Sam Kerr, Kapitänin der australischen Nationalmannschaft beim Torschuss

FIFA Frauen WM WM-Favoritinnen - nutzen die "Matildas" ihren Heimvorteil?

Stand: 18.07.2023 16:31 Uhr

Der Heimvorteil spielt bei einem Turnier meist eine enorme Rolle - Australien hofft daher auf den Coup bei der WM. Die Konkurrenz ist allerdings groß: Titelverteidiger USA, Europameister England und auch das DFB-Team zählen zu den Topfavoriten.

Von Olaf Jansen

Australien

Als die Olympischen Sommerspiele 2000 in Sydney stattfanden, hatte das Gastgeberland viel Grund zum Jubel: Australien gewann insgesamt 58 Medaillen, rangierte im Gesamtklassement auf Rang vier - so gut wie nie zuvor und danach nie wieder. Es lag damals am: Heimvorteil. Da waren sich alle Experten einig.

Was das mit der nun beginnenden WM im Frauenfußball zu tun hat? Australien ist gemeinsam mit Neuseeland Gastgeber des Turniers. Und insgeheim hoffen die "Matildas" - so wird das australische Team genannt - auf den ganz großen Wurf: Sie wollen ihren Heimvorteil nutzen und Weltmeisterinnen werden.

Die "Matildas" gewannen kürzlich mit 1:0 gegen Frankreich und haben auch England, Spanien, Schweden und Dänemark geschlagen. Die Hälfte der Mannschaft spielt in der Women's Super League in England und Kapitänin ist Sam Kerr vom Meister Chelsea.

Sicher spielt die Unterstützung von den Rängen eine Rolle. Die Tickets für die Spiele der Heimmannschaft gingen in Australien weg wie warme Semmeln. Die Partien der Gastgeberinnen werden ausverkauft sein - entsprechend massiv wird die Begeisterung von den Tribünen sicher auf die Spielerinnen herunterschwappen. Allein beim Auftaktspiel gegen Irland werden mehr als 80.000 Zuschauer im Stadium Australia in Sydney sein. Und klar: Ein toller Fan-Support hat noch jedem Fußballteam auf dem Rasen gutgetan.

Bei der EM in England im vergangenen Jahr hat man zudem spüren können, wie das Team der Gastgeberinnen - wohl angesichts des großen Gesprächsthemas in der ganzen englischen Gesellschaft - einfach einen Hauch fokussierter auf den Titelgewinn erschien als die Gegnerschaft.

USA

Bei der Frage nach den Favoritinnen geht naturgemäß kein Weg am Titelverteidiger vorbei. Die USA waren sowohl 2019 als auch 2015 bereits vorn. Sicher ist: Keine andere Nation kann aus einem solch großen Pool an erstklassigen Spielerinnen schöpfen, wie die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die US-amerikanische Nationalspielerin Lindsay Horan beim Kopfball

Die US-Girls mit Lindsay Horan (l.) wollen den dritten WM-Titel in Serie.

Es gibt jedoch ein "Aber" - das aktuelle Team der USA ist nicht das jüngste. Gleich zehn der 23 nominierten Spielerinnen haben die 30 überschritten (Megan Rapinoe ist 38 und Alex Morgan 37). Erfahrung also gut, jugendliche Begeisterung eher nicht so gut. Fraglich ist auch, ob und wie das Team die Ausfälle seiner Leistungsträgerinnen verkraftet. Kapitänin Becky Sauerbrunn (Fuß) und Stürmerin Mallory Swanson (Patellasehne) fehlen ebenso verletzt wie Catarina Macario  und die zweimalige Weltmeisterin Christen Press, die beide an Kreuzbandrissen laborieren.

Recht neu ist auch eine gewisse Bescheidenheit bei den US-Girls. Wenngleich das Team in der FIFA-Rangliste unangefochten auf Platz eins steht, bemühen sich die Frauen um Zurückhaltung. Man sei nicht das beste, lediglich "eines der besten" Teams der Welt, heißt es. Eine Aussage, die sich auf die Erfahrung bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 bezieht, als man sich mit der Bronzemedaille begnügen mussten. Der spätere Olympiasieger Kanada war die Endstation. Und: Im vergangenen Jahr verloren die USA in kurzen Abständen gegen England, Spanien und Deutschland.

England

England schwelgt immer noch in seinem EM-Triumph von 2022, hat aber in den letzten vier Spielen nur ein Tor geschossen. Nach zwei Halbfinalteilnahmen bei den letzten beiden Weltmeisterschaften besteht dennoch große Zuversicht, dass England das Finale erreichen kann. Aber man bräuchte in Abwesenheit der verletzten Beth Mead und nach dem Karriereende von Ellen White dringend eine treffsichere Torschützin.

