Menschenrechtsverletzungen vor der WM 2022 in Katar Katar: Sicherheitsunternehmen missachtet Arbeitsrecht
Nach Recherchen der Sportschau verstößt im Gastgeberland der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 eines der größten katarischen Sicherheitsunternehmen gegen geltendes Arbeitsrecht, mit dem laut Regierung das Kafala-System für Gastarbeiter abgeschafft werden sollte.
Betroffen sind Gastarbeiter der Sicherheitsfirma "European Guarding & Security Services Co." (EGSS). Mit über 4.000 Angestellten gehört es zu den größten Sicherheitsfirmen Katars. Am vergangenen Montag (26.04.2021) hatten Mitarbeiter des Unternehmens aus Protest gestreikt. Das Unternehmen hatte ihnen neue Arbeitsverträge unterbreitet, mit denen nach Ansicht der Streikenden der Reformprozess unterlaufen wird, den die katarische Regierung im vergangenen Herbst verkündet hatte. Ein Mustervertrag liegt der Redaktion vor.
Das Unternehmen stellt unter anderem Sicherheitspersonal für das katarische Arbeitsministerium zur Verfügung. Auch bei der diesjährigen FIFA Klub-WM wurde nach Informationen der Sportschau Personal der Firma eingesetzt. Unter anderem beim Endspiel des FC Bayern München gegen UANL Tigres (Mexiko).
Experte McGeehan: Versuch, "die Reform des Kafala-Systems vollständig zu umgehen"
Als wegweisende Reformen hatte Katar im vergangenen September unter anderem verkündet, dass Gastarbeiter vor Ablauf ihres Vertrages den Arbeitsplatz wechseln können, ohne zuvor eine entsprechende Bescheinigung (No Objection Certificate, NOC) von ihrem Arbeitgeber einholen zu müssen, sowie eine Anhebung des Mindestlohns auf 1.000 katarische Riyal, umgerechnet knapp 230 Euro. Damit wurde das Ende des umstrittenen Kafala-Systems verkündet.
Organisationen wie die FIFA oder die Internationale Arbeitsorganisation ILO bezeichneten die Ankündigungen damals als "historischen Schritt". Ein Mustervertrag der Reformen liegt der Sportschau vor. Er enthält mehrere Klauseln, die nach Einschätzung des Menschenrechtsexperten Nicholas McGeehan (Fairsquare) einen vorsätzlichen Verstoß gegen diese Reformen darstellen. "Hier wird aktiv versucht, die Reform des Kafala-Systems vollständig zu umgehen", erklärt McGeehan gegenüber der Sportschau.
Die Firma EGSS reagierte nicht auf eine Anfrage der Sportschau. Das katarische Kommunikationsministerium teilte gegenüber der Sportschau mit, dass Klauseln des Mustervertrages klar gegen geltendes Arbeitsrecht in Katar verstoßen.
Vertragsklauseln umgehen neue Gesetze zum Schutz der Gastarbeiter
Laut Vertrag müssen sich die Arbeiter verpflichten, mindestens fünf Jahre lang für das Unternehmen zu arbeiten und zusätzlich während dieser Zeit nicht zu einem Konkurrenzunternehmen zu wechseln. Entscheidet sich ein Arbeiter trotzdem zu wechseln, droht das Unternehmen mitunter damit, dem Gastarbeiter angefallene Kosten, etwa Aus- oder Weiterbildungskosten und andere Ausgaben, in Rechnung zu stellen.
Im neuen Gesetz heißt es dazu, dass der Arbeitgeber lediglich einen beziehungsweise zwei Monate vor einem beabsichtigten Wechsel vom Arbeitnehmer informiert werden muss. Offenbar soll weiterhin Druck auf die Gastarbeiter ausgeübt werden, von einem Arbeitsplatzwechsel abzusehen. Hierzu schreibt das Kommunikationsministerium: "Der neue Vertrag widerspricht klar dem Gesetz vom September 2020, mit dem Restriktionen für Arbeiter den Arbeitsplatz zu wechseln, abgeschafft werden."
Gastarbeiter fühlen sich getäuscht – Lohn wurde gekürzt
Außerdem wird laut Vertrag zwar der monatliche Mindestlohn eingehalten, dafür sollen die Arbeiter allerdings zwei Tage im Monat mehr arbeiten. Und Bonuszahlungen, die im alten Vertrag aufgelistet sind, fallen in den neuen Verträgen weg. Gegenüber der Sportschau sagten Arbeiter, dass sie sich von dem Unternehmen EGSS getäuscht und hintergangen fühlen. Laut Kommunikationsministerium wird durch den neuen Vertrag das Gesetz zum Mindestlohn eingehalten.
"Widerspruch zwischen Reformankündigung und Umsetzung"
Dass die neuen Gesetze nicht eingehalten werden, nennt der Menschenrechtsexperte Nicholas McGeehen "besorgniserregend". Bestürzt ist er darüber, dass das katarische Arbeitsministerium Personal des Sicherheitsunternehmens EGSS nutzt und damit die Missachtung der neuen Gesetze offenbar billigend in Kauf nimmt. "Dass das Sicherheitspersonal des Arbeitsministeriums streikt, zeigt einen mehr als beunruhigenden Widerspruch zwischen den Reformankündigungen der Regierung und der tatsächlichen Umsetzung", sagt McGeehan.
Ausbeuterische Arbeitsbedingungen bei der FIFA Klub-WM 2021
Nach Informationen der Sportschau wurden über 100 Gastarbeiter von EGSS, für die das angeblich abgeschaffte Kafala-System offensichtlich immer noch gilt, auch bei der diesjährigen FIFA Klub-WM bei mehreren Spielen als Sicherheitspersonal eingesetzt. Das belegen Fotos und Videos, die der Sportschau vorliegen, unter anderem vom Endspiel zwischen Bayern München und UANL Tigres (Mexiko). Sie mussten dafür Doppelschichten fahren, berichten Arbeiter.
Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender der FC Bayern München AG, hatte zuletzt in einem ZDF-Interview betont, dass es in Katar seit der WM-Vergabe zu Verbesserungen der Arbeits- und Menschenrechte gekommen sei. Auf eine Anfrage der Sportschau antwortete ein Sprecher des WM-Organisationskomitees erst nach der gesetzten Frist und teilte mit: "Während des Turniers (4.- 9. Februar) wurden viele Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Auch mit Sicherheitspersonal von EGSS. Dabei wurde nicht mitgeteilt, dass Doppelschichten durchgeführt werden mussten."