Vor der WM Dzsenifer Marozsan tritt aus Nationalteam zurück
Deutschlands beste Fußballerin Dzsenifer Marozsan hat zwar ihren Kreuzbandriss auskuriert, wird aber nur noch einmal fürs Nationalteam auflaufen: am 11. April gegen Brasilien. Danach beendet die 30-Jährige ihre DFB-Karriere.
Die Mittelfeldspielerin von Olympique Lyon, die nach ihrem ausgeheilten Kreuzbandriss längst wieder in guter Verfassung ist, wird auf die WM in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) freiwillig verzichten. "Ich werde aus der Nationalmannschaft zurücktreten. Seit einigen Monaten habe ich mir bereits intensive Gedanken dazu gemacht, die jetzt zu dem Entschluss gereift sind", sagt die 30-Jährige, die bereits vor einem Monat die Bundestrainerin eingeweiht hat, aber erst jetzt die Öffentlichkeit informiert.
Voss-Tecklenburg war im ersten Moment sprachlos. Und rief eine Woche nach der Rücktrittsankündigung bei der langjährigen Spielmacherin der DFB-Frauen wieder zurück. Doch abbringen ließ sich Deutschlands beste Fußballerin von ihrem Vorhaben auch in diesem Gespräch nicht mehr.
Abschiedsspiel soll die Partie gegen Brasilien am 11. April sein
Marozsan möchte nur noch ein einziges Mal das Trikot der deutschen Elf tragen: beim Härtetest in Nürnberg gegen Brasilien am 11. April (18 Uhr/live im Ersten). Im Gegensatz zu ersten Maßnahme im Februar mit einem Trainingslager in Marbella und dem mühsamen Jahresauftakt gegen Schweden (0:0) nimmt Marozsan jetzt die Einladung zum nächsten Lehrgang an. Aber nur, um einen Schlussstrich unter ein prägendes Kapitel ihrer Laufbahn zu ziehen.
Die Gründe für ihren Rückzug nach 111 Länderspielen (33 Tore) sind vielschichtig. Die verpasste EM in England sei eines von vielen Zeichen gewesen. "Ich erinnere mich gut, wie ich bei der WM 2011, als ich ebenfalls verletzt war, nicht mal ein Spiel anschauen wollte. Jetzt war ich am Fernseher der größte Fan von den Mädels, ohne dass es wehtat, nicht dabei zu sein." Hinzu käme die Doppelbelastung, die aus ihrer Sicht nicht optimal wäre. "Ich bin zwar im Verein wieder gut dabei, aber das Knie ist nicht mehr das alte – ich muss enorm viel arbeiten, damit ich alle Trainingseinheiten und Spiele absolvieren kann. Ich glaube, es wäre einfach zu viel, dann noch Länderspiele, Vorbereitung und das Turnier zu machen."
"Eine der brillantesten Fußballerinnen, die für Deutschland gespielt haben"
"Ich habe allergrößten Respekt vor der Entscheidung von Dzsenifer Marozsan", sagte Voss-Tecklenburg. "Sie ist eine großartige Persönlichkeit und überragende Fußballerin, die unglaublich viel für den deutschen Fußball geleistet hat." Sie habe "als Führungsspielerin, aber auch als Identifikationsfigur und Vorbild" an den Erfolgen einen großen Anteil. "Sie soll in einem würdigen, bestmöglichen Rahmen verabschiedet werden. Dafür werden wir sie im April noch mal einladen und ihr einen letzten Spieleinsatz gegen Brasilien geben."
Für Joti Chatzialexiou, den sportlichen Leiter Nationalmannschaften beim DFB, ist Marozsan "eine der brillantesten Fußballerinnen, die für Deutschland gespielt haben". Sie begann 2007 beim 1. FC Saarbrücken, ehe sie 2009 zum 1. FFC Frankfurt wechselte. Seit 2016 ist sie in der ersten französischen Liga bei Lyon beschäftigt, wo sie 2021 für ein halbes Jahr an den amerikanischen Partnerklub OL Reign ausgeliehen war.
Sie hat die EM gewonnen und den Olympiasieg geholt
Für ihr Abschiedsspiel gegen Brasilien, übrigens möglicher Gegner für Deutschland im WM-Achtelfinale, hat Marozsan, die meist im DFB-Trikot die Nummer zehn trug, noch einen ganz persönlichen Wunsch: nämlich mit ihrem Neffen, dem Sohn ihres fünf Jahre älteren Bruders David einzulaufen, den sie während ihrer langen Verletzungspause fast jedes Wochenende gesehen hat.
