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Kommentar zur Berliner Krise Die Fiél-Entlassung kann nur der Anfang bei Hertha sein
Nach der vierten Niederlage in Folge muss Trainer Cristian Fiél Hertha BSC verlassen. Doch sein Scheitern ist auch das Scheitern der Berliner Verantwortlichen. Hertha steckt in der Krise und muss alles auf den Prüfstand stellen. Von Marc Schwitzky
Cristian Fiél hatte es bereits geahnt. Nach der bitteren 1:2-Niederlage gegen Fortuna Düsseldorf am Samstagabend sagte er: "Wenn die Ergebnisse so sind, wie sie sind, hilft es auch nicht, dass die Mannschaft lebt. Ergebnisse sind entscheidend. Da waren wir in den letzten Wochen nicht gut genug. Wenn du von fünf Spielen vier verlierst, hast du nicht viele Argumente."
Denn ja, am 22. Spieltag zeigte Hertha BSC einmal mehr, dass die Mannschaft zu guten Leistungen fähig ist – aber kaum zu guten Ergebnissen. Der Auftritt in Düsseldorf sollte zum Spiegelbild der bisherigen Saison werden und letztendlich zur Entlassung Fiéls führen. Der 44-Jährige ist an Hertha gescheitert - der Verein aber auch an sich selbst.
Das Ergebnis: 25 Punkte nach 22 Spielen, zwei Siege und nur 13 Tore aus den letzten zwölf Spielen, vier Niederlagen in Serie – und nur noch fünf Zähler Abstand auf den Relegationsplatz 16. Die Berliner sind offiziell im Abstiegskampf der 2. Bundesliga angekommen. Eine mehr als enttäuschende Bilanz, die schon beinahe zwangsläufig zu Fiéls Aus geführt hat.
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Skepsis von Beginn an
Die Berliner Verantwortlichen verbanden große Hoffnung mit Fiél. So groß, dass sie im vergangenen Sommer bereit waren, eine Ablöse im mittleren sechsstelligen Bereich an Liga-Konkurrent Nürnberg für ihn zu bezahlen. Schon damals machte sich Skepsis breit, denn Fiél will zwar für mutigen, erfolgreichen Fußball stehen, doch predigte er hier von einem gelobten Land, das er selbst nie betreten hatte.
Sowohl in Dresden als auch in Nürnberg – seine beiden vorherigen Trainerstationen – hatte er keinen nachhaltigen Erfolg. Im Gegenteil. Auch bei Dynamo Dresden musste er vorzeitig gehen, in Nürnberg sah es zwischenzeitlich ebenfalls nach frühzeitiger Trennung aus. Und dieser Trainer sollte das ambitionierte Projekt Aufstieg umsetzen können?
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Cristian Fiél bei seiner Vorstellung als neuer Trainer von Hertha BSC. (Foto: IMAGO / Matthias Koch)
Bei Hertha gelang es Fiél recht schnell, die eigenen Ideen von dominantem Ballbesitzfußball mit hohem Pressing in Ansätzen erkennen zu lassen. Herthas Mannschaft, die unter Vorgänger Pal Dardai noch uninspiriert und ängstlich mit dem Ball wirkte, schwang sich in nahezu allen relevanten Ballbesitz-Statistiken zu den Topteams der 2. Bundesliga auf.
Doch wie schon in Dresden und in Nürnberg gelang es Fiél in 22. Spieltage nur überaus selten, die eigenen Ideen in Erfolge umzumünzen.
Trotz einiger netter Auftritte, unglücklichen Spielverläufen und guten Spielphasen hakte es unter Fiél von Beginn an. Hertha spielte sich nie in einen Rausch unter dem leidenschaftlichen Trainer, der für seine Idee brennt und intern bis heute menschlich sehr geschätzt wird. Unter seiner Führung war die Saison ein stetes Auf-und-ab. Nie schafften die Berliner mehr als zwei Siege bei Liga-Spielen am Stück.
