Fußball | Meinung Der "VfB Deutschland" - ein surrealer Traum in weiß und rot
Der VfB Stuttgart stellte in der Länderspielpause gleich sechs Nationalspieler. Die Duelle mit Bosnien und Holland wurden durch schwäbische Tore entschieden. Das fühlt sich an wie ein surrealer Traum, findet SWR-Sportredakteur Martin Bromber.
Der VfB Stuttgart stellte sechs Nationalspieler und damit mehr als der FC Bayern. Die Nations-League-Partien gegen Bosnien-Herzegowina (2:1) und Holland (1:0) wurden ausschließlich durch Tore von "schwäbischen" Spielern entschieden. Gegen die Südosteuropäer schnürte Deniz Undav einen Doppelpack, Jamie Leweling traf bei seinem Debüt gegen "Oranje".
Ich bin mir ziemlich sicher, dass mir vor gut einem Jahr kein berauschendes Mittel dieser Welt Gedanken an solch ein Szenario hätte erzeugen können. Die sportlichen Entwicklungen der einzelnen Brustringträger lassen sich kaum mehr in Worte fassen.
Jamie Leweling trumpft gegen Leipzig auf
Es war Januar. Der VfB hatte in Mönchengladbach und Bochum verloren. Alle warteten auf den "Stuttgarter Downfall". Vor der Partie gegen RB Leipzig sagte ein Kumpel zu mir: "Den Leweling schicken wir mit null Toren zurück nach Berlin". "Abwarten", erwiderte ich. 48 Minuten später fanden sich unsere Blicke im Jubelrausch nach Lewelings 3:1 wieder. Sein erstes Bundesligator für die Schwaben. Die Entwicklung des 23-Jährigen führt seit diesem Tag steil nach oben. Offensiv trifft er mittlerweile sehr oft die richtigen Entscheidungen und auch defensiv arbeitet Leweling sehr gut gegen den Ball.
Ein Schuss wie der gegen die Niederlande wäre vor einem halben Jahr in den dritten Rang der Münchner Arena gesegelt. Der "neue Jamie Leweling" schweißt das Spielgerät allerdings eiskalt in den Winkel - und entscheidet damit das Spiel gegen Holland. Unglaublich.
Maxi Mittelstädt - ein Ersatzspieler aus der Hauptstadt
Aha, ein Ersatzspieler von der Hertha. So oder so ähnlich hatte ich damals die Verpflichtung von Maxi Mittelstädt bewertet. "Den könnt ihr haben", hatten meine Berliner Freunde damals kommentiert. Inzwischen bereuen sie diese Zeilen wahrscheinlich so sehr wie die Hertha den Verkauf. Mittelstädt hat sich beim VfB zum unumstrittenen Stammspieler und Leistungsträger auf der linken Abwehrseite entwickelt und wirbelt zusammen mit den anderen VfB-Offensivspielern manche gegnerische Abwehr durcheinander. Bei der Heim-EM war Mittelstädt zunächst sogar im DFB-Team auf der linken Seite gesetzt. Gegen Holland zeigte er eine sehr starke Defensivleistung. Ein Tor (wie im Hinspiel) verpasste er nur knapp.
Angelo Stiller - nur sechs Partien für Hoffenheim
Die Sorge nach dem doch sehr plötzlichen Wechsel von Wataru Endo zum Anfang der vergangenen Saison war groß. Schnell war mit Angelo Stiller eine Alternative aus Hoffenheim gefunden. Unter Ex-VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo hat Stiller nur sechs Spiele bestritten. Im Brustring-Trikot konnte er von Minute eins an überzeugen. Mit Atakan Karazor harmoniert er im defensiven Mittelfeld auf beeindruckende Art und Weise. In seiner Heimatstadt München stand der 23-Jährige entsprechend erstmals in der Startformation der Nationalmannschaft. Zusammen mit Aleksandar Pavlovic ist Stiller möglicherweise die Zukunft im defensiven Mittelfeld der Nagelsmann-Elf.
Deniz Undav - lohnt sich das viele Geld?
Deniz Undav ist der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte des VfB Stuttgart. Wie viele andere habe auch ich mir die Frage gestellt, ob der finanzielle Aufwand gerechtfertigt ist. Im Schatten von Serhou Guirassy erzielte Undav in seiner Premieren-Saison 18 Bundesligatore und strafte damit viele Kritiker in meinem Umfeld ("Der ist zu dick. Der schießt keine zehn Tore....") Lügen. Auch nach der endgültigen Verpflichtung ist kein Leistungsabfall zu erkennen. Undav trifft in der Champions League. Undav trifft in der Bundesliga. Und Undav trifft auch in der Nationalmannschaft. Mit seinem Doppelpack gegen Bosnien-Herzegowina entschied er die Partie im Alleingang.
Chris Führich - Probleme bei der Entscheidungsfindung
Wie oft habe ich mich selbst dabei ertappt, sämtliche Entscheidungen in aussichtsreichen Offensivaktionen von Chris Führich zu kritisieren. Aber auch der "klassische Zweitliga-Spieler" hat eine richtig starke Entwicklung genommen. Mit dynamischen Dribblings, gutem Tempo und einer mittlerweile sehr guten Entscheidungsfindung war Führich in der abgelaufenen Saison aus dem Stuttgarter Mittelfeld kaum mehr wegzudenken, auch wenn er aktuell vielleicht eine kleine Schaffenskrise durchläuft. Im äußerst gut besetzten DFB-Mittelfeld hat er sich zu einer ernst zu nehmenden Alternativen auf der linken Außenbahn entwickelt.
Alex Nübel - Leihgabe des FC Bayern
Mit der Leihe von Alexander Nübel sind dem VfB Stuttgart zwei Dinge gelungen: Es steht (wieder) ein Keeper im Tor, der Sicherheit ausstrahlt, seine Mitspieler motiviert und auch Fehler schnell wegstecken kann. Und auch der Spielaufbau ist durch den 28-Jährigen deutlich kreativer und gefährlicher geworden. Immer wieder führen Nübels Entscheidungen im Aufbau zu gefährlichen Situationen vor dem gegnerischen Tor. Im Nationalteam ist Nübel hinter Oliver Baumann derzeit die Nummer zwei.
Der "VfB Deutschland" - es fühlt sich an wie ein Traum, der niemals endet. Aber viel Zeit zum genießen bleibt kaum. Am Samstag geht es in München gegen den FC Bayern und am Dienstag geht's nach Turin - bei Juventus in der Champions League!
Sendung am Di., 15.10.2024 6:00 Uhr, SWR Aktuell am Morgen, SWR Aktuell