NBA-Playoffs Heat statt Historisches - Titelanwärter Boston scheitert
Die Boston Celtics wollten NBA-Geschichte schreiben. Stattdessen aber behielten die Miami Heat einen kühlen Kopf - sind mit dem Finaleinzug aber noch nicht zufrieden.
Duncan Robinson fasste sich mit zwei Fingern an sein rechtes Ohr. Es war eine Geste Richtung Publikum im Bostoner TD Garden. Soeben hatte der Bankspieler der Miami Heat mit einem Korbleger auf 94:73 für sein Team in diesem alles entscheidenden siebten Spiel der Playoff-Halbfinalserie bei den Boston Celtics erhöht. Es waren zwar noch rund sechs Minuten zu spielen, doch diese Partie war trotzdem entschieden - und die Arena deshalb leise. Und auf diese Stille spielte Robinson an. "Boston, ich höre nichts."
Ganz anders war es noch Stunden zuvor gewesen. Als die Celtics rund 30 Minuten vor Spielbeginn das Parkett zum Aufwärmen betraten, hielten einige Eltern besorgt die Hände vor die Ohren ihrer kleinen Kinder. Der TD Garden war das Epizentrum der Emotionen - und mehr als 18.000 Fans bereit, ihre Lieblinge ins Finale gegen die Denver Nuggets zu brüllen, und zugleich Historisches zu erleben.
Gruselige Bilanz
Noch nie war es in der Geschichte der seit 1947 ausgetragenen NBA-Playoffs einer Mannschaft gelungen, nach drei verlorenen Spielen zu Beginn und einem 0:3-Rückstand in der Serie, weiterzukommen. 150 Mal hatte es diese Konstellation gegeben. Nur drei Teams - New York Knicks 1951, Denver Nuggets 1994, Portland Trail Blazers 2003 - hatten es überhaupt geschafft, noch eine siebte Partie zu erzwingen.
Die Celtics waren nun der vierte Verein. Und sie hatten, im Gegensatz zu den anderen dreien, sogar Heimrecht. Und deshalb waren Optimismus und Vorfreude riesig. Im Publikum waren Schilder mit Aufschriften wie "This is our House" (Das ist unser Haus), "We are making history tonight" (Wir schreiben heute Geschichte) und - in Anlehnung an die Bilanz der anderen 0:3-Teams - "1-150" zu sehen.
Boston Red Sox als Vorbild für die Celtics
Erneut, so die Annahme, ach was, die feste Überzeugung der Bostonians, würde ein Verein aus ihrer Stadt Sportgeschichte schreiben. So, wie die Baseball-Profis der Boston Red Sox. Die lagen schließlich 2004 in ihrer Halbfinalserie gegen Erzrivale New York Yankees auch scheinbar aussichtslos 0:3 hinten. Und bis dahin hatte es in der MLB auch noch nie ein Verein geschafft, einen solchen Rückstand noch zu drehen.
Doch dann kamen der 17., 18., 19. und 20. Oktober 2004. Vier Spiele, vier Red Sox-Siege - und damit verbunden ein Vermerk für die Ewigkeit in den Annalen des US-Sports. Wenige Tage später folgte mit dem ersten Meistertitel nach 86 Jahren die Krönung.
"Lasst uns bloß nicht diese Partie heute gewinnen"
Die Protagonisten jenes Red Sox-Wunders tauchten in den vergangenen Tagen vermehrt in den Bostoner Medien auf. Allen voran Kevin Millar. Der hatte vor 19 Jahren im Vorfeld von Spiel vier gewarnt: "Lasst uns bloß nicht diese Partie heute gewinnen." Und genau dieses Mantra war nach drei Celtics-Niederlagen in den ersten drei Spielen plötzlich im Vorfeld der vierten Begegnung in Miami zu hören.
Und tatsächlich: Boston gewann 116:99. Boston setzte sich auch in Spiel fünf daheim durch (110:97). Und als Derek White dann die sechste Partie in Miami mit der Schluss-Sirene durch einen Korbleger 104:103 zu Gunsten der Celtics entschied und Boston zum 3:3 ausgeglichen hatte, war der Glaube, Geschichte zu schreiben, so riesig, wie die Historie des 17-maligen NBA-Champions.
Jayson Tatum früh verletzt
"Let’s go, Celtics" und "Beat the Heat", hallte es zu Spielbeginn durch die Halle. Und der Lautstärkepegel nahm auch nicht ab, als Celtics-Superstar Jayson Tatum bei seinem ersten Sprungwurf nach wenigen Sekunden umknickte. Was niemand ahnte: Tatum war durch diese Aktion für den Rest des Spiels gehandicapt, humpelte viel und traf nur wenig (14 Punkte).
Die Gäste zeigten sich weder von der Kulisse, noch durch die Niederlagen in den vorangegangenen drei Partien sonderlich beeindruckt. 22:15 lagen sie nach dem ersten Viertel vorn, 52:41 zur Pause. Vor genau einem Jahr, am 29. Mai 2022, hatte Miami Spiel sieben der Halbfinalserie daheim noch 96:100 gegen Boston verloren. "Wir werden nächstes Jahr in genau der gleichen Situation sein - und dann werden wir unseren Job erledigen", hatte Jimmy Butler damals betont.
Jaylen Brown als Anführer überfordert
Nun hielt er Wort, erzielte mit 28 Zählern beim klaren 103:84-Sieg die meisten Punkte seines Teams. Miami hatte vor allem von der Dreier-Linie große Vorteile, traf 14 seiner 28 Versuche. Die Celtics hingegen waren ausgerechnet im wichtigsten Spiel der Saison mitunter so grün wie ihre Trikots und Shorts.
Nur 9 von 42 Dreiern (21,4 Prozent) landeten im Korb. Hinzu kam, dass Bostons zweiter Star, Jaylen Brown, nach der Verletzung von Tatum völlig überfordert war, das Team anzuführen. Der 26-Jährige hatte genauso viele Turnover (acht), wie Treffer. "Als mein Team mich am meisten brauchte, habe ich furchtbar gespielt", resümierte Brown.
"Männer mit Staub, Blut und Schweiß in den Gesichtern"
Für den Titelanwärter endet die Saison somit früher als erwartet. Für Miami hingegen geht das fantastische Frühjahr weiter. "Wir sind die Männer mit Staub, Blut und Schweiß in den Gesichtern", betonte Trainer Erik Spoelstra. Mit Blick auf die Serie, die nach drei Siegen zu Beginn noch zu einem Vabanque-Spiel wurde, ergänzte er: "Manchmal musst du leiden, um etwas zu bekommen, das du wirklich haben willst."
Man habe nach Spiel sechs zusammengehalten, meinte Butler, habe sich gesagt, dass man jetzt eben ein schweres Auswärtsspiel gewinnen müsse. Er sagte all das recht emotionslos. So, als wäre der Finaleinzug eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und für ihn ist es das tatsächlich. Miami ist zwar nur als Nummer acht der Setzliste in die Playoffs gestartet, dennoch will Butler mit Miami Meister werden. Und deshalb meinte er: "Wir freuen uns über diesen Sieg hier. Aber wir sind noch nicht zufrieden. Denn wir haben noch vier weitere Partien zu gewinnen."