Leichtathletik Leichtathletik in Deutschland: Eine breite Basis, aber keine Aufmerksamkeit
Die Leichtathletik zählt in Deutschland immer noch zu den beliebtesten Sportarten. Als Publikumssport tut sie sich allerdings schwer. Wie der Weltverband dagegenwirkt und welche Rolle Kurzevents wie das Istaf Indoor Berlin haben. Von Lynn Kraemer
Die Olympianorm erfüllt Kristin Pudenz bereits. Jetzt geht es für sie darum, als eine der drei besten deutschen Diskuswerferinnen vom Verband für Paris 2024 nominiert zu werden. Am Freitagabend tritt die Potsdamerin vor 12.000 Zuschauenden beim Istaf Indoor in Berlin an, aber außerhalb des normalen Wettkampfformats. Beim Diskus-Duell steht neben der sportlichen Leistung auch der Show-Aspekt im Vordergrund. Vier Frauen treten im Team gegen vier Männer an. "Es ist etwas ganz Besonderes, dass wir dann allein im Fokus stehen. Das haben wir nicht ganz so oft", so die Olympia-Zweite von Tokio.
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Es ist der Versuch, Leichtathletik auch für Sportinteressierte ohne große Fachkenntnisse zum Erlebnis zu machen. Denn wenn Pudenz bei großen Spitzenevents am anderen Ende der Welt oder kleineren Meetings in Deutschland antritt, bekommt Leichtathletik-Deutschland das außerhalb einer WM oder EM kaum mit.
Die Basis ist da
Dabei sind die Ausgangsvoraussetzungen gut. Die Leichtathletik gehört zu den mitgliedsstärksten Sportarten in Deutschland. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) zählte 2023 über 775.000 Mitglieder und ist damit der sechstgrößte Sportverband. Außerdem bekommt er die mit Abstand höchste Fördersumme aller Olympischen Sportarten. 2023 lag die Bundeszuwendung bei über 10.6 Millionen Euro.
"Die Leichtathletik hat allerbeste Startvoraussetzungen, um bei Kindern als Sportart gut anzukommen", so Sportwissenschaftler Harald Lange von der Universität Würzburg. Durch die Bundesjugendspiele würde jedes Kind mit den Disziplinen in Berührung kommen: "Das ist ein nicht zu unterschätzender Strukturvorteil, der sich auch bezahlt macht." Wer dabei gute Erfahrungen sammele, stünde der Leichtathletik auch später positiv gegenüber. Weltweit ist der DLV der mitgliedsstärkste Leichtathletik-Verband.
Deutschland ist für den Weltverband nur bedingt relevant
Die große Basis übersetzt sich jedoch nicht in eine regelmäßige mediale Aufmerksamkeit für den Sport. Das liegt nicht nur an zuletzt ausbleibenden Medaillenerfolgen wie bei den letzten Weltmeisterschaften in Budapest, sondern auch an fehlender Kontinuität. Die Leichtathletik hat zwar früh erkannt, dass eintägige Meetings, die zwischen den großen Highlights stattfinden, für mehr Aufmerksamkeit sorgen, allerdings sind diese vom Weltverband nicht klar strukturiert und schwanken in ihrer Attraktivität. Zugegebenermaßen ist es auch schwerer die Leichtathletik mit ihren vielen Disziplinen und Regelwerken zu vermarkten als klassische Mannschaftssportarten. "Wenn man als Nicht-Leichtathlet im Stadion ist, ist man oft ein bisschen erschlagen von allem, was so passiert", sagt Diskuswerferin Pudenz. Man bräuchte ein Konzept, um die Zuschauer besser mitzunehmen.
Der Weltverband promotet vor allem die Diamond League. Die jeweils 16 Disziplinen der Männer und Frauen und die 15 Standorte sind seit Jahren unverändert. Die Diamond League findet neben einigen europäischen Stopps, Marokko und den USA auch im chinesischen Xiamen und Suzhou sowie Doha statt, weil dort ein neuer Markt gesehen wird.
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Im Teilnehmerfeld sind aktuell nur wenige Deutsche. Kristin Pudenz wird als eine der weltweit besten Diskuswerferinnen immer wieder zur Diamond League eingeladen. Weil der Zeitplan, aber nicht optimal auf andere Großevents abgestimmt ist, lässt sie auch Etappen aus. "Ich gucke mit meinem Trainer: Wann liegen die wichtigen Wettkämpfe? Zum Beispiel haben wir eine Diamond League am 25. Mai. Das ist aber zwei Wochen vor unserer Europameisterschaft. Die werde ich dann nicht mitmachen, weil sie in den USA ist." Der mögliche Jetlag würde die Vorbereitung stören. Bei den letzten zehn Ausgaben gab es bei 320 vergebenen Titeln nur acht deutsche Gewinnerinnen und Gewinner in der Diamond League.