Millie Bright von der englischen Nationalmannschaft

Weiß, wie's geht: Millie Bright.

Dafür passt's hinten: Bei der EM kassierte das Team lediglich zwei Gegentreffer. Im letzten Testspiel gab es dann auch gegen Kanada ein "standesgemäßes" 0:0. Positiv dabei: Millie Bright war nach einer im März erlittenen Knieverletzung zurück auf dem Platz. Die Abwehrspielerin soll die Mannschaft in Vertretung der am Kreuzband verletzten Leah Williamson als Kapitänin anführen.

Deutschland

Das deutsche Team muss hier womöglich am wenigsten vorgestellt werden. Nach ihrem EM-Vizetitel 2022 hat sich die Crew um Trainerin Martina Voss-Tecklenburg für das Turnier "Down Under" einiges vorgenommen. "Man muss uns erst einmal schlagen", sagt "MVT" selbstbewusst.

Teamfoto der deutschen Fußball-Nationalmannschaft der Frauen

Die Erwartungen an das DFB-Team sind hoch.

Es wird in Deutschland vielerorten von der "Mission WM-Titel" gesprochen. Ob das etwas zu hoch gegriffen ist, wird sich rasch zeigen. Die zuletzt eher faden Testspielergebnisse (Schweden 0:0, Niederlande 1:0, Brasilien 1:2, Vietnam 2:1, Sambia 2:3) lassen sicher einige Fragen offen.

Spanien

Wie gut ist Spanien? Diese Frage stellt sich alljährlich vor großen Turnieren. Denn eines ist prägnant: In Testspielen schießen die Ibererinnen für gewöhnlich die Gegnerschaft quasi aus dem Stadion, aber in Endturnieren liefert das Team nicht.

Vielleicht hat Spanien mittlerweile aber soviel Erfahrung auf höchstem Niveau gesammelt, dass es dieses Problem in den Griff bekommen kann. Das Team setzt sich hauptsächlich aus Spielerinnen von Champions-League-Sieger FC Barcelona und Real Madrid zusammen. Diese beiden Klubs stellen 17 der 23 Kadermitglieder. Die jüngsten Ergebnisse - Siege gegen die USA und Norwegen - lassen darauf schließen, dass dies Spaniens beste Leistung bei einer Frauen-Weltmeisterschaft werden könnte. 

Auch wenn es zuletzt Ärger mit dem Nationaltrainer gab, in dessen Folge drei Spielerinnen ihren WM-Auftritt absagten. Mit Irene Paredes, Jenni Hermoso und Alexia Putellas stehen trotzdem einige der besten Spielerinnen Europas bereit. 

Schweden

Kontinuität ist das Schlüsselwort in der Beschreibung von Schwedens Nationalteam. Trainer Peter Gerhardsson kann auf einen Stamm von Spielerinnen zurückgreifen, die schon eine ganze Weile dabei sind und Erfahrungen auf höchstem Niveau gesammelt haben. Und bei Turnieren kamen die Skandinavierinnen immer ziemlich weit. Schweden gilt als gut organisierte und vor allem verschworene Einheit.

Ein kleines Fragezeichen steht allerdings hinter der Fitness von Schlüsselspielerin Kosovare Asllani. Die 33-Jährige musste zuletzt etwas kürzertreten - ob sie bei allen Turnierspielen über die volle Distanz wird gehen können, ist nicht sicher. Auch Kapitänin und Rekordnationalspielerin Caroline Seger ist nach einer Verletzungsmisere eine Wackelkandidatin.

Zu beachten: Frankreich, Kanada, Brasilien, Norwegen

Die Spitze im internationalen Frauenfußball ist enorm eng zusammengerückt. Mittlerweile spielen Akteurinnen aus der ganzen Welt in den dominierenden europäischen Ligen auf höchstem Niveau.

So ergeben sich für die WM mehr vorstellbare Szenarien. Das nicht ganz leicht zu führende französische Team hat enorme Qualität in der Offensive, bislang aber noch nichts gewonnen. Brasilien ist mit vielen unbekannten Talente im Kader angereist. Kanada überzeugte mit zuletzt starken Testspielergebnissen. Norwegen ist körperlich enorm stark und hat mit Ada Hegerberg eine der weltbesten Stürmerinnen in seinen Reihen. Man darf gespannt sein.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau FIFA Frauen WM | 20.07.2023 | 08:03 Uhr