Bundesliga-Schiri im Interview Timo Gerach: "Schiedsrichter stehen auf der Freundesliste nicht ganz oben"
Timo Gerach aus Landau in der Pfalz ist Bundesliga-Schiedsrichter. Im Interview mit SWR Sport spricht er über den Druck auf die Unparteiischen und warum ihm der Job trotzdem viel Spaß macht.
Den Job als Fußball-Schiedsrichter möchte nicht jeder machen. Gefühlt ist immer jemand unzufrieden. Und das heißt auch: Man muss mit Druck umgehen können.
SWR Sport: Timo Gerach, Sie sind Bundesliga-Schiedsrichter. Zu welchem Zeitpunkt vor einem Spiel ist die Anspannung bei ihnen am größten?
Timo Gerach: Grundsätzlich würde ich sagen, dass für mich Anspannung etwas Positives ist. Das geht schon so zwei, drei Tage vor dem Spiel los. Wenn die Spielvorbereitung startet, dann beginnt die Spannung, dann beginnt das Kribbeln, was sich dann natürlich erhöht. Die Nacht vorher im Hotel, am Spielort, zusammen mit dem Team, dann die Fahrt ins Stadion. Und dann ist es aber auch so: Mit dem Anpfiff ist alles weg. Dann freue ich mich auf Fußball, dann habe ich eine Aufgabe, ja, dann geht's los.
Macht es einen Unterschied, wer auf dem Spielfeld steht, wie die Mannschaften heißen?
Nein, für mich nicht.
Macht es einen Unterschied, ob es ein Spiel in Stuttgart vor 60.000 oder in Sandhausen vor 3.000 Menschen ist?
Also grundsätzlich ist es für mich so, dass ich mich auf jedes Spiel in der ersten, zweiten, dritten Liga mega freue. Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen sozusagen, mache das seit zehn Jahren professionell und nehme jedes Spiel gleich ernst. Natürlich kennt man es als Fußballer von der großen Kulisse, das ist geil, das ist etwas Tolles. Aber wenn man auf dem Feld steht, bekommt man davon sowieso sehr wenig mit. Ich weiß, dass bei vielen Fußballfans oder bei einigen Fußballfans Schiedsrichter natürlich nicht auf der Freundesliste ganz oben stehen.
Bekommt man Schmähungen oder Beleidigungen als Schiedsrichter so mit, dass man sie wirklich richtig wahrnehmen kann?
Also in den großen Stadien nicht. Das ist irgendwie eine laute anonyme Masse. Da ziehe ich immer meinen Hut vor allen Amateurschiedsrichtern, die Woche für Woche ihr Hobby ausüben auf einem Dorf-Sportplatz vor 100, 200 Leuten. Da ist das natürlich persönlicher gerichtet. Das ist für mich auch immer schlimmer als im Stadion.
Teamwork ist wichtig
Ist es eigentlich auch ganz angenehm, dass die Schiedsrichter im Team agieren?
Definitiv. Das Spiel ist so schnell geworden, die Aufgaben so komplex in den letzten Jahren, dass ich total dankbar bin, dass wir zu sechst sind. Denn: Mit zwei Augen hätte ich gar keine Möglichkeit, das alles so umzusetzen und durchzuführen, wie es nötig wäre. Von daher ist es ganz, ganz wichtig, dass man als Team rausfährt und sich auch als Team versteht.
Wie oft ging es denn eigentlich schon unter Regenschirmen in die Schiedsrichterkabine?
Tatsächlich kann ich mich aktiv gar nicht erinnern, wann es das letzte Mal war oder ob überhaupt. Und das ist für mich auch ein gutes Zeichen, denn ich möchte ja auf dem Platz eine gute Leistung bringen, eine akzeptierte Leistung. Eine Leistung, wo danach beide Mannschaften, beide Vereine sagen, das war in Ordnung, das war fair, unabhängig vom Spielausgang. Und ja, das gelingt mir doch in der Regel häufiger als das andere, dass dann nach dem Spiel da großes Tohuwabohu wäre.
Sie haben es gesagt, die Anspannung geht bei Ihnen schon zwei, drei Tage vor der Ansetzung los. Wie ist es mit dem Abschalten nach Spielende?
Das kommt natürlich aufs Spiel an. Bei einem normalen Spiel so 24 Stunden. Die Nacht danach ist immer nicht gut, egal wie das Spiel lief. Am nächsten Morgen dann ein bisschen Regenerationstraining und die Aufarbeitung schon mit den Video-Szenen, Gespräche mit dem Coach und nach 24 Stunden kann man das dann verarbeiten. Wenn ein Spiel mal turbulenter läuft, dann dauert das schon mal zwei, drei Tage, bis man das verarbeitet hat.
Wie wichtig ist Selbstreflektion in dem Job, also die Kontrolle der eigenen Leistung?
Also Selbstreflektion ist für mich persönlich das A und O. Sie ist ganz, ganz wichtig. Wir haben ja immer einen Coach im Stadion, mit dem wir das Spiel nachher in der Kabine direkt, aber auch ein, zwei Tage danach anhand von einem internen Video-Portal mit Szenen, mit einem Coachingbogen nacharbeiten. Das ist die Grundlage, um sich immer weiter zu verbessern. Aber natürlich: Ich liebe auch Fußball, ich bin Fußball-Fan. Ich "suchte" Fußball sozusagen. Das heißt, nicht nur am Wochenende, auch unter der Woche schaue ich mir sehr gerne alle Angebote an und bin einfach ein großer Fußball-Fan.
Heftige Reaktionen auf Social Media
Ist nach dem Abpfiff tatsächlich das Spiel dann aus oder geht es im Netz, in den sozialen Netzwerken dann weiter und wenn ja, in welcher Form?
Ich bin ja einer der wenigen aktiven Schiedsrichter, der bei Instagram vertreten ist. Ich mache das, weil ich über die Schiedsrichterei berichten möchte, weil ich junge Menschen dafür motivieren möchte, Schiedsrichter zu werden und ich möchte auch aufzeigen, dass wir eigentlich wahrgenommen werden sollten. Wir sind auch Fußballer, wir sind Sportler durch und durch. Aber der Preis ist schon hoch. Ich war schon das eine oder andere Mal am Überlegen, ob ich das dort einstelle, weil es nach jedem Spiel Beleidigungen gibt, teilweise Bedrohungen. Und das ist nicht schön.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie viel Spaß macht der Schiedsrichterjob aktuell?
9, beziehungsweise 10 minus 1. Warum? Es beginnt der Herbst und der Winter. Ich trainiere jeden Tag. Das heißt, ich muss auch jetzt, wenn es nass und kalt ist, raus. Alleine zum Training. Nein, Spaß beiseite. Es macht mir sehr viel Spaß. Jedem sollte sein Job viel Spaß machen und er sollte brennen für die Sache. Deswegen freue ich mich Woche für Woche diesen privilegierten Job auch ausüben zu dürfen.
Sendung am Sa., 12.10.2024 14:00 Uhr, Stadion, SWR1