Erfolg als Trainerin Desiree Ellis ging in Südafrika einen schweren Weg
Als krasser Außenseiter geht Südafrika am Sonntag (06.08.2023, 4 Uhr MESZ, im Livestream auf sportschau.de) gegen die Niederlande in sein Achtelfinalspiel bei der Frauen-WM 2023. Vor allem für Desiree Ellis, die Trainerin von "Banyana Banyana", wird es ein ganz bedeutender Augenblick.
Es war an einem Nachmittag im Mai 1993, als Desiree Ellis das ganz große Glücksgefühl auf dem Fußballplatz beschlich. Sie hatte gerade gut 1.400 Kilometer in einem Bus von ihrem Heimatort Kapstadt in die südafrikanische Metropole Johannesburg zurückgelegt, um am ersten Frauen-Länderspiel ihres Heimatlandes teilzunehmen.
14:0 im ersten Länderspiel
Die Mittelfeldspielerin, die schon 30 Jahre alt war, steuerte drei Treffer bei zum 14:0-Erfolg Südafrikas über das kleine Nachbarland Swasiland. "Wir waren alle einfach glücklich zu spielen. Weißt du, du hast den Traum, für die Nationalmannschaft zu spielen, und dann ist es endlich soweit und ich musste 30 Jahre alt werden, um das erleben zu dürfen", beschrieb Ellis ihre Gefühle einmal in einem Interview mit der südafrikanischen Tageszeitung "The Star". "Es hat uns so viel bedeutet. Das kann sich kaum jemand vorstellen."
Der Tiefschlag nach dem fußballerischen Hoch erreichte die heutige Nationaltrainerin Südafrikas wenig später: Weil ihr Bus auf der Rückfahrt nach Kapstadt eine Panne hatte, kam sie zu spät zu ihrer Arbeitsstelle auf dem Großmarkt. Sie arbeitete seinerzeit als Gewürzmischerin für einen örtlichen Metzger. Der hatte nichts übrig für Fußball und kannte kein Erbarmen. Er feuerte Ellis. Der wichtige Job war wegen eines Länderspiels verloren gegangen.
Mit 40 aktive Karriere beendet
Ellis hatte früh gelernt, sich durchzusetzen. Schon als junges Mädchen war sie über den Schulzaun geklettert, um - verbotenerweise - auf der Straße mit den Jungs Fußball zu spielen. Sie fand auch jetzt Auswege: Sie übernahm diverse andere Jobs, die ihr den kargen Lebensunterhalt sicherten. Trotz ihres schon fortgeschrittenen Fußballalters blieb sie noch fast zehn Jahre Nationalspielerin - die meisten davon als Kapitänin. Erst mit 40 beendete sie ihre Spielerinnen-Karriere, um anschließend eine Laufbahn als Trainerin einzuschlagen.
2016 stieg sie zur Nationaltrainerin auf
Ellis übernahm mehrere Jahre lang die Leitung ihres ehemaligen Vereinsteams Spurs Ladies - gleichzeitig erwarb sie ihre Trainerscheine. Der große Durchbruch folgte, als sie 2014 zur Co-Trainerin der Nationalmannschaft ernannt wurde. Chefin war damals die Niederländerin Vera Pauw, die bei der WM in Down Under das irische Team als Cheftrainerin betreute.
Ellis gehörte quasi zum "Inventar" - es war beinahe logisch, dass ihr 2016, als man sich von der erfolglosen Pauw trennte, interimsweise der Cheftrainerposten angeboten wurde. Ellis, die in den 1980er-Jahren während der Zeit der Apartheid noch an illegalen Spielen zwischen schwarzen Frauenteams teilgenommen hatte, war damit die erste schwarze Frau, die die Leitung von "Banyana Banyana" übernahm.
Sieg beim Afrika-Cup 2022
Und endlich funktionierte es. Unter Ellis erreichte Südafrika das Endspiel des Afrika-Cups 2018, qualifizierte sich im darauffolgenden Jahr erstmals für die Weltmeisterschaft, wurde nach fünf zweiten Plätzen 2022 erstmals Afrikameister und schaffte dadurch erneut den Sprung zur WM.
Und dort ist man jetzt - und hat nach dem emotionalen Sieg gegen Italien (3:2) im letzten Gruppenspiel die Vorrunde überstanden. Es ist aus afrikanischer Sicht ein riesiger Triumph, weil ja auch Nigeria und Marokko ins Achtelfinale eingezogen sind. Ellis war vielleicht noch am wenigsten überrascht vom Erfolg ihres Teams, das auf Weltranglisten-Platz 54 liegend einen um 38 Plätze besser rangierenden Gegner bezwang: "Niemand hat uns hier eine Chance gegeben, aber wir wussten, wozu wir fähig sind", sagte sie.
"Brauchen mehr Wettbewerb"
Aber Ellis wäre nicht Ellis, wenn sie sich nun mit dem Erreichten zufriedengeben würde. Sie will mehr und nimmt das große Ganze in den Blick: "Die Kluft zwischen Afrika und dem Rest der Welt beginnt sich zu schließen, aber wir brauchen mehr Wettbewerb", sagt sie. "Es würde uns beispielsweise helfen, wenn wir außerhalb der großen Events mehr qualifizierte Gegner bekommen können. Die Spielerinnen brauchen den Vergleich auf hohem Niveau."
Sie weist im Gespräch mit europäischen Journalisten auf die unterschiedlichen Möglichkeiten auf den Kontinenten hin: "Für euch in Europa ist es leicht: Ihr steigt in den Bus, fahrt über die Grenze und spielt gegen einen qualifizierten Gegner. Das ist für uns in Afrika nicht möglich. Diese Infrastruktur gibt es auf unserem Kontinent einfach nicht."
- FIFA-Weltrangliste: Niederlande Platz 9 / Südafrika Platz 54
- Beste WM-Platzierung: Niederlande - Vize-Weltmeister 2019 / Südafrika - Vorrunde 2019
- Fun Fact: Andries Jonker, niederländischer Coach, hat seine Spielerinnen mit neuen Aufgaben überrascht: Stürmerin Esmee Brugts musste vor der WM testweise als Außenverteidigerin spielen. Mittelfeldspielerin Victoria Pelova wurde als Rechtsverteidigerin eingesetzt. Sherida Spitse, jahrelang arrivierte Mittelfeldspielerin, spielt unter Jonker glasklare Innenverteidigerin.