Sicherheitsbedenken Israel fürchtet Präzedenzfall vor Olympia
Willkür gegen israelische Fußballer, der versuchte Ausschluss eines Eishockey-Teams wegen angeblicher Sicherheitsbedenken - vor Olympia in Paris wirft der Krieg in Nahost auch Schatten auf den Sport. "Unfassbar, was die Konsequenz aus dem Massaker in Israel ist", sagt der deutsche Makkabi-Chef Alon Meyer.
Für die Beteiligten war es ein Schock, viele sprachen von einem womöglich politisch motivierten Skandal. Vor allem aber dürfte die mit Sicherheitsbedenken begründete Ausladung der israelischen U20-Nationalmannschaft von der Eishockey-Weltmeisterschaft in Bulgarien ein unüberlegter, wenn nicht entlarvender Fauxpas des Weltverbandes IIHF sein. Der sich mit seiner Argumentation zudem auf extrem dünnem Eis bewegte, wie die heftige Kritik auch aus der Politik zeigt: "Ein Ausschluss ausgerechnet des israelischen Teams, gegen das sich Bedrohungen richten, bedeutet nichts anderes als eine Kapitulation vor dem Hass", sagt Nancy Faeser (SPD), die als Innenministerin des Bundes auch für den Sport Verantwortung trägt.
Halbherzige Kehrtwende des Eishockey-Verbandes
Der lautstarke Protest zeigte nach ein paar Tagen bekanntlich Wirkung. "Ich freue mich für die Sportler und dass der Weltverband einen guten Kompromiss und eine gute Entscheidung getroffen hat", sagt Alfred Prey. Doch nicht jeder teilt im NDR Sportclub die Einschätzung des Managers vom DEL-Spitzenteam Fischtown Pinguins Bremerhaven.
Zwar hat die IIHF ihre Entscheidung revidiert, jedoch nur halbherzig. Man werde bei allen Turnieren von "Fall zu Fall" entscheiden, heißt es nun. Was neuerliches Kopfschütteln hervorruft. Und Spekulationen ins Kraut schießen lässt, dass womöglich ganz andere Gründe maßgeblich sein könnten als der Schutz der Sportler.
Kapitän Kozhevnikov: "Ich wünsche mir Frieden"
"Sicherheitsbedenken waren noch nie ein Argument für den Ausschluss eines Landes und dürfen es auch nicht sein", sagt der in Leningrad (heute St. Petersburg) geborene Michail Kozhevnikov dem NDR. Der Kapitän der israelischen Männer-Nationalmannschaft hofft, dass das auch für das WM-Turnier der Division II vom 21. bis 27. April in Serbien gelten wird. "Ich habe israelische Wurzeln und will meine Erfahrung weitergeben", so der Kaufmann aus Düsseldorf in der "Nordsee Zeitung".
"Ich gehe nicht mit der Einstellung in das Turnier, dass die Sicherheitslage eine besondere ist", so der 42-Jährige, der für die Hannover Scorpions, Hamburg Freezers, Fischtown Pinguins gespielt hat, aber auch für die Krefeld Pinguine und die Füchse Duisburg. "Wir wollen gewinnen, was wir gewinnen können." Momentan mache er sich aber besonders Sorgen um die israelischen Geiseln in Gaza und die Unschuldigen, die auf beiden Seiten leiden, so Kozhevnikov: "Ich wünsche mir, dass der Frieden sehr bald einkehrt."
DOSB: Ausschluss von Israel nicht tolerierbar
Seinem Zwillingsbruder Evgeny, der im ersten Jahr Trainer der israelischen U20 ist, geht es ebenso. Den Frust über die zwischenzeitliche Ausladung hat er überwunden und "nun freue ich mich, dass wir dabei sein können". Eigentlich, so erzählt er, hätten er und seine Mannschaft sogar Heimrecht gehabt, doch wegen des Krieges sei Bulgarien als WM-Gastgeber eingesprungen. "Ich gehe davon aus, dass in Sofia alles gut läuft und die IIHF keinen Grund hat, bei anderen Turnieren anders zu entscheiden."
