Vor der EM Gefangen in den Achtzigern - Frauen-Basketball in Deutschland
Die deutschen Basketballerinnen spielen erstmals seit zwölf Jahren wieder bei einer Europameisterschaft. Der Erfolg des Nationalteams steht im krassen Gegensatz zu den Strukturen in der Bundesliga, die den Anschluss an Europa schon vor Jahren verloren hat.
Wenn große Dinge passieren im deutschen Basketball, dann ist meistens auch Dirk Nowitzki mit von der Partie. So wie Ende April in Manila. Nationalspielerin Sonja Greinacher schickte von dort Grüße vom Festbankett, neben ihr im Bild ein gut gelaunter Nowitzki. Beide gehörten zur Delegation des Deutschen Basketball Bundes (DBB), die zur Vergabe der Weltmeisterschaft 2026 in die philippinische Hauptstadt geflogen war, und die dort auch den Zuschlag bekam.
In drei Jahren werden die besten Basketballerinnen der Welt in Berlin um den WM-Titel spielen, DBB-Präsident Ingo Weiss rief die Heim-WM sofort zum "Leuchtturm-Projekt" aus: Die Förderung des Basketballs für Frauen und Mädchen werde in den kommenden Jahren der "Schwerpunkt der Arbeit der gesamten deutschen Basketball-Familie" sein, sagte Weiss.
DBB-Team bei der Europameisterschaft
Es ist zu wünschen, dass der Verbandschef dieser Ankündigung auch Taten folgen lässt. Denn es gibt sehr viele Baustellen bei den Basketballerinnen. Dafür ist auch Sonja Greinacher, die mit nach Manila gereiste WM-Botschafterin, ein gutes Beispiel. Die 30-Jährige ist eine der erfahrensten Spielerinnen im Nationalteam, das am Donnerstag (16.06.2023) gegen Frankreich in die Europameisterschaft startet.
Doch Greinacher war zuletzt, außer bei der Nationalmannschaft, gar nicht mehr in der Halle aktiv, sondern im 3x3-Basketball: Das ist die moderne Streetball-Variante, die auf einem halben Feld gespielt wird und auch Teil der olympischen Spitzensportförderung ist. Greinachers Arbeitgeber ist die Bundeswehr. Sie trainiert am Stützpunkt in Hannover und ist sonst mehrere Monate im Jahr mit dem 3x3-Nationalteam unterwegs, bei den Turnieren der World Series.
Zu wenig Perspektiven - 3x3 statt Bundesliga
Dem Klubbasketball hat die Nationalspielerin inzwischen komplett den Rücken gekehrt. Zuletzt war sie in der polnischen Liga aktiv, wo sie als Profibasketballerin deutlich bessere Perspektiven hatte als in der deutschen Bundesliga. Das gilt auch für die anderen deutschen Top-Spielerinnen, die alle im Ausland aktiv sind: Allen voran Satou Sabally, die in der US-Profiliga WNBA als kommender Star gilt, aber auf die EM verzichtet hat.
Emily Bessoir, ein weiteres Top-Talent, spielt mit einem Stipendium bei UCLA, einem der berühmtesten College-Teams in den USA. Centerspielerin Marie Gülich war drei Jahre in der WNBA, inzwischen ist sie eine feste Größe beim spanischen Topklub Valencia und hat dort gerade den Meistertitel geholt. So viele Talente gab es lange nicht im das DBB-Team, das sich auch erstmals nach zwölf Jahren wieder für ein großes Turnier qualifizieren konnte.
Siegesparade durch Saragossa - Leonie Fiebich als MVP in Spanien
Leonie Fiebich spielt ebenfalls in Spanien, in Saragossa. Dort ist die 23-Jährige sogar zur MVP, zur wertvollsten Spielerin der Saison gewählt worden. Mit Saragossa gewann sie den spanischen Pokal, im Finale vor 10.000 Fans. Bei der anschließenden Siegesparade fuhr das Team auf einem Doppeldecker-Bus durch die Stadt und feierte mit den Fans.
"Ich hatte konstant Gänsehaut, so etwas kannte ich vorher nicht" sagt Fiebich, die auch im spanischen Alltag erlebt, welch großen Stellenwert der Frauenbasketball haben kann. Im Vergleich dazu seien die Verhältnisse in der Bundesliga "schon traurig", sagt Fiebich und beklagt, nicht zum ersten Mal, die "unprofessionellen Strukturen" bei den deutschen Klubs.