Die große Unbeständigkeit
Phasen, in denen Hertha wunderbaren Fußball spielte, und Phasen, in denen aus unerklärlichen Gründen nichts gelang, wechselten sich besorgniserregend oft ab. Jene Phasen hatten meist nur gemeinsam, dass Hertha als Verlierer aus ihnen hervorging. Frustrierend: Für gute Spielintervalle belohnte sich die Mannschaft Weise nicht. Nahm Hertha ein wenig den Fuß vom Gas, führte das fast immer zu Gegentoren.
Fiél und seinem Trainerteam gelang es bis zum Schluss nicht, die nötige Beständigkeit ins Team zu bekommen. Sie scheiterten an den vielen individuellen Fehlern der Spieler, der schwachen Entscheidungsfindung im vordersten Angriffsdrittel, der mangelnden Effizienz, der nötigen Konzentration bei Standardsituationen – und fanden über 25 Pflichtspiele keine durchschlagende Lösung. Lösungen für das eigene Spiel finden, ist aber nun einmal die Kernaufgabe von Trainern.
Fiél schaffte es nie über die (nötige) Phase von Ansätzen hinaus. Es wirkte, als habe er im Gegensatz zu Dardai, der die Mannschaft taktisch im Freien schlafen ließ, spielerisch immerhin ein Haus gebaut, jedoch keine Zeit oder kein Geld für die nötigen Möbel gehabt. Es fehlten die entscheidenden Details, die nötigen Anpassungen – und wenn sie kamen, dann meist zu spät. Fiél wirkte immer verlorener und ratloser, auch wenn das Band mit der Mannschaft bis zuletzt stabil wirkte. So entwickelte sich eine negative Eigendynamik, aus der Hertha nicht mehr herausfand und die zu Fiéls Aus führte.
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Fiéls Scheitern ist Herthas Scheitern
Cristian Fiél kam zu Hertha, um im Aufstiegsrennen mitzumischen. Dass die Blau-Weißen nach 22 Spielen stattdessen mit einem Bein im Abstiegskampf stecken, ist auch am Trainerteam festzumachen. Bei allen verständlichen Hindernissen wie Verletzungen und unglücklichen Spielverläufen war es schlicht zu wenig. Fiél muss wohl nicht aufgrund bitterer Niederlagen wie gegen Düsseldorf, Kaiserslautern oder den HSV gehen, sondern aufgrund unerklärlicher Blamagen wie gegen Regensburg, Münster, Fürth, Ulm oder Elversberg. Fiél geht als uneingelöstes Versprechen.
Nun einen neuen Impuls setzen zu müssen - mag sich nach der honorigen Leistung am Samstagabend falsch anfühlen -, ist aufgrund des tabellarischen freien Falls aber die richtige, womöglich sogar überfällige Entscheidung. Doch es würde zu kurz greifen bei Hertha nur auf den Trainer zu blicken. Denn: Fiéls Scheitern ist auch das Scheitern des gesamten Vereins.
Denn unabhängig von der Trainer-Personalie gelingt es der "alten Dame" seit Jahren nicht, auch nur phasenweise an die Grenze des eigenen Potenzials zu stoßen. Hier muss der Blick - anders als in der Tabelle - nach oben gehen. Die Berliner Verantwortlichen um Sportdirektor Benjamin Weber, den Leiter der Lizenzspielabteilung Andreas "Zecke" Neuendorf und Geschäftsführer Thomas E. Herrich gingen mit Fiél bewusst ein Risiko ein. Sie sicherten dies aber weder mit einem guten Trainerteam oder den notwendigen Veränderungen im Kader ab.
Ein unzureichender Staff
Fiél, der erst seine dritte (beinahe) vollständige Profi-Saison als Trainer leitete, hätte einen erfahrenen Staff gebraucht. Mit Jaime Monroy und Patrick Ebert erhielt er jedoch Co-Trainer, die in ihren Aufgabenbereichen sogar noch unerfahrener sind. Mit Jerome Polenz wollte Fiél einen engen Vertrauten als Assistenztrainer aus Nürnberg mitbringen, durfte dies aber nicht. Für diese Position war U19-Trainer Oliver Reiß vorgesehen. Reiß fühlte sich jedoch nicht genug wertgeschätzt, nahm die Rolle nicht an und verließ den Klub stattdessen.
