Ein umstrittener Chef und drei Assistenten Alba Berlin: Der außergewöhnliche Trainerplan des Basketball-Bundesligisten
Alba Berlins Cheftrainer Israel Gonzalez erlebt mit seinem Team bislang eine Saison zum Vergessen. Sein auslaufender Vertrag und die Verpflichtung von Pedro Calles schienen sein Aus im kommenden Sommer zu besiegeln – ein Irrglaube. Von Jakob Lobach
Exakt 84 Tage ist es her, dass im norddeutschen Oldenburg die Entlassung von Pedro Calles bekannt wurde. Zweieinhalb Jahre zuvor als junger, aufstrebender Cheftrainer verpflichtet, war der Spanier in Niedersachsen zunehmend in basketballerische Ungnade gefallen. Auf bittere Bundesliga-Niederlagen folgten schließlich Abschiedsworte. "Neue Impulse" erhoffte man sich in Oldenburg – und kurz darauf auch 350 Kilometer weiter östlich, bei Alba Berlin, seit Mitte Januar neuer Klub von Calles.
Neue Wege statt Trainerentlassung
Calles saß also am Montagabend auf der Berliner Bank, als Alba bei den EWE Baskets in Oldenburg zu Gast war und unterlag. Nun sind Trainerwechsel im Sport bekanntlich nichts Neues. Noch dazu wäre Albas bisherige Saison prädestiniert dafür: Platz zwölf in der aktuellen Bundesliga-Tabelle, dazu drei Siege aus 23 Euroleague-Spielen – eine Entlassung von Trainer Israel Gonzalez zugunsten "neuer Impulse" wäre wenig ungewöhnlich.
Aber Alba Berlin wäre wohl nicht Alba Berlin, wenn man gewöhnliche Wege gehen würde. Also entschieden sich Sportdirektor Himar Ojeda und Geschäftsführer Marco Baldi einen anderen, unkonventionellen Pfad einzuschlagen: Einen neuen Trainer verpflichten, ohne den amtierenden Chef an der Seitenlinie zu entlassen. Eine umstrittene Entscheidung, die auch nach einer Einordnung von Sportdirektor Ojeda streitbar bleibt.
Die Frage nach der Zukunft von Albas Trainern
Dabei ist Ojedas Einordnung elementar, widerspricht sie doch naheliegenden Vermutungen. Die naheliegendste: Mit der Verpflichtung von Calles hätte Alba die Frage nach einer Vertragsverlängerung von Cheftrainer Gonzalez frühzeitig beantwortet. Wobei sich diese Frage für viele gar nicht zu stellen schien. Schließlich würde Alba doch wohl kaum den auslaufenden Vertrag mit einem Trainer verlängern, der die – bis dato – schlechteste Saison der Vereinsgeschichte mitzuverantworten hat… Oder?
Klar, Gonzalez hatte im bisherigen Saisonverlauf mit unzähligen verletzten Spielern zu kämpfen. Hinzukommt ein Kader, dem es zumindest für die Euroleague an Qualität mangelt. Andererseits werfen Teile von Gonzalez' Coaching mitunter Fragen auf. Seine Minuten- und Rollenverteilung, bestimmte Wechsel, fehlende Lösungen in zahlreichen schwierigen Phasen zahlreicher Spiele. Davon abgesehen: Der ambitionierte Calles würde sich als gestandener Bundesliga-Cheftrainer mittelfristig ja wohl kaum mit der Rolle des Assistenten zufriedengeben… Oder?
Der Chef und sein neuer Assistent: Israel Gonzalez (l.) im Gespräch mit Pedro Calles (r.) | Bild: IMAGO/Contrast
Viel Vertrauen trotz vieler Niederlagen
Doch und doch. So lauten die Antworten von Sportdirektor Ojeda im Kern. "Wir glauben an Israel und seine Arbeit als unser Head Coach", betont er in Oldenburg am Telefon. "Wir wollen auch über den Sommer hinaus mit ihm weiterarbeiten", folgt der Nachdruck. Wohl wissend, dass dieser Schritt ungewöhnlich ist und ebenfalls nachdrücklich hinterfragt wird. Und Pedro Calles? Der habe schon 2022 kurz davorgestanden, Assistent von Gonzalez – damals Meistertrainer und Nachfolger von Aito Garcia Reneses – zu werden. Zumal Alba, wie alle anderen Euroleague-Klubs auch, ohnehin gerne einen dritten Assistenztrainer verpflichten wollte.
Glaubt man dem in aller Regel offen und ehrlichen Ojeda, können sich Cheftrainer Gonzalez und seine beiden Assistenten Thomas Päch und Sebastian Trzcionka also auf neue Ideen sowie Entlastung in der Spielvor- und nachbereitung freuen. Um ihre Jobs fürchten müssten sie erst einmal keinesfalls. Die Sprengkraft der Konstellation im neuen Trainerquartett ist so erheblich gedämmt – wenngleich ein kleiner Damoklesdolch weiter über Gonzalez schweben dürfte. Zwar sei keinesfalls vorprogrammiert, dass Calles seinen Landsmann im Fall der Fälle ablöst, sagt Ojeda, "aber sollte Israel irgendwann mal nicht mehr unser Trainer sein, haben wir zumindest Kontinuität als Option."
Kontinuität und viele offene Frage
Dabei ist die Kontinuität bei Alba dieser Tage ein zweischneidiges Schwert. Sie war die Grundlage für die Meistertitel von 2020 bis 2022, führte Alba zurück in die Euroleague und bildet das Fundament für das Jugendprogramm des Vereins. Andererseits wirkt der Kampf um Kontinuität mit Blick auf Albas Trainerfrage wie ein selbst angelegtes Korsett.
"Israel fördert eine Spielweise und eine Basketballkultur, die er zusammen mit Aito etabliert hat", beschreibt Ojeda. Es ist eine spanische Spielart, ein ganzes System, das Alba durch all seine Jugendmannschaften zieht, um möglichst ganzheitlich ausgebildeten Spielern nahtlose Übergänge zu den Profis zu ermöglichen. Die Hürde, einen Profitrainer mit anderen Schwerpunkten zu verpflichten – etwa einen, der die Talententwicklung für mehr Siege opfern würde, oder einen aus der strikteren serbischen Schule – erscheint dadurch denkbar hoch. Aus Sicht von Sportdirektor Ojeda, aktuell anscheinend zu hoch.
Was bleibt, sind viele Fragen. Wird es Israel Gonzalez gelingen, Albas Saison zumindest national doch noch erfolgreich zu gestalten? Welchen Einfluss hätte seine Vertragsverlängerung auf die sommerliche Spielersuche? Welche Entwicklung kann er mit seinem Trainerteam langfristig aus welchen aktuellen Spielern herauskitzeln? Und als wie fruchtbar wird sich der Input von Pedro Calles in das frisch erweiterte Berliner Coaching-Quartett erweisen? Oder muss auch Alba auf der Suche nach "noch mehr neuen Impulsen" früher oder später doch zu drastischeren Umbaumaßnahmen in seinem Trainerteam greifen?
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.01.2025, 22:15 Uhr