"Kommerziell ist [Deutschland] ein wichtiges europäisches Land, aber der Sport passiert in Kreisläufen", sagte Sebastian Coe, Präsident des Weltverbands, vor zwei Jahren bei den Weltmeisterschaften in Eugene. Athleten seien keine Roboter und Verbände keine Förderbänder [sportschau.de]. Die Serie wird vor allem von Athletinnen und Athleten aus den USA und Kenia dominiert. Es ist eine logische Folge, dass die Diamond League in Deutschland nur hinter der Bezahlschranke von Sky Sport verfolgt werden kann.
Istaf kann Berlin, aber nicht die Welt bewegen
Unter der Eliteliga folgt eine Vielzahl an Meetings, die unter dem Mantel der World Athletics Continental Tour laufen. Allein in Deutschland waren im letzten Jahr 41 Meetings offizieller Teil der Tour. Welche Disziplinen ausgetragen werden, variiert je nach Standort. Anders als in anderen Sportarten gibt es jedoch keine Tour-Gesamtrangliste oder einen verbindenden Faktor, der Spannung für das Publikum und mögliche TV-Übertragungen über einzelne Meetings hinaus erzeugt. Auch eine gemeinsame Werbestrategie, um mögliche Leichtathletik-Fans bundesweit zu erreichen, fehlt. Wer viel Aufwand betreibt, hat eine volle Halle und bekommt im Kleinen Aufmerksamkeit. Die anderen Veranstaltungen gehen zwischen den strukturierteren Events anderer Sportarten unter.
So hat das Istaf Indoor Berlin einen Weg gefunden, Jahr für Jahr die Mercedes-Benz Arena zu füllen. "Leichtathletik in einer Groß-Arena, ohne Rundbahn, mit viel Show und Musik, Sportlern im Mittelpunkt – da waren vor elf Jahren die Bedenken groß, dass die sportliche Leistung leidet", sagt Istaf-Meetingdirektor Martin Seeber. Die Bedenken hätten sich jedoch nicht bestätigt. Der hohe Produktionsaufwand sorgt für einen Wettkampf mit wenigen Pausen, der in der Arena, aber auch vor dem Bildschirm interessant ist. Der Austausch zwischen den Aktiven und Fans wird durch eine fest integrierte Fan-Zone gefördert. Elemente wie das Diskus-Duell bieten zusätzliche Abwechslung.
"Die Leichtathletik darf sich nicht über Rekorde definieren und in der Öffentlichkeit ausschließlich über fehlende Medaillen diskutieren. Die Leichtathletik kann viel mehr, wir müssen Geschichten erzählen, wir haben wahnsinnig spannende Charaktere", so Seeber. Wer Medaillen gewinnt, erhöht seine Chance auf Aufmerksamkeit, aber wer eine gute Geschichte zu erzählen hat, tut das im Zweifelsfall auch. Als Einzelevent kommt das Istaf allerdings nicht gegen die Medialisierung der anderen Sportarten an.
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Geschichten als Lösung
Auch der Weltverband versucht auf Storytelling zu setzen. So begleitete Streaminganbieter Netflix zuletzt die besten Sprinter der Welt für eine Serie, die hinter die Kulissen der Leichtathletik blickt. Der Sechsteiler soll im Sommer 2024 veröffentlicht werden und an die Erfolge von Serien wie "Drive to Survive" anknüpfen. Die Serie geht demnächst in die sechste Staffel und half der Formel 1 vor allem den US-Markt und ein junges Publikum stärker für sich zu gewinnen. Ob sich der Leichtathletik-Ableger auch positiv auf die öffentliche Wahrnehmung des Sports auswirkt, bleibt abzuwarten.
Denn bis der Weltverband ein klares Meeting-Konzept über die Diamond League hinaus hat, sind die Landesverbände weiter auf Meetings wie das Istaf und die Vereinsarbeit angewiesen, um die Leichtathletik abseits von den internationalen Großevents und Medaillenerfolgen zu stärken.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.02.2024, 15:15 Uhr