle, weil damit nicht erneut ein Fall vertuscht werden könne. Wie sein Nationalmannschaftskollege Koundé kritisierte auch er die Medien als parteiisch und als Quellen des Hasses.
Real-Profi und französischer Nationalspieler Aurélien Tchouameni
Der defensive Mittelfeldspieler von Real Madrid erinnerte aber auch daran, dass "die überwiegende Mehrheit der Polizisten ihren Auftrag unter Achtung der Grundrechte und manchmal sehr schwierigen Bedingungen ausübt." Und er betonte, dass es wichtig ist, dass "das Vertrauen der Bürger in die Polizei wiederhergestellt wird, denn jedes Fehlen von Gerechtigkeit lässt Zweifel am Handeln der Ordnungskräfte aufkommen." Tchouameni beweist auch mit dieser Aussage ein gutes Gespür. Denn "Gerechtigkeit für Nahel" ist die Forderung, die man am häufigsten bei den Demonstrationen und Trauermärschen der vergangenen Tage sah.
Rassistisch geprägter Gegenwind
Die Fußballer, allesamt mit Migrationshintergrund, bekamen auch Gegenwind, auf Twitter, in den Medien, den Oberflächen und den Tiefen des Internets. Tchouameni etwa wurde vorgeworfen, sich nicht geäußert zu haben, als ein islamistisch motivierter Täter den Lehrer Samuel Paty im Jahre 2020 enthauptet hatte oder als bekannt wurde, dass eine Algerierin als Hauptschuldige am grausamen Foltermord an der erst 12-jährigen Lola im Oktober vergangenen Jahres verhaftet wurde. Die Anwürfe an ihn folgten dabei einem offen rassistischen Muster: Bei einem Mord an einem der "Deinen", äußerst du dich, wenn die "Deinen" einen oder eine von den "Unseren" töten, schweigst du, lautet diese Logik.
Soziale Verantwortung bei Mbappé
Mbappé kann man nicht einmal dies vorwerfen. Nach dem Mord an Paty erklärte er sich solidarisch mit Lehrern. "Lehrer sind wie unsere Trainer. Um zu lernen und zu gewinnen, müssen wir immer zusammen spielen, müssen einander zuhören, uns austauschen, einander helfen. Auf der Schule und auf dem Platz: Lasst uns vereint sein", rief er auf.
Das war regelrecht staatstragend. Und der Bildungsminister bedankte sich. Mbappé reagierte auch, als nur Wochen später der schwarze Musikproduzent Michel Zecler in Paris von Polizisten brutal zusammengeschlagen wurde. Während der Pandemie warb er für Impfungen gegen das Virus, zeigte, wie er selbst geimpft wurde, und nutzte seine Popularität, auch andere dazu zu bewegen.
Spezielle Beziehung: Mbappé – Staatspräsident Macron
Das alles ließ den Fußballer gerade für Politiker höchst attraktiv werden. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron suchte seine Nähe - je mehr seine Umfragewerte sanken, desto intensiver. Macron versprach sogar, sich dafür einzusetzen, dass Frankreichs bester Fußballer bei Paris St. Germain, dem von Katar finanzierten Großklub in der französischen Hauptstadt, bleiben möge. Auch jetzt gehen französische Medien davon aus, dass der Einfluss des präsidialen Apparats die individuelle Empörung und Verzweiflung der Nationalspieler in ein wohl abgewogenes öffentliches Statement verwandelte.
Statement des Fußball-Nationalteams
Ein Kommuniqué der Equipe de France erschien erst verfrüht – und wurde schnell zurückgezogen – auf dem Instagram-Account des noch bei Bayern München unter Vertrag stehenden Benjamin Pavard. Freitagabend wurde es dann offiziell von Kapitän Mbappé verbreitet. Darin äußerte die Nationalmannschaft ihren Schock über den "brutalen Mord". Sie zeigte Verständnis für die Wut auf der Straße, mahnte aber auch, Gewalt und Selbstzerstörung zu unterlassen und stattdessen den Weg von Dialog und Wiederaufbau einzuschlagen. Es liest sich wie ein sorgsam in alle Richtungen abgestimmtes Statement. Es ist aber bemerkenswert, weil sich hier eine ganze Equipe zu Wort meldet, eine Gemeinschaft von Athleten, die offenbar Angst hat, dass das Land und die Menschen, die sie auf dem Fußballplatz vertreten, einer Dynamik der Selbstzerstörung verfallen.
Am besten fasste diese neue Haltung Jules Koundé, der erste der Nationalspieler, der sich öffentlich zum Mord von Nanterre geäußert hatte, zusammen: "Man soll sich daran erinnern, dass wir Menschen und Bürger sind, lange, bevor wir Fußballer sind, und dass wir das Recht haben, uns auszudrücken." Die Fußballer machen sich angreifbar. Sie verlassen die Komfortzone, die Sportstars lange zugestand, sie auch verpflichtete, sich zu politischen Fragen nicht zu äußern. Die Profis erfüllen allerdings auch das, was sie vor jedem Länderspiel singen, wenn sie die Nationalhymne anstimmen, mit Leben. In der "Marseillaise" geht es um Gerechtigkeit, Freiheit und Einheit. Jetzt singen sie nicht nur Orchester-begleitet zu Ballspielen, sondern texten mit ganz eigener Stimme.