Arbeitsmigranten in Katar Die WM ist weg, die Ausbeutung bleibt
Shakir Ullah und Zafar Iqbal aus Pakistan hatten sich wie Zehntausende andere mit großen Hoffnungen Richtung Katar aufgemacht. Sie wollten im Rahmen der Fußball-WM 2022 arbeiten, angelockt mit einem Sechs-Monats-Vertrag als Sicherheitspersonal. Doch am Tag des WM-Finales folgte der Schock: Die private Sicherheitsfirma Stark Security Services, bei der sie eigentlich noch mehrere Monate unter Vertrag standen, kündigte ihnen frist- und entschädigungslos.
Das katarische Recht erlaubt zwar Arbeitgebern, Verträge vorzeitig kündigen, jedoch nur mit einem Vorlauf von mindestens einem Monat. Außerdem hatten viele der Arbeiter Schulden aufgenommen für Visa, Flüge und teure, teils illegale Vermittlungsgebühren.
Entsprechend fatal war nun der Ausfall mehrerer eingeplanter Monatsgehälter. "Sie sagten, es war die beste WM, aber am Ende haben wir alles verloren", zitiert die britische Zeitung "Guardian" einen betroffenen Kenianer namens Patrick.
Geld- und Haftstrafe für Protest-Organisatoren
Ullah, Iqbal und ein Mann aus Indien wollten sich wehren, organisierten einen friedlichen Protest. Etwa 200 ehemalige Stark-Mitarbeiter fuhren einen Monat nach dem WM-Finale zu einem Firmengebäude, um zu verhandeln. Doch sie wurden angeblich festgenommen und innerhalb von einer Woche ausgewiesen. Die drei Organisatoren traf es noch schlimmer: In einem geheimen Verfahren seien sie verurteilt worden, offenbar zu sechs Monaten Haft und einer Geldstrafe von 10.000 Katar-Riyals (2.550 Euro).
Die Angaben stammen von ehemaligen Stark-Mitarbeitern, die von der Menschen- und Arbeiterrechtsorganisation Equidem interviewt worden sind. Der "Guardian" verifizierte die Informationen und sprach ebenfalls mit mehreren Betroffenen.
"Die Definition einer schockierenden Ungerechtigkeit"
Warum die drei Organisatoren inhaftiert sind, ist unklar, der Staat liefert keine Informationen. "Wir haben keine Kenntnis davon, dass sie etwas Kriminelles getan hätten", sagte Equidem-Gründer und -Geschäftsführer Mustafa Quadri zur Sportschau. "Sie wurden dafür bestraft, dass sie in einer legitimen Arbeitsbeschwerde für ihre Kollegen gesprochen haben."
Die FIFA und Katar hätten mehrere Milliarden Dollar mit der WM verdient, die Spieler 440 Millionen Dollar Preisgeld, betont Quadri. Gleichzeitig werde Arbeitern ihr Lohn in Höhe von wenigen tausend Dollar pro Person verwehrt und die Organisatoren eines friedlichen Protestes würden bestraft. "Das ist für mich die Definition einer schockierenden Ungerechtigkeit", sagte Quadri.
Katar räumt Verstöße der Sicherheitsfirma ein
Die katarische Regierung ließ dem "Guardian" nur eine allgemeine Antwort übermitteln: "Katar verhaftet und deportiert keine Arbeitnehmer, weil sie versuchen, ihre Arbeitsstreitigkeiten zu lösen. Die Rechte aller Personen, die in Katar arbeiten, werden durch die faire und gerechte Anwendung eines ordnungsgemäßen Rechtsverfahrens gewahrt und geschützt." Allerdings räumte die Regierung ein, dass die Firma Stark Security Services nicht alle Arbeitsgesetze eingehalten habe und bestraft werde.
Den geprellten Arbeitern wird das nicht helfen. Viele sind desillusioniert zurück in ihrer Heimat, ohne Hoffnung auf angemessene Entschädigung. Viele leben aber auch weiterhin in Katar, weil sie für ihr Recht kämpfen wollten. Ohne gültigen Arbeitsvertrag ist ihr Aufenthalt illegal, einige sind obdachlos und überleben durch inoffizielle Jobs.