Bei ihrer Titelmission in Down Under müssen die deutschen Fußballerinnen genau wie bei der EM in England nun ohne eine kreative Kraft auskommen, die an guten Tagen den Unterschied ausmachen kann. Gleich bei ihrem ersten großen Turnier noch unter Silvia Neid gewann sie die EM 2013 in Schweden, wo sie im Halbfinale gegen den Gastgeber (1:0) das einzige Tor erzielte. Es folgte Gold bei den Olympischen Spielen 2016, wo sie das Finale gegen Schweden (2:1) fast im Alleingang entschied. Es sind bis heute die letzten beiden Titel der DFB-Frauen.
Jede WM stand unter einem schlechten Stern
Überdies hat Marozsan fünf Mal die Champions League gewonnen, vier Mal mit Olympique Lyon und 2015 mit dem ehemaligen 1. FFC Frankfurt, für den sie zwischen 2009 und 2016 spielte. Nur Weltmeisterschaften standen für die edle Technikerin unter einem ganz schlechten Stern.
Das Heimturnier 2011 in Deutschland verpasste die damals bereits als Ausnahmetalent gehandelte Marozsan mit einem Innenbandriss. 2015 in Kanada knickte sie beim Training auf Kunstrasen böse um, griff nur noch als Einwechselspielerin ein, aber verwandelte im Viertelfinale gegen Frankreich humpelnd noch einen Elfmeter. 2019 in Frankreich brach sie sich gleich im Auftaktspiel gegen China den großen Zeh. Beim Viertelfinalaus gegen Schweden lief sie zur zweiten Halbzeit mit einem Spezialschuh auf. Vergebens.
Ihr Kreuzbandriss wurde von DFB-Ärzten zuerst nicht erkannt
"Jede WM ist für mich unglücklich gelaufen: Ich will nicht sagen, dass ich Angst hätte, mich jetzt wieder zu verletzen, aber natürlich sind diese Erlebnisse ein Teil meiner persönlichen Geschichte und daher präsent bei mir." Keine Rolle spielte angeblich, dass ihre im April 2022 in einem WM-Qualifikationsspiel in Serbien erlittene Knieverletzung nicht von DFB-Ärzten, sondern erst sehr viel später bei Spezialisten von Olympique Lyon erkannt worden war. "Klar lief das unglücklich, aber mein Rücktritt hat damit überhaupt nichts zu tun."
Auch andere Ärzte hätten den Kreuzbandriss auf den Bildern erst nicht erkennen können, "deswegen kam die Diagnose erst sehr, sehr viel später". Ohnehin verliert die harmoniebedürftige Tochter des früher für den 1. FC Saarbrücken spielenden ungarischen Nationalspielers Janos Marozsan zu ihrem Abschied kein schlechtes Wort. Was ihre Mitspielerinnen beim Nationalteam angehe, die sie zum EM-Finale in Wembley das letzte Mal auf Einladung sah, würde sie "ein Riesenfan" bleiben, wie sie sagt.
Den Kampf um Anerkennung ist sie irgendwie leid
"Wenn ich zehn Jahre zurückschaue, hat sich der Frauenfußball in allen Bereichen bereits enorm entwickelt, aber es ist auch überall noch Luft nach oben." Die Probleme seien in Frankreich dieselben wie in Deutschland. In Lyon gehe es zwar überaus professionell zu, "aber bei manchen Auswärtsspielen sind die Bedingungen wirklich noch unterirdisch".
Den Kampf um Anerkennung ist Deutschlands dreimalige Fußballerin des Jahres aber fast leid: "Ich finde es einfach nur schade, dass wir einen Zirkus veranstalten müssen, um respektiert zu werden. Irgendwann hat man die Nase voll! Die Kanadierinnen haben lila Trikots angezogen, um ausstehende Zahlungen einzufordern. Es ist doch krass, was wir immer wieder anstellen müssen, um Anerkennung und Sichtbarkeit zu erfahren. Das macht mich müde."
Noch nicht entschieden hat Dzsenifer Marozsan, wo sie ab Sommer spielen wird. Ihr Vertrag beim Rekordsieger der Women’s Champions League läuft aus, Gespräche über eine Verlängerung gab es, aber sie will sich zusammen mit ihrem Berater Dietmar Ness alle Angebote anhören. Fest stehe nur: "Ich möchte noch ein paar Jahre kicken, das ist überhaupt keine Frage für mich." Auf Vereinsebene soll mit 30 noch längst nicht Schluss sein.