Ein mehr als unglückliches Bild, das davon komplettiert wird, dass mit Armin Reutershahn im Winter ein neuer Assistenztrainer hinzugeholt wurde – aber erst nach dem so wichtigen Trainingslager.
Es passt nicht zusammen: Für einen jungen Trainer, der noch keinen großen Erfolg in seiner Vita stehen hatte, tief in die Tasche zu greifen – um dann nicht die richtigen Rahmenbedingungen für das tägliche Arbeiten zu schaffen, damit sich dieser entfalten kann. Das ist allein deshalb schon nicht zu erklären, weil das Aus von Pal Dardai schon lange feststand und mit viel Weitsicht Personalentscheidungen frühzeitig hätten getroffen werden können. Sich hier von Entwicklungen überraschen zu lassen, zeugt von fehlender Strategie.
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Andreas "Zecke" Neuendorf (l.) und Benjamin Weber stehen in der Kritik.
Die Tabakovic-Lücke
Auch der Spielerkader ist von schlechten Entscheidungen geprägt. Zwar ist hinlänglich bekannt, dass Hertha wirtschaftlich nicht dazu in der Lage war, die Angebote im Sommer für Marc Oliver Kempf und Haris Tabakovic abzulehnen – doch die beiden Spieler zu verkaufen und nicht hinreichend für Ersatz zu sorgen, grenzt an Selbstsabotage.
In der Innenverteidigung hatten die Verantwortlichen durch die Verletzung von John Anthony Brooks Pech. Doch keinen Mittelstürmer geholt zu haben - auch im Winter nicht -, war eine Fehlleistung. Florian Niederlechner, Luca Schuler, Smail Prevljak und Derry Scherhant haben allesamt bewiesen, die Tabakovic-Lücke nicht ansatzweise schließen zu können. Fehlende Effizienz, Strafraumpräsenz und das Vermissen des nötigen Wandspielers waren die Folgen. Auch der beste Trainer kann sich die nötigen Spielerprofile für sein Spiel nicht backen. Hier braucht es die Zuarbeitet der sportlichen Verantwortlichen.
Offensichtliche Lücken und Schieflagen im Kader wurden bis heute nicht behoben. Wohl auch, weil das Geld fehlte. Geld, das in den Ablösen und Gehältern von Transferflops steckt wie Prevljak, Andreas Bouchalakis, Bilal Hussein, Jon Dagur Thorsteinsson oder Palko Dardai. Weber und Neuendorf haben in den letzten zwei Jahren auf dem Transfermarkt eine äußerst durchwachsene Bilanz vorzuweisen.
Alles muss auf den Prüfstand
Auch in anderen sportlichen Abteilungen des Vereins herrscht entweder personelle Stagnation oder sogar wirtschaftlich bedingter Abbau von Ressourcen. Ob Mannschaft, Trainerteam, Scouting, Videoanalyse oder Athletikbereich - Hertha fehlen ganz offenbar Kompetenz und Leistungskultur. Das strahlt unabdinglich auf die Darbietungen auf dem Feld aus. Selten wirken die Blau-Weißen wie das willigere und cleverere Team. Da weder Präsidium noch Geschäftsführung große sportliche Kompetenz besitzen, fehlt ein Korrektiv zu Webers und Neuendorfs Entscheidungen.
Hier ist der Trainer nur ein Zahnrad von vielen. So wäre es töricht zu glauben, dass nach Fiéls Entlassung eine Wunderheilung einkehrt und Hertha urplötzlich eine erfolgreiche Ära einläutet. Die Probleme liegen tiefer und können nur behoben werden, wenn sich der gesamte Verein ehrlich macht und den "Berliner Weg" nicht dafür missbraucht, offensichtliche Defizite und Fehlentwicklung zwecks einer selbst aufgelegten Harmonie-Klausel nicht anzusprechen. Es braucht Reibung für sportlichen Erfolg. Nur den Trainer zu tauschen und abseits dessen unbeirrt weiterzumachen, würde bestätigen, dass Hertha das eigentliche Problem nicht sieht – oder sehen will.
Sendung: rbb Der Tag, 16.02.2025, 18 Uhr