Gespaltene Nationalmannschaft Spieler "genervt" von der Diskussion um die "One Love"-Binde
Die Affäre um die "One Love"-Kapitänsbinde soll die deutsche Nationalmannschaft stärker als bisher angenommen beschäftigt haben. Nach Informationen der Sportschau aus Spielerkreisen habe das Thema die Spieler "belastet" und "genervt".
Außerdem hätte sich ein Großteil der Mannschaft "instrumentalisiert" gefühlt, als nach dem Verbot der "One Love"-Binde nach einer alternativen Geste gesucht worden sei. Erst bei der Aussprache am Tag nach der Auftaktniederlage gegen Japan sei das Thema ad acta gelegt worden, um sich fortan ausschließlich auf den Fußball zu konzentrieren.
Im Vorfeld und im Nachgang des Spiels gegen Japan, das hauptsächlich für das Scheitern in der Vorrunde verantwortlich war, soll es unter den Profis zu teilweise intensiven Diskussionen um die Binde und ein alternatives Zeichen gegen Diskriminierung gekommen sein.
Diskussionen seit September
Seitdem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im September mitgeteilt hatte, dass Manuel Neuer wie auch die Kapitäne anderer europäischer Mannschaften bei der Weltmeisterschaft die "One Love"-Binde tragen werde, gab es Diskussionen über das "Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt", in der Öffentlichkeit wie auch in der Nationalmannschaft.
Der DFB meldete seine Absicht an, die Binde tragen zu wollen, erhielt aber vom Weltverband FIFA im Vorfeld des Turniers keine Antwort, ob die Binde als politische Botschaft gewertet werde, die nach den Regularien auf der Spielausrüstung verboten sind.
So stand eine Sanktion im Raum, DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagte nach der Ankunft der Delegation in Katar, dass er "eine Geldstrafe inkauf nehmen" wolle.
FIFA kündigte vage Sanktionen an
Zwei Tage vor dem Spiel gegen Japan kündigte die FIFA in Person der Generalsekretärin Fatma Samoura dann an, dass die Verbände mit ernsten sportlichen Sanktionen rechnen müssten, falls die Binde getragen werde. Da die Strafe nur vage umrissen worden sei, entschied sich England, das einen Tag früher ins Turnier startete, dafür, auf die Binde zu verzichten.
Das soll den DFB überrumpelt haben. Nach Informationen der Sportschau setzte ein hektisches Treiben ein, um alternative Szenarien zu besprechen. Die Verbandsspitze und auch einige Spieler sollen sich dafür eingesetzt haben, auf jeden Fall vor dem Spiel gegen Japan ein Zeichen zu setzen. Andere Spieler fühlten sich dagegen "instrumentalisiert".
Zu den Beratungen um ein Signal gegen Diskriminierung in einem Land, in dem homosexuelle Handlungen ein Straftatbestand sind, soll auch Raphael Brinkert hinzugezogen worden sein. Der Geschäftsführer einer vom DFB bezahlten Werbeagentur kennt sich mit Krisenmanagement aus. Brinkert, der auch den Nationalspieler Leon Goretzka berät, steuerte die Wahlkampagne der damals im Umfragesumpf steckenden SPD für den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz.
Mannschaft lehnte Herz-Symbol ab
Nach den Beratungen mit Verbandsspitze, DFB-Geschäftsführer und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff, der Marketingabteilung des DFB und mindestens Kapitän Neuer sollen der Mannschaft Vorschläge für alternative Zeichen gegen Diskrimierungen gemacht worden sein.
Nach Informationen der Sportschau lehnte der Großteil der Mannschaft die Option "Herz-Symbol" ab, auch weil es als Affront gegen Muslime gewertet werden könne. Der vorwiegend muslimische Staat Katar etwa hatte sich durch hohe Vertreter Belehrungen des Westens verboten und mit Blick auf die vorgeworfene Diskrimierung von LGBTQ+-Gruppen darum gebeten, die Kultur des Landes zu akzeptieren.
Die letztlich vor der Partie gegen Japan beim Mannschaftsfoto gezeigte Geste, dass sich jeder Spieler eine Hand vor den Mund hielt, soll dann innerhalb der deutschen Mannschaft als kleinster gemeinsamer Nenner akzeptiert worden sein. Die Geste wurde vor allem als Kritik an der FIFA verstanden, die die "One Love"-Binde verboten hatte.
Aussprache nach der Niederlage gegen Japan
Am Donnerstag (24.11.2022), einen Tag nach dem 1:2 gegen Japan, kam es zu einer langen Aussprache innerhalb der Mannschaft. Dabei ging es, wie Julian Brandt und Kai Havertz während einer Pressekonferenz berichteten, um die Lehren aus dem verlorenen Spiel.
Aber auch die schon längst zum Politikum gewordene Diskussion um Zeichen und Gesten soll zur Sprache gekommen sein. Nach Informationen der Sportschau wurde beschlossen, sich fortan nur noch auf den Fußball zu konzentrieren.
Ausgearbeitete Kampagne lag seit September vor
Diese Linie wurde befolgt, angesichts der neuen Erkenntnisse dürfte die durch die "One Love"-Binde symbolisierte Thematik aber nochmal auf den Tisch kommen.
Auch weil es nach Informationen der Sportschau eine ausgearbeitete Kampagne gegeben hat, mit der schon im Sommer oder frühen Herbst Zeichen gesetzt werden sollten. Sie soll so konzipiert worden sein, dass rechtzeitig vor der Dienstreise an den Persischen Golf jeder den Standpunkt der deutschen Delegation kennt - gegen Diskrimierungen jeglicher Art, für Vielfalt und Menschenrechte.
Der DFB soll die Kampagne positiv bewertet haben, sich aber nicht dazu entschließen können, sie zu starten. Letztlich sei die Wahl auf die "One Love"-Binde gefallen.