Bundesliga in der Schulturnhalle, Liga-Seite ohne Statistiken
In der Damen-Basketball-Bundesliga (DBBL) überwiegen nach wie vor kleinere Klubs, die meist vom ehrenamtlichen Einsatz leben, oder vom Herzblut einiger weniger Klubverantwortlicher. Wohin das führen kann, war zuletzt in Wasserburg zu besichtigen, fast zwei Jahrzehnte lang das dominierende Team in der Bundesliga mit allein sechs Meistertiteln zwischen 2011 und 2017. Nachdem sich die langjährige Geschäftsführung und ein lokaler Sponsor zurückgezogen hatten, brachen auch die restlichen Strukturen im Klub weg, der einstige Serienmeister stürzte in die 2. Liga ab.
Wer sich ein Heimspiel des aktuellen deutschen Meisters, den Rutronik Stars Keltern anschaut, kommt sich vor, als sei er in eine Zeitmaschine geraten und in den 1980er-Jahren wieder ausgespuckt worden: Keltern spielt in der Halle eines Schulsportzentrums, ohne Tribünen, vor oft nicht mehr als 100 Zuschauern. Eine triste Atmosphäre, die Fans und vor allem potenzielle Sponsoren eher vergrault.
Die Bundesliga-Spiele laufen ohnehin weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Bilder gibt es bei einem Streaming-Portal, hinter einer Bezahlschranke. Auch in den sozialen Medien ist die DBBL bislang kaum präsent, etwa in Form von Highlight-Videos.
Zur katastrophalen Außendarstellung der Liga gehört auch, dass auf der offiziellen DBBL-Seite keine aktuellen Spieldaten und Statistiken zu finden sind. Auch dass die Bundesliga gerade einmal zwölf Klubs hat und die reguläre Saison sechs Monate dauert, trägt nicht zu mehr Sichtbarkeit bei.
Fehlende wirtschaftliche Standards - Insolvenz mitten in der Saison
Zuletzt waren es sogar nur noch elf Klubs in der ersten Liga, nachdem die Rheinland Lions, zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer, Insolvenz anmelden mussten. Der Klub aus Bergisch-Gladbach hatte wohl, vor allem bei den Spielerinnengehältern, über seine Verhältnisse gelebt. Aufgefallen war dies aber erst, als es zu spät war, nämlich mitten in der Saison. Auch weil die Liga es über Jahre versäumt hat, verbindliche Standards bei der Lizenzierung durchzusetzen und echte Nachweise über die wirtschaftliche Stabilität zu verlangen.
So schmoren die Klubs mit ihren Amateursport-Strukturen weiter im eigenen Saft, der Abstand zu den ausländischen Ligen ist dadurch über die Jahre noch größer geworden. Auch in den europäischen Wettbewerben spielen die DBBL-Klubs praktisch keine Rolle. "Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir den Laden in ein paar Jahren dichtmachen", sagt Martin Geissler, Geschäftsführer beim Mitteldeutschen BC.
Alba und MBC als Gegenmodell in der DBBL
Der MBC gehört, neben Alba Berlin, zu den Klubs in der BBL der Männer, die auch in der Frauen-Bundesliga vertreten sind. Vor allem Alba hat gezeigt, was möglich ist, wenn man auf professionellen Strukturen aufbaut: Die Berliner haben, mit den Verbindungen aus ihrem Schulsportprogramm, in den vergangenen zehn Jahren den Frauen- und Mädchenbasketball ausgebaut. Inzwischen spielen mehr als über 400 Basketballerinnen im Verein, über alle Altersklassen hinweg.
Die Alba-Frauen schafften es als Aufsteiger überraschend bis ins Playoff-Halbfinale. Die Spiele fanden vor mehr als 2.000 Zuschauern in der Sömmeringhalle statt. In einer Atmosphäre, die sich auf einmal anfühlte wie Bundesliga-Basketball.
Weitere BBL-Adressen auf dem Sprung in die Frauen-Bundesliga
Die Klubführung in Berlin ist überzeugt, dass auch in Deutschland, mit einer eher unterentwickelten Basketballkultur, genug wirtschaftliches Potenzial im Frauen-Basketball steckt. Und damit ist sie nicht alleine: Auch andere Profi-Standorte wie Göttingen, Heidelberg oder Rostock drängen mit ihren Frauen-Teams in die Bundesliga. Und auch beim FC Bayern, wo das Frauen-Team gerade in die 3. Liga aufgestiegen ist, verfolgt man die Entwicklung mit Interesse.
