Kommentar Richtige Argumente, falsch transportiert: Warum Union zurecht sauer über die Wertung des Bochum-Spiels ist und doch daneben liegt
Das nachträglich für den VfL Bochum gewertete Spiel bei Union Berlin lässt die Vereinsverantwortlichen der Köpenicker nicht zur Ruhe kommen. Warum sie in der Sache Recht haben mögen und doch auch Angriffsfläche bieten. Ein Kommentar von Ilja Behnisch
Mit der Verhältnismäßigkeit ist es immer so eine Sache. Weil sie zumeist nicht gemessen, sondern nur empfunden werden kann. Bestes Beispiel: So ziemlich alles, was nach dem Spiel des 1. FC Union gegen den VfL Bochum passierte. Ein an sich eher zäh anzuschauendes Stück Fußball, das kurz vor seinem regulären Ende durch den Feuerzeugwurf gegen Bochums Torhüter Patrick Drewes einen entscheidenden Twist erhielt und seither viele Gemüter erhitzt.
Nach dem DFB-Sportgerichtsurteil, das aus einem 1:1 sportlicher Natur ein 2:0 für Bochum per Richterspruch machte, ganz besonders erhitzt: das Gemüt von Dirk Zingler, Präsident des 1. FC Union.
Horst Heldt fürchtet gar Wett-Manipulationen
Der hatte schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung in einem Statement davon gesprochen, mit diesem Urteil sei in Zukunft jedem "Schmierentheater Tür und Tor geöffnet". Und überhaupt: Skandal!
Immer wieder nutzte Zingler in den vergangenen Tagen dieses Wort, zuletzt mehrfach vor dem Spiel beim 1. FC Heidenheim. Unions Geschäftsführer Kommunikation, Christian Arbeit, sprach davon, das Urteil widerspreche der Rechtsauffassung des Klubs.
Und Horst Heldt, Geschäftsführer Sport bei Union, legte in einer Sendung des TV-Senders Sky nach, behauptete, dass nun auch Wett-Manipulationen möglich wären ("In Asien kann man auf alles setzen.") und fragte, was eigentlich der DFB-Kontrollausschuss in der Verhandlung zu suchen gehabt habe, dessen einzige Agenda dann auch noch gewesen sei, den Schiedsrichter der Partie nachträglich "hopszunehmen". Wobei, das zur Klärung, der Kontrollausschuss laut Richtlinie durchaus dazu da ist, "Zuschauerfehlverhalten (…) sportlich zu sanktionieren."
Der Verein macht sich kleiner als er ist
Nun gibt es Stimmen, die Unions Gemüter nicht nur erhitzt finden, sondern die Reaktion des Vereins als ganzheitlich drüber bewerten. Allerdings stelle man sich einmal vor, dem FC Bayern München wäre ein solches Unheil zu Zeiten von Ex-Manager Uli Hoeneß passiert. Der selbsternannte Leiter der "Abteilung Attacke" hätte angesichts einer Bayern-Niederlage am grünen Tisch vermutlich mindestens die Demokratie der gesamten Bundesrepublik in Gefährdung gesehen. Und auch seine Manager-Kollegen sind und waren in Streitfragen eher selten für ihre moderaten Töne berühmt. Vielleicht, weil man immer etwas höher ansetzen muss, um möglichst nah an der eigenen Zielgabe zu landen. So als wäre der Austausch von Argumenten ein Pokerspiel.
Nun hat das Zetern gegen Entscheidungen von Obrigkeiten fast schon etwas Traditionelles bei Union. Man erinnere sich an die fortwährenden Vorstöße und Eigeninitiativen der Köpenicker, als es während der Corona-Pandemie darum ging, wieder vor Zuschauern zu spielen. Man könnte das als Teil einer gesunden Diskurs-Kultur verstehen. Und doch ereilt einen zuweilen das Gefühl, dass Union sich in solchen Fällen hinter einer Outsider-Wagenburgmentalität verschanzt, die längst kleiner ist als der auf fast 70 Tausend Mitglieder angewachsene Verein.
Worüber verhältnismäßig wenig gesprochen wird
Viele Argumente Unions lassen sich sehr gut nachvollziehen. Denn tatsächlich unterwandert das Urteil die Souveränität des Schiedsrichters, der sich vor Ort und in Absprache mit beiden Teams darauf verständigt hat, die Partie zu Ende zu bringen. Tatsächlich ist für gastgebende Vereine schlicht nicht zu verhindern, dass Gegenstände auf das Spielfeld geworfen werden. Und die Bestrafung der Mannschaft in Folge der Tat eines Zuschauers eine Art Kollektivstrafe, die es im Fußball eigentlich nicht mehr geben soll.
Und immerhin zeigte sich Sportgeschäftsführer Horst Heldt auch einsichtig. Auf die Frage, ob er als Bochumer Verantwortlicher nicht ebenfalls Protest gegen die Spielwertung eingelegt hätte und somit alles versucht hätte, um die bedrohliche Lage des Klubs im Abstiegskampf zu verbessern, sagte Heldt: "Kann ich nicht mit ja und nein beantworten. Ehrlicherweise kann ich das nicht sagen." Das Vorgehen der Bochumer wurde zuvor von Unioner Seite als - natürlich - skandalös bewertet. Womit wir wieder bei der Verhältnismäßigkeit wären.
Worüber übrigens verhältnismäßig wenig gesprochen wird, nachdem ein Mensch von einem Gegenstand am Kopf getroffen wurde, dem im Nachgang von mancher Seite auch noch Schauspielerei vorgeworfen wurde: dass es als verhältnismäßig normal angesehen wird, dass Menschen mit Dingen auf Menschen werfen. Oder um es mit Dirk Zingler zu sagen: Skandal.
Sendung: rbb|24 Inforadio, 13.01.2025, 19:15 Uhr