Trainer Thomas Tuchel im Jahr 2016 auf der Bank von Borussia Dortmund.

Topspiel FC Bayern gegen Borussia Dortmund Tuchel und der BVB - eine Halde zerbrochenen Porzellans

Stand: 30.03.2023 15:45 Uhr

Thomas Tuchel holte einen Pokal und mehr als zwei Punkte im Schnitt pro Spiel mit Borussia Dortmund. Aber die schwarz-gelbe Vergangenheit des neuen Trainers von Bayern München ist vor allem eine Halde zerbrochenen Porzellans.

Am 30. Mai 2017 twitterte der neue Account @TTuchelofficial um 10.38 Uhr, dass er sich freue, nun auch beim Kurznachrichtendienst "dabei zu sein". Ohne den Verifizierungshaken schien es ein Fake-Account zu sein, doch das Management bestätigte die Rückfragen schnell: Ja, er ist es selbst, Thomas Tuchel ist jetzt bei Twitter.

Der zweite Tweet folgte um 12.47 Uhr. "Schade, dass es nicht weitergeht", schrieb Tuchel, eine gute halbe Stunde bevor der börsennotierte Fußball-Bundesligist Borussia Dortmund die "corporate news" verbreitete, dass die Zusammenarbeit mit @TTuchelofficial mit sofortiger Wirkung beendet werde.

Kursrelevante Nachrichten muss die schwarz-gelbe Kommanditgesellschaft auf Aktien ad hoc melden, und wenn ein Laie fragt, was denn als kursrelevant gilt, heißt es, dass der Überraschungsfaktor dabei zu berücksichtigen sei.

Wäre es danach gegangen, hätte der BVB statt der "corporate news" auch schlicht das Foto des Trainers von der Homepage löschen können, denn die Trennung von Tuchel kam so überraschend wie der Sonnenaufgang am 30. Mai.

Der damalige Dortmunder Sportdirektor Michael Zorc hatte zwar pflichtbewusst gesagt, das angesetzte Gespräch zwischen Vereinsführung und Trainer samt Berater sei "ergebnisoffen", aber das glaubte schon niemand mehr.

Frostige Verhältnisse

Zu frostig war das Verhältnis über die vergangenen Monate geworden, zu viel vorgefallen zwischen den Bossen und Tuchel, aber auch zwischen einigen Spielern und Tuchel.

Am 27. Mai, drei Tage vor dem angeblich ergebnisoffenen Gespräch, hatte der BVB den Pokal gewonnen. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke lächelte sogar, als er den lächelnden Tuchel anschließend auf dem Rasen des Berliner Olympiastadions umarmte. Aber schon wenige Stunden später beim Siegerbankett fröstelte es wieder. Dortmunds Kapitän Marcel Schmelzer kritisierte auf dem roten Teppich, dass Tuchel Nuri Sahin, Meisterspieler 2011 und Publikumsliebling, nicht in den Kader genommen habe.

Da war nichts zu mehr zu kitten, und es versuchte auch niemand mehr, die Risse zunehmend provisorisch zu überdecken.

Wiedersehen beim Topspiel

Knapp sechs Jahre später wird Thomas Tuchel als neuer Trainer des FC Bayern auf seinen alten Verein treffen. Am Samstag (01.04.2023, ab 18.30 Uhr im Audio-Livestream auf sportschau.de und im Ticker) kommt es zum Spitzenspiel der Bundesliga. Die Münchner haben vor dem 26. Spieltag einen Punkt weniger als Borussia Dortmund.

Es wäre schon genug Brisanz in dem Duell zwischen dem Serienmeister und dem Herausforderer, der in diesem Jahr tatsächlich mal einer ist. Die Personalie Tuchel als Nachfolger des ad-hoc-meldungswürdig freigestellten Julian Nagelsmann und seine Vergangenheit mit dem BVB sorgen für Brisanz im Quadrat.

Tuchel über seine Zeit beim BVB - "Das ist lange genug vorbei"

Sportschau, 31.03.2023 17:48 Uhr

Mehr Guardiola als Klopp

Wie konnte es damals so weit kommen, nachdem der Beginn doch so vielversprechend war. Tuchel kam zu Beginn der Saison 2015/16 als Nachfolger von Jürgen Klopp. Er versprach weniger Unterhaltung, aber vielleicht noch einen Tick mehr Sachverstand. Die ersten elf Pflichtspiele gewann der BVB. Dann ging es ein wenig bergab, dann ging das Spiel beim FC Bayern mächtig in die Hose.

