Turnen | 40. DTB-Pokal Historie - Wie ein Boykott den DTB-Pokal nach Stuttgart brachte

Stand: 28.03.2025 08:17 Uhr

Hambüchen, Seitz, Biles, Li Ning - alle turnten beim DTB-Pokal, ebenso wie der aktuelle Turnierdirektor Belenki, Bundestrainer Milbradt und der Teamarzt eines Bundesliga-Clubs. Dass es soweit kam, lag auch an einem Boykott.

Es braucht weiten Blick zurück, in die späten 1970er Jahre. Schon von 1974 an gab es einen Teamwettbewerb mit Gerätefinals - in Ingelheim und Wiesbaden: das EURO-Turnier. Robert Baur, Geschäftsführer des Schwäbischen Turnerbundes (1974 - 2012), erinnert daran in einer Chronologie, die er 2023 aufschrieb. Diese Turniere in Wiesbaden und Ingelheim habe den Verantwortlichen beim Internationalen Turnerbund (FIG) gar nicht gefallen. Die FIG unter der Leitung von Juri Titov (Sowjetunion) bestimmte den Wettkampfkalender, wollte die Idee nicht unterstützen, Länder des damaligen Ostblocks boykottierten das Turnier. Deutschlands Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980 verschärfte die Situation für ein internationales Turnturnier. "Die Veranstaltung verlor an Attraktivität und damit auch das Interesse der Städte und lokalen Ausrichter", so Baur.

Stuttgart brauchte ein Turn-Event

Bei den Deutschen Meisterschaften 1980 traf Robert Baur dann den damaligen Sportwart des Deutschen Turnerbundes, Hans-Jürgen Zacharias. Baur wusste da schon, dass in Stuttgart eine Großsporthalle gebaut werden sollte und die Stadt sich "eine attraktive Turnveranstaltung" zur Einweihung 1983 vorstellen könnte. Am 13. September 1983 wurde die "Schleyer-Halle" eingeweiht, keine vier Wochen später fand der Internationale DTB-Pokal als reines Männerturnier in Stuttgart statt.

In Stuttgart kehrt China 1983 auf die Weltbühne des Sports zurück

Mit dabei auch Turner aus China. Freitags die B-Gruppen in Heilbronn, samstags die A-Gruppen in Stuttgart Eine Sensation, denn erst ein Jahr später sollte China erstmals seit 1952 wieder an Olympischen Spielen teilnehmen. Erst Stuttgart, dann Los Angeles. Zum DTB-Pokal 1986 schickte der chinesische Turnverband den dreimaligen Olympiasieger von LA 1984, Li Ning. Nach seiner Turnkarriere startete Li Ning eine erfolgreiche Karriere als Unternehmer, gründete ein Sportlabel und entzündete - spektakulär - das Olympische Feuer bei den Spielen in Peking 2008.

Li Ning beim DTB-Pokal 1986 und bei Olympia 2008

Deutsche Sportgeschichte 1989 in Stuttgart

Schon 1984 wurde beim DTB-Pokal ein Mehrkampf für Einzelturnerinnen und -turner eingeführt. Stuttgart und der DTB-Pokal waren schlagartig attraktiv, offiziell geduldet und beworben von der FIG. 1985 gewann Dagmar Kersten (DDR) den Mehrkampf, legendäre Turnerinnen wie Daniela Silivas, Henrietta Onodi und Svetlana Boginskaja kamen nach Stuttgart, waren begeistert von der schwäbischen Gastfreundschaft und dem euphorischen Publikum. Die logische Folge. Stuttgart bewarb sich um die Turn-Weltmeisterschaften 1989 - und bekam den Zuschlag. Am Tag bevor die WM begann, wurde die Delegation der DDR von einer Schlagzeile der Bild-Zeitung aufgeschreckt. Der Titel am Freitag, 13. Oktober 1989: "Honecker: Mittwoch letzter Arbeitstag". Der damalige Pressesprecher des DTB, Wolfgang Staiger, erinnert sich heute noch an eine eilends einberufene Pressekonferenz. Ob er keine Befürchtungen habe, dass Mitglieder der DDR-Delegation in Deutschland bleiben würden, habe eine Journalistin den Generalsekretär des DDR-Verbandes Klaus Heller gefragt. Er sehe die Gefahr nicht ansatzweise, habe Heller gesagt. Zwei Wochen nach der WM fiel die Mauer. Und zwei Wochen nach dem Mauerfall wurde in Stuttgart wieder geturnt. Beim DTB-Pokal startete Valeri Belenki, noch für die Sowjetunion. Jens Milbradt im Trikot der DDR. Heute ist Belenki Turnierdirektor beim DTB-Pokal, Milbradt Cheftrainer der längst vereinigten Mannschaft der deutschen Turner.