Die ehemalige Nationalspielerin Marlies Askamp forderte kürzlich im Magazin "BIG" sogar, dass die BBL-Klubs dazu verpflichtet werden sollten, ihre Frauen-Teams stärker zu fördern und sie mindestens in die 2. Liga zu bringen.
Angst vor Verdrängung - wie im Frauenfußball
So könnte in der DBBL womöglich eine ähnliche Entwicklung in Gang kommen wie im Frauenfußball: dass der Einzug der BBL-Marken mit ihrer größeren Wirtschaftskraft, in der Frauen-Bundesliga die kleineren Traditionsstandorte verdrängt.
Ireti Amojo, bei Alba Berlin Koordinatorin für Frauen- und Mädchenbasketball, hält diese Angst für unbegründet. Auch Klubs aus kleineren Städten könnten in ihrer Nische wachsen, sagt Amojo und verweist auf ihren ehemaligen Verein, den Herner TC: "Die brauchen keinen Männer-Basketballverein, der in die Strukturen investiert, weil sie in Herne schon die Top-Adresse sind. Da kommen viele Leute hin, auch die Stadt ist involviert und unterstützt den Verein."
Um den Frauen-Basketball aber nachhaltig weiterzuentwickeln, müssten die Klubs vor allem in bessere Rahmenbedingungen für die Spielerinnen investieren, sagt die frühere Nationalspielerin: medizinische Betreuung, mehr Reisekomfort, Unterbringung im Hotel bei Auswärtsspielen.
DBB macht Druck - WM 2026 im eigenen Land
Auch der DBB drängt auf professionellere Strukturen, und hat dabei vor allem die Heim-WM 2026 im Blick. Der Verband hat, gemeinsam mit der Liga, eine "Agenda 2030" auf den Weg gebracht und die dringendsten Aufgaben für den Frauen-Basketball festgeschrieben: Intensivierung der Nachwuchsarbeit, Teilnahme an internationalen Wettbewerben, mehr Einsatzzeiten für deutsche Spielerinnen, und vor allem: eine Professionalisierung der Bundesliga.
Umgesetzt worden ist davon bislang kaum etwas. Der DBB sieht vor allem die Liga in der Pflicht - und verweist auf den erst im Vorjahr erneuerten Grundlagenvertrag mit der DBBL, die als eigenständige Organisation für den Spielbetrieb der Bundesliga verantwortlich ist. Man werde die Liga künftig stärker beraten und unterstützen, auch personell, heißt es vom DBB, der auch Mitgesellschafter der Bundesliga ist. Direkte finanzielle Hilfe für die Liga werde es aber vom Verband nicht geben.
Das Engagement von Klubs wie Alba oder dem MBC wird auch beim DBB begrüßt und als Vorbild für die anderen Liga-Standorte angesehen. Zugleich bietet es aber auch die Gelegenheit, von den eigenen Versäumnissen abzulenken: Denn auch der Deutsche Basketball Bund hat die Entwicklung des Frauen-Basketballs über Jahrzehnte vernachlässigt.
Die deutschen Basketballerinnen nach der EM-Qualifikation
Bundestrainerin Thomaidis mit Kurzzeitvertrag
Überall dort, wo im Nachwuchsbereich Coaches und Trainingszeiten für Mädchenteams fehlen, ist auch der Verband in der Verantwortung, beim Aufbau von Strukturen zu helfen. Aktuell ist nur ein hauptamtlicher Trainer für den Frauenbereich beim DBB angestellt. Auch die aktuelle Bundestrainerin, die Kanadierin Lisa Thomaidis, wurde erst kurz vor der EM verpflichtet, sie hat vorerst nur einen Vertrag fürs Turnier. Ein Konstrukt, das eine nachhaltige Entwicklung, auch im Nationalteam, schwierig macht.
Auch der DBB räumt ein, in den vergangenen Jahren zu wenig für die Entwicklung des Frauen-Basketballs getan zu haben. "Wir brauchen ein Umdenken: Professionelles Management in den Klubs, einen Mindestetat. Eine Quote für deutsche Spielerinnen. Alles das, was in der BBL auch Standard ist, nur auf einem anderen Level" , sagt Vize-Präsident Armin Andres.
Die Ausrichtung der Heim-WM hat den Druck nochmals erhöht. "Wir müssen jetzt anfangen, etwas zu verändern. Gemeinsam mit der Liga, die wir unterstützen werden. Bis zur WM sind es nur noch drei Jahre." Drei Jahre, um mehr als 30 Jahre Stillstand wettzumachen.