Tuchel hatte etwas Besonderes probieren wollen und Lukasz Piszczek von seinem Stammplatz am rechten Ende der Viererkette völlig überraschend ans linke Ende gerückt. Da war jedem klar: Tuchel ist in seinem Wesen weit mehr Pep Guardiola (der bei den Bayern an der Seitenlinie stand) als Klopp.

Mit zehn Punkten Rückstand wurde der BVB letztlich Zweiter, allerdings hatte er mit 78 Punkten auch so viele wie zuvor und danach nie ein Tabellenzweiter. Im Pokalfinale unterlag die Borussia dem FC Bayern im Elfmeterschießen.

Die zweite Saison war sportlich deutlich schwieriger. Sogar die letztlich souverän geschaffte Qualifikation für die Champions League geriet zwischenzeitlich in Gefahr. Nach Niederlagen bei Eintracht Frankfurt und dem Tabellenletzten SV Darmstadt nagelte Tuchel seine Mannschaft an die Wand.

Zerwürfnis mit Mislintat und auch Zorc

Möglicherweise wären diese Störfälle schnell vergessen worden, hätte es nicht mit Vorgesetzten oder wichtigen Mitarbeitern Scharmützel gegeben, die nachwirkten. Im Winter 2015/16 fing es an. Der Vertrag mit Oliver Torres von Atlético war fertig ausgehandelt, es fehlte nur noch die Unterschrift. Plötzlich aber wollte Tuchel ihn nicht mehr, und so musste dem spanischen U21-Nationalspieler abgesagt werden. Tuchel verkrachte sich dabei mit dem damaligen Dortmunder Chefscout Sven Mislintat, auch das Verhältnis zu Michael Zorc litt erheblich.

Lange blieb Geschäftsführer Watzke in der Rolle des Vermittlers, auch wenn es ihm schwerfiel, weil Thomas Tuchel doch so ganz anders war als Jürgen Klopp.

Dann kam der Tag, der zu einem der schlimmsten in der Dortmunder Vereinsgeschichte wurde, der aber noch viel dramatischer hätte enden können. Ein inzwischen zu 14 Jahren Haft verurteilter Straftäter wollte am 14. April 2017 den Manschaftsbus in die Luft sprengen, weil er auf einen Sinkflug der BVB-Aktie spekuliert hatte. Es gab kleinere körperliche und schwere psychische Schäden bei den Beteiligten.

Sportlich bewirkte der Anschlag, dass das Hinspiel im Viertelfinale der Champions League gegen AS Monaco verschoben wurde, allerdings nur um einen Tag. Es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, was in den kommenden Stunden geschah. Tuchel behauptete nach dem mit 2:3 verlorenen Spiel, er und die Mannschaft seien gar nicht gefragt worden, hätten sich nicht bereit gefühlt, so früh nach dem traumatischen Erlebnis wieder zu spielen.

Was passierte nach dem Anschlag?

Andere sagen, Tuchel und auch die Mannschaft seien sehr wohl gefragt worden, und sie seien sehr verwundert darüber gewesen, dass der Trainer es anders darstellte. Recht schnell wurde klar, dass im Nachgang des Anschlags ein "Dissens" enstanden war, wie Watzke letztlich auch in einem Interview zugab, der zur Trennung führen musste.

Nun werden sich die Parteien wiedersehen. Es ist nicht das erste Mal. Tuchel traf schon als Trainer von Paris Saint-Germain auf seinen ehemaligen Klub, schaltete ihn zu Beginn der Coronapandemie in der Champions League aus. Jetzt folgt der Gipfel in der Bundesliga, und es ist zu spüren, dass die Temperaturen im Verhältnis zwischen Watzke und Tuchel höchstens knapp über den Gefrierpunkt gestiegen sind. "Herzlich willkommen zurück, Thomas Tuchel", ließ sich der Boss des BVB zitieren, allerdings mit dem Vermerk, dass er nicht als Boss des BVB spreche, sondern in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratschef der DFL.