1989 - Belenki beim DTB-Pokal für die UdSSR, Milbradt für die DDR

Siegerehrung auf dem Gabelstapler

Über das Turnier nach den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona schreibt Robert Baur in seinen Erinnerungen: "Der DTB-Pokal war herausragend, war doch fast die komplette Mannschaft der Olympiasieger Vitaly Scherbo (6 mal Gold) und Svetlana Boginskaja am Start." Nur ein Jahr später trennen die Organisatoren das Format auf, boten Gerätefinals an allen Geräten an. Der Clou. 1996 traten die besten Zwei nochmal gegeneinander an, standen danach je auf einem Gabelstapler. Wer höher nach oben gefahren wurde, hatte gewonnen. Siegerehrung auf Stuttgarter Art. 1999 wurde der DTB-Pokal Weltcup-Turnier, 2002 fand das Weltcupfinale beim DTB-Pokal statt.

Hambüchen Hype - Harry Potter verzaubert die Turnwelt

Fabian Hambüchen konnte es selbst kaum fassen, dass er im Finale am Reck stand - bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen. Und weil er Probleme mit den Kontaktlinsen hatte, startete der 16-Jährige eben mit seiner Brille und wurde über Nacht berühmt. Obwohl er nie Fan von Harry Potter war, trug er den Spitznamen mit Fassung. Als Hambüchen 2006 wieder beim DTB-Pokal antrat, war er da schon Europameister am Reck. Heute ist Fabian Hambüchen einer der erfolgreichsten Turner Deutschlands (u.a. Olympiasieger 2016 in Rio, Weltmeister 2007 in Stuttgart).

Fabian Hambüchen 2006 DTB Pokal

Eli Seitz, Kim Bui und Simone Biles rocken die Halle

2009 trat die damals 16-jährige Elisabeth "Eli" Seitz beim DTB-Pokal an, wurde direkt Dritte im Mehrkampf des Weltcups. Und "Eli" mochte die Halle, wenn sie laut war, wechselte 2013 an den Stützpunkt nach Stuttgart. Auch Kim Bui aus dem nahegelegenen Ehningen drückte dem DTB-Pokal ihren Stempel auf. Ihre Bodenübungen - meist am Ende des DTB-Pokals im Programm - waren über viele Jahre hinweg ein Highlight. 2015 wechselte der DTB-Pokal vom Herbst ins Frühjahr und galt seitdem als wichtige Vorbereitung auf Europ- und Weltmeisterschaften und auf die Olympischen Spiele. Immer mehr Stars zog es nach Stuttgart. 2019, wenige Monate vor den Turn-Weltmeisterschaften in Stuttgart, kam auch Simon Biles (USA) zum DTB-Pokal.

Simone Biles und Eli Seitz beim DTB-Pokal 2019

Der DTB-Pokal und 1899 Hoffenheim

Seit 1983 war der DTB-Pokal auch immer ein Turnier für Turnerinnen und Turner aus der Region rund um Stuttgart - wie etwa Leo Appelt. Seit ein paar Jahren gibt es Wettbewerbe wie die "Junior-Team Challenge", Nachwuchsturnerinnen und -turner treten vor großem Publikum an. Als Ralph Kern aus Leingarten bei Heilbronn beim DTB-Pokal 1986 an den Start ging, war er 19 Jahre alt und schon Deutscher Meister.

Ralph Kern beim DTB-Pokal 1986

Zwei Jahre später qualifizierte sich Kern für das Nationalteam, nahm an den Olympischen Spielen in Seoul 1988 teil. Der 16-malige Deutsche Meister nahm an vier Europameisterschaften und drei Weltmeisterschaften teil, schrieb seine Promotion über "Jet-lag im Hochleistungssport" und ist heute Mannschaftsarzt beim Fußball Bundesligisten 1899 Hoffenheim.