FIFA WM 2022 Marokko-Trainer Walid Regragui - der gefeierte "Avocado-Kopf"
Walid Regragui ist erst seit drei Monaten Trainer Marokkos und hat das Team erstmals in ein WM-Viertelfinale geführt. Dabei wurde er bei seiner Anstellung von vielen Kritikern belächelt.
Das WM-Viertelfinale strotzt nur so von Erfahrung auf den Trainerbänken. Da geht es für die Urgesteine Tite (Brasilien), Fernando Santos (Portugal) und Louis van Gaal (Niederlande) um ihre große Chance auf den ersten WM-Titel. Zlatko Dalic (Kroatien), Lionel Scaloni (Argentinien), Didier Deschamps (Frankreich) und Gareth Southgate (England) trainieren ihre Nationalmannschaft ebenfalls schon seit vielen Jahren. Doch im WM-Rampenlicht steht noch ein Coach, den kaum einer kennt. Und der sogar erst mitten im Kennenlernprozess mit einer Mannschaft ist.
Walid Regragui ist der Mann an der Linie beim Überraschungsteam Marokko. Wenige Wochen, nachdem van Gaal 2014 mit den Niederlanden das Halbfinale bei der WM in Brasilien verlor, wurde er erstmals Cheftrainer bei FUS Rabat in der marokkanischen ersten Liga. Anfang 2020 ging es dann zum AL-Duhail SC nach Katar, 2021 zu Wydad Casablanca. Mit diesem Klub gewann er in der vergangenen Saison seine zweite Meisterschaft, wurde auch afrikanischer Champions-League-Sieger.
Experten belächeln Regragui als "Avocado-Kopf"
Für den marokkanischen Verband war das Bewerbung genug, um die heimische Nationalmannschaft in einer ganz brenzligen Situation zu übernehmen. Im Sommer diesen Jahres kam es zwischen den Verantwortlichen und dem damaligen Trainer Vahid Halilhodzic zum Verwürfnis. Der 70-Jährige verkrachte sich mit Superstar Hakim Ziyech (FC Chelsea), verbannte ihn aus dem Kader. Trotzdem schaffte Marokko die Qualifikation für die WM, ohne Ziyech wollte der Verband das Turnier aber nicht bestreiten - und musste auf der Trainerposition handeln, weil Halilhodzic stur blieb. Drei Monate vor WM-Star kam es zur Trennung, Regragui übernahm.
Einigen einheimischen Experten missfiel dies, sie nannten den neuen Nationaltrainer aufgrund seiner Glatze despektierlich "Mr. Avocado Head" ("Herr Avocado-Kopf"). Regragui reagierte jedoch cool, ließ sich sogar mit einer Avocado ablichten und überzeugte nun auch mit seinem Coaching die Kritiker.
Die ganze Mannschaft folgt dem Trainer bedingungslos
"Wir vertrauen ihm. Er hat aus uns eine Familie gemacht und macht einen fantastischen Job, obwohl er dafür nicht viel Zeit hatte", schwärmte Rechtsverteidiger Achraf Hakimi nach dem Achtelfinalerfolg gegen Spanien. Regragui forderte in dieser Partie viel von seinen Spielern, sie sollten kämpfen, weniger Fußball spielen gegen die spanischen Passmaschinen - und es funktionierte.
"Es war eine großartige Vorstellung, jeder hat sich aufgeopfert. Die Spieler haben sich bis aufs i-Tüpfelchen an den Matchplan gehalten", zeigte sich der Trainer begeistert von seiner Mannschaft. Und es war für ihn die Bestätigung dafür, dass es einen Wandel im marokkanischen Team gibt. In den vergangenen Jahren war es stets ein Problem, dass viele französischstämmige Spieler im Kader waren, es gab Spannungen mit den "Einheimischen".
Regragui bringt alle Marokkaner zusammen
Regragui ist selbst in Frankreich geboren, war selbst als Fußballer vor allem in Europa tätig. Aber all das spielt offenbar keine Rolle mehr. "Vor diesem Turnier hatten wir immer große Probleme zwischen den Spielern, die in Marokko geboren wurden, und den Spielern, die im Ausland aufgewachsen sind", sagte Regragui: "Jetzt haben wir gezeigt: Jeder Marokkaner ist ein Marokkaner. Wir gehören alle zusammen. Ich habe eine außergewöhnliche Gruppe von Spielern. Wir haben aus einem Team eine Familie gemacht. Jeder, der zur Nationalmannschaft kommt, ist bereit für Marokko zu kämpfen und zu sterben."
Diese Identifikation und Begeisterung schwappt auch über die Grenzen des Fußballfeldes hinaus. Zigtausende Fans unterstützen Marokko in den katarischen Stadien, auf der ganzen Welt feiern die Landsleute Straßenfeste wegen des Erfolgs des Teams. Und selbst die Journalisten stellten auf der Pressekonferenz nach dem Spanien-Spiel kaum Fragen, sondern bedankten sich beim Trainer und schwärmten von seiner Arbeit und seiner Mannschaft.
Noch nicht zufrieden mit dem Erreichten
Regragui selbst will sich aber noch gar nicht so sehr in die Jubelarien integrieren. Der Einzug ins Viertelfinale seit für ihn "nichts Besonderes. Vielleicht werde ich mich als alter Mann mal darüber freuen. Doch heute freue ich mich für meine Mannschaft und das marokkanische Volk." Denn seine Arbeit ist noch längst nicht getan. Die Partie am Samstag (16 Uhr) gegen Portugal ist keinesfalls ein Bonusspiel, Regragui will gewinnen, sagte deswegen auch die sonst üblichen Pressetermine zwei Tage vor der Partie ab. Er und seine Mannschaft wollen und sollen sich voll auf Portugal konzentrieren.