Katars Arbeitsminister als Präsident der ILO-Jahresversammlung?
Wie viele Menschen noch unter solchen Bedingungen in Katar leben, sei schwer zu sagen, sagt Quadri. "Aber ich würde von Tausenden Arbeitern ausgehen. Das System möchte Arbeiter in solch prekären Lagen haben, denn so gibt es weniger Forderungen nach Kompensationen und sozialer Absicherung."
Vor diesem Hintergrund kritisiert Quadri eine Entscheidung der internationalen Arbeitsorganisation der UNO (ILO). Die ILO will laut einem Bericht des "Guardian" den katarischen Arbeitsminister Ali bin Samikh al-Marri zum Präsidenten seiner Jahresversammlung in Genf (5. bis 15. Juni) machen. Al-Marri war zwar auch schon 2021 und 2022 Vize-Präsident der Versammlung, aber nun ruft sein geplanter Aufstieg deutliche Kritik hervor.
Europäischer Gewerkschaftsbund "tief besorgt" über Zustände in Katar
Auch der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) äußerte starke Bedenken, fürchtet wie der Europäische Gewerkschaftsbund EGB Rufschäden für die ILO. "Das würde der ILO und ihrer Rolle als Hüterin der internationalen Arbeitsnormen einen verheerenden Schlag versetzen", schreibt der EGB in einem Dringlichkeitserlass, der auf dem Mitgliederkongress Ende Mai in Berlin verfasst wurde und der Sportschau vorliegt.
Das Schreiben beinhaltet auch den Vorwurf, Katar nutze die nachlassende Aufmerksamkeit nach der WM aus, um Versprechungen zu brechen und die bisherigen Fortschritte bei den Arbeitnehmerrechten zu untergraben. "Nachforschungen von Journalisten zeigen, (…) dass sich für viele Arbeitnehmer wenig geändert hat." Der Gewerkschaftsbund sei zudem tief besorgt über die Situation der Rechte der Arbeiter nach der WM, heißt es in dem Brief.
Al-Marri und der EU-Korruptions-Skandal
Der EGB verweist auch auf die laufenden Ermittlungen wegen möglicher Einflussnahme von Katar auf EU-Politik. Im jüngsten Korruptionsskandal tauchte auch der Name Al-Marri auf. Er soll den Hauptverdächtigen Pier Antoni Panzeri, einen ehemaligen Europaabgeordneten aus Italien, in einem Hotel in Brüssel getroffen haben.
Die ILO war vor der WM mit wohlwollenden Aussagen zu Katars Fortschritten beim Arbeiterschutz aufgefallen, lieferte damit Argumente für den Fußball-Weltverband FIFA und die Verantwortlichen aus Katar. Nun veröffentlichte der "Guardian" Vorwürfe eines ehemaligen ILO-Beamten, der anonym bleiben wollte. Die ILO habe voreingenommen über Katar berichtet und damit "Whitewashing" betrieben.
Der ehemalige Beamte verwies darauf, dass der Staat Katar 2017 die Kosten für die Zusammenarbeit mit der ILO in Höhe von 25 Millionen Dollar komplett übernommen hat. Das WDR-Magazin Sport inside hatte die Zahlung zwei Jahre vor der WM recherchiert. Die ILO bestätigte die Summe und ergänzte, dass diese finanzielle Unterstützung ein normaler Vorgang sei.
Ausbeutung auch nach der WM
Während die ILO die Fortschritte betonte, deckten NGOs und Medien immer wieder prekäre Verhältnisse für die Gastarbeiter in Katar auf. Und nach der WM wird immer deutlicher: Scheinbare Fortschritte waren nur von kurzer Dauer.
So beklagten etwa die Bau- und Holzarbeiter-Internationale BWI und andere internationale Gewerkschaftsföderationen, dass der Dialog mit Katar teils abrupt geendet habe. In einem gemeinsamen Schreiben vom 15. März heißt es: "Statt die Reformen zu beschleunigen (…), verlangsamten sich die Fortschritte bei der Umsetzung arbeitsrechtlicher Änderungen, die Gesetzlosigkeit der Arbeitgeber nahm zu."