Torschütze Robin Gosens. (Foto: dpa)

Remis in Überzahl Keine Werbung für Unions Mannschaft

Stand: 30.11.2023 08:46 Uhr

Im ersten Spiel von Nenad Bjelica als Union-Trainer holt die Mannschaft einen Punkt, der sich anfühlt wie ein verschenkter Sieg. Die Eisernen spielten 60 Minuten in Überzahl, boten aber eine schwache Leistung. Von Till Oppermann

Besonders aufgeregte Sportjournalisten greifen in besonders außergewöhnlichen Momenten zuweilen auf eine besonders häufig bemühte Phrase zurück. "Werbung für den Fußball" heißt es dann, wenn zwei gute Mannschaften auf Augenhöhe spielen, wenn viel Tempo im Spiel ist, wenn ein Stürmer erst fein den Ball annimmt und ihn dann in den Winkel zirkelt.
 
Hätten diese Sportjournalisten den Auftrag bekommen, über Union Berlins Gastspiel bei Sporting Braga zu berichten, müssten sie sich etwas Neues einfallen lassen. Das Champions League-Spiel auf dem vom nordportugiesischen Regen aufgeweichten Platz im Estádio Municipal de Braga war das Gegenteil von Werbung für den Sport.

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Wäre die Königsklasse eine Zigarettenschachtel, wäre Union gegen Braga das Foto einer schwarzen Lunge auf der Packung. Ein überforderter Schiedsrichter, viele Fehlpässe und wenig Kreativität ergaben ein Spiel, das problemlos als Warnhinweis dafür dienen könnte, was mit einem Abend passieren kann, wenn man sich dafür entscheidet, Fußball zu gucken.
 
Immerhin: Zum Debüt des neuen Trainers Nenad Bjelica holte Union einen Punkt und wahrte zumindest theoretisch die Chance, europäisch zu überwintern. Das war es dann aber auch schon mit den guten Nachrichten. Union ist mittlerweile seit 16 Spielen sieglos.

Tor gibt Vorgeschmack auf Bjelicas Spielidee

In der Analyse war Bjelica nachsichtig mit seinen Spielern. Natürlich habe er sich mehr gewünscht, sagte der Kroate, "aber es war ein solides Spiel". Obwohl ihm vor seiner ersten Partie als Union-Coach nur zwei Trainingseinheiten blieben, um die Mannschaft auf Braga einzustellen, war sein Einfluss bereits sichtbar.
 
Bjelica will etwas ändern, das wurde schon mit der Startaufstellung klar: Aus Unions typischer Fünferkette wird unter dem neuen Trainer eine Viererkette. "Wir haben dann einen Mann mehr im Mittelfeld", erklärte Torschütze Robin Gosens, der in Braga etwas offensiver spielte als gewohnt. "Wir wollen mehr spielerische Elemente und mehr Tiefenläufe", so Gosens weiter.
 
Sein Führungstor in der 42. Minute gab seinem Trainer Recht. Nach einem Ballgewinn im Mittelfeld startete Linksverteidiger Jerome Roussillon auf der Außenbahn durch und wurde von Rani Khedira mit einem gechippten Pass in den Lauf eingesetzt. Roussillon spielte den Ball danach zum ebenfalls gestarteten Gosens, der zur Führung traf. "Ich bin kein Trainer, der fünfzig Kontakte bis zum Torabschluss braucht", hatte Bjelica auf seiner Einstandspressekonferenz angekündigt. Wenn Gosens von "zwei bis drei neuen Spielideen" sprach, die in den ersten Trainings geübt wurden, waren die Chippässe auf Spieler, die sich außen in der Tiefe anbieten, mit Sicherheit eine davon.

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Union trotz Überzahl gefühlt in Unterzahl

Zur Wahrheit über das Tor gehört aber auch, dass es in einer Phase fiel, als Braga frisch in Unterzahl geraten war. Nach einer roten Karte für Niakaté hatten die Unioner ab der 30. Minute kurzzeitig das Kommando übernommen. Die Spieler kamen besser in die Zweikämpfe und der Ball lief etwas weniger holprig.
 
Für 15 Minuten sah es so aus, als könnte die Mannschaft einen Rhythmus finden, der sie zum Sieg führt. Das erwies sich aber spätestens in der 52. Minute als Trugschluss, als Josip Juranovic mit einem haarsträubenden Fehlpass im Spielaufbau Braga den Ausgleich auflegte.
 
Trotz ihrer Unterzahl reichte den Gastgebern eine biedere Leistung, um zu dominieren. "Wir hatten in der zweiten Halbzeit das Gefühl, ein Mann weniger zu sein", gab Gosens zu. Unions Unsicherheit nach dem individuellen Patzer erklärt die vielen Fehlpässe und die fehlende Spielkontrolle.

Das ist allerdings nicht die einzige Erklärung: Denn Braga zeigte insbesondere in der zweiten Halbzeit, wie man lange Bälle nutzen kann, um Union wehzutun. Weil die Mannschaft von Artur Jorge um Unions schwaches und fehlerbehaftetes Aufbauspiel aus der Abwehr heraus wusste, spielte sie immer wieder hoch und weit hinter die Viererkette. Diese Pässe hatten nicht primär das Ziel anzukommen, sondern dienten dazu, Union weit hinten reinzudrücken und tief in der Berliner Hälfte die zweiten Bälle zu gewinnen.
 
Gleichzeitig war es so unmöglich, Braga früh zu pressen. Weil die Innenverteidigung mit den eher langsamen Robin Knoche und Diogo Leite tief stehen musste, um die langen Pässe zu verteidigen, mussten auch die Angreifer konservativer verteidigen. Sonst wäre der Abstand zwischen Unions Reihen zu groß geworden. Das war nicht schön, aber erfolgreich: Trotz Überzahl ihrer kamen die Köpenicker selten in Zweikämpfe.
 
Man müsse aggressiver sein und mutiger sein, monierte Rani Khedira deshalb. Noch viel dringender muss es Union endlich gelingen, so viel Ballkontrolle im Spielaufbau zu erlangen, dass es sich kein Gegner mehr erlauben kann, den Ball herzugeben.

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Bjelica muss psychologisch und sportlich arbeiten

"Wir werden positiv bleiben, die guten Aspekte mitnehmen und weiter hart arbeiten", versprach Aïssa Laïdouni. Auf Nenad Bjelica und warten bis zur Winterpause zwei große Aufgaben. Zuallererst muss er seine Spieler mental aufrichten. Individuelle Fehler wie vor dem Ausgleich und die darauffolgende Unsicherheit im Passspiel kann sich Union im Abstiegskampf nicht erlauben. Außerdem muss er die Abläufe im Ballbesitzspiel seiner Mannschaft verbessern. Dass der Ausgleich direkt auf eine seiner Ideen zurückzuführen war, wird ihm bei der Akzeptanz in der Mannschaft helfen. Die Akzeptanz der Fans gegenüber der Mannschaft dürfte nach ihrer schwachen Leistung in Portugal weiter gesunken sein. Da hilft auch kein Punkt.

Sendung: rbb24 Abendschau, 30.11.23, 19:30 Uhr