Heimspiel bei ATP Finals Jannik Sinner - "Stolzer Azzurro" im Rampenlicht
Bei den ATP Finals richten sich viele Augen auf Jannik Sinner. Der Italiener hat Form und Fans auf seiner Seite - wegen und trotz unpopulärer Entscheidungen.
Wer meint, Novak Djokovic und Carlos Alcaraz seien die großen Stars im Männertennis, könnte aktuell in Turin eines Besseren belehrt werden. Die italienische Großstadt ist gespickt mit Werbung zu den ATP Finals, auf der allerdings nicht die beiden Ersten der Weltrangliste abgebildet sind, sondern ein Spieler, der gerade als Lokalmatador sowas wie der Profi der Stunde ist: Jannik Sinner.
Im Oktober gewann der Italiener die Turniere in Peking und Wien, seit den US Open Anfang September hat er nur ein Match verloren. Entsprechend groß sind die Hoffnungen auf einen Heimsieg im "Pala Alpitour". Dort feierten die 20.000 Zuschauer Sinner schon zum Auftakt, als er mit 6:4, 6:4 souverän Stefanos Tsitsipas besiegte. Als Belohnung gab es ohrenbetäubende Sprechchöre. Und nun soll es gegen Djokovic die nächste Sinner-Party geben.
Die italienischen Fans feiern Jannik Sinner.
Pause hat Sinner geholfen
Die Nummer vier der Weltrangliste gehört zur jüngsten Generation der Topspieler im Männertennis. Wie Alcaraz und Holger Rune gilt er als derjenige, der über die nächsten Jahr den Sport prägen soll. "Carlos und Holger sind tolle Spieler und es ist eine große Herausforderung, Woche um Woche gegen sie anzutreten", sagte Sinner zur Sportschau. "Carlos hat schon sehr früh Außerordentliches geleistet und Holger hat sich mit Boris Becker einen sehr erfahrenen Mann ins Team geholt, der unseren Sport gut analysiert."
Vor den ATP Finals nahm sich Sinner bewusst eine Pause. Beim Turnier in Paris erreichte er das Achtelfinale, sagte dann aber seine dortige Teilnahme ab, weil er zwölf Stunden später wieder antreten sollte. "Das tut immer weh, aber leider ist es in diesem Jahr mehrmals vorgekommen, dass die Ansetzungen zu extremen Situationen geführt haben. Als Topspieler spielt man viele Turniere und es ist extrem wichtig, dass man gut plant und immer wieder Trainings- und Erholungsphasen einbaut", sagte Sinner.
Und zumindest das erste Spiel gegen Tsitsipas gibt ihm recht. Der Lokalmatador wirkte frisch, servierte dazu extrem gut. Sein Gegner hatte keine Breakchance - kein Wunder bei 89 Prozent gewonnener Punkte mit dem ersten Aufschlag (der zu 71 Prozent kam) und noch stärker einzuschätzenden 69 Prozent beim zweiten Service.
Aufschlagriese mit großem Respekt vor Djokovic
Am Dienstagabend, beim Dreisatz-Sieg gegen Novak Djokovic, zeigte Sinner, dass er in der aktuellen Form und mit seinem starken Aufschlag auch die Nummer eins der Tennis-Welt vor Probleme stellen kann. Ungeachtet der großen Wertschätzung für den 36-Jährigen Serben. "Was Djokovic leistet, ist wahnsinnig beeidruckend. Er ist eine Legende und seine Erfolgsliste ist fantastisch", sagte Sinner.
Wenn es nach ihm geht, wird diese Liste der Turniersiege bei den ATP Finals jedoch nicht länger. Sinner gehörte im Vorfeld schon zu den Geheimfavoriten und er will diesen Status bestätigen - ohne sich dabei jedoch den ganz großen Druck zu machen. "Bei den Finals gibt es abgesehen von Djokovic kaum Favoriten. Die Spieler sind die besten acht der Saison und jeder kann jeden schlagen", sagte Sinner. "Ich nehme das Turnier Match für Match und hoffe, dass ich mein bestes Tennis zeigen und das italienische Publikum begeistern kann."
Der Aufschlag ist Sinners große Stärke.
Rückhand wird mit Agassi verglichen
Das macht Sinner aber nicht nur mit einem starken Aufschlag. Seine Rückhand gilt als eine der stärksten auf der ATP-Tour, sie wurde bereits mit der des ehemaligen Topspielers Andre Agassi verglichen. Auch weil dessen früherer Trainer Darren Cahill seit 2022 Sinner betreut - der seitdem einen enormen Leistungssprung gemacht hat. "Es gibt zwar gewisse Ähnlichkeiten, aber der Vergleich ist zu hoch gegriffen. Agassi hatte ein höheres Niveau", relativierte der Italiener.
Vergleichbar sind die beiden Spieler aber auch nicht, weil sie anders spielen. Agassi agierte sehr variantenreich, mit außergewöhnlichen Winkeln, Sinners Schläge werden dagegen von seinen Kontrahenten zu den härtesten auf der Tour gezählt. "Jannik ist schlaksig und groß, also hat er eine große Spannweite, mit der er viel Power generieren kann", sagte Cahill der "New York Times" über seinen 1,88 Meter großen Schützling.
Der Trainer musste vor allem daran arbeiten, Sinner körperlich für die Belastungen zu wappnen. "Vor ein paar Jahren ist er in vielen Spielen noch eingebrochen. Er war ein Spätentwickler, also mussten wir dafür sorgen, dass sein Körper mit den harten, wöchentlichen Belastungen auf diesem Level klarkommt", sagte Cahill.
Davis Cup als nächstes Ziel
Dazu gehört dann eben auch, wie in Paris in einigen Fällen mal "Nein" zu sagen. "Wir haben in diesem Jahr viele harte Entscheidungen getroffen, einige Turniere nicht zu spielen. Nur deswegen kann ich sagen, dass ich ich mich auf dem Platz immer wohler fühler, je länger ein Spiel dauert", beschrieb Sinner seine gewonnene Widerstandsfähigkeit.
Sinner bei der Eröffnungsfeier der ATP Finals
Zu diesen Absagen gehörte auch eine, die ihn in seiner Heimat in Ungnade fallen ließ. Im September verzichtete Sinner auf seine Teilnahme am Davis Cup - und erntete von den heimischen Medien große Kritik. "Diese Entscheidung ist mir alles andere als leicht gefallen. Ich liebe es, für mein Land zu spielen und bin ein stolzer Azzurro. Aber ich bin rückblickend überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war", sagte Sinner zur Sportschau.
Nach den ATP Finals will er aber im Davis-Cup-Match gegen die Niederlande (21. bis 26. November in Spanien) wieder dabei sein. "Ich plane fest damit und freue mich sehr darauf, mit meinen Teamkollegen nach Malaga zu reisen", sagte Sinner. Erst will er seine Landsleute in Turin glücklich machen und dann im Davis Cup.