Warum auch? Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) kann sich jedenfalls "überhaupt kein realistisches Szenario in Europa vorstellen, welches rechtfertigen würde, israelische Sportler aus Sicherheitsgründen auszuschließen", sagt der DOSB-Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester - und verweist im Sportclub auf die grundsätzliche Haltung des deutschen Sports: "Dass wir nicht wollen und auch nicht akzeptieren werden, dass israelische Sportlerinnen und Sportler ausgeschlossen werden von Wettkämpfen und diskriminiert werden. Das ist nicht tolerierbar."
Makkabi-Chef Meyer: "Kapitulation des Sports"
Als fadenscheinig bewertet auch Alon Meyer die Begründung des Eishockey-Weltverbandes: "Wenn ein Land wie Bulgarien inmitten der Hauptstadt Sofia die Sicherheit bei einem U20-Turnier nicht gewährleisten kann, dann wird jeder wohl meine Zweifel an dieser Begründung verstehen", sagt der Präsident des jüdischen Sportverbandes Makkabi und fügt hinzu: "Wer die Sicherheit nicht garantieren kann, darf ein solches Turnier erst gar nicht ausrichten." Zumal die Veranstaltung der dritten Kategorie nach seiner Recherche vermutlich nur ein paar Handvoll Zuschauer besuchen werden.
Noch deutlicher wurde der 49-Jährige in der "Jüdischen Allgemeinen": "Wenn wir uns von Terroristen vorschreiben lassen würden, welche Mannschaften an welchen Turnieren teilnehmen dürfen, dann ist das doch nicht die Zukunft, die wir uns alle hier in der freiheitlich-demokratischen Werteordnung wünschen. Eine Kapitulation des Sports."
Rote Karte für eine neue Realität
Meyer findet es "unfassbar, was die Konsequenz aus dem Massaker in Israel ist: Leute feiern auf deutschen Straßen und eine Variante ist nun auch die, israelische Mannschaften auszuschließen, weil man angeblich ihre Sicherheit nicht garantieren kann. Auch das ist die neue Realität, der wir klar die rote Karte zeigen." Der deutsche Sport stelle sich ebenfalls "mit ganzer Kraft gegen Antisemitismus", betont Burmester.
Der DOSB und Makkabi Deutschland haben auf ihren Internetseiten einen speziellen Meldebutton eingebunden, über den antisemitische Vorfälle im Sport registriert werden können. Diese Meldungen gehen beim Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) ein und werden dort bearbeitet.
Fall Jehezkel - Alarmsignale aus der Türkei
Was aber, wenn israelische Fußballer, wie jüngst mit Sagiv Jehezkel in der Türkei geschehen, von Clubs oder Verbänden selbst sanktioniert werden, ihnen wegen des Verdachts der Volksverhetzung sogar Gefängnis droht? "Indiskutabel", nennt es der Makkabi-Chef, weil eine Grenze damit weit überschritten worden sei. "Da gibt es einen israelischen Spieler, der sich wohlfühlt, Tore schießt für Antalyaspor und beim Jubel über ein Tor eine Bandage am Handgelenk zeigt, mit einem Hinweis zum 7. Oktober - und die Konsequenz ist der sofortige Rauswurf und sogar in Haft nehmen bzw. ins Gefängnis stecken. Es sollte uns alarmieren."
Israel fürchtet weitere Repressalien
Natürlich gebe es bei israelischen Sportlern mehr Angst. "Und nicht nur bei denen, sondern auch bei den Trainern und Betreuern", so Meyer. In Israel fürchte man nun sogar, so mutmaßt der Journalist Felix Tamsut aus Tel Aviv, dass der Ausschluss im Eishockey gar kein peinlicher Ausrutscher war, sondern zu einem Präzedenzfall auch für die Olympischen Spiele werden könnte: "Es wäre ein schwerer Schlag, wenn etwa die Basketballer oder die Fußballer ausgeschlossen würden, die es seit langer Zeit mal wieder ins olympische Turnier geschafft haben."
Burmester: Neue Sicherheitslage bei Olympia
Die Gemengelage könnte sich bis zum Sommer in Paris noch verschärfen, und auf den ausrichtenden Franzosen dürfte eine enorme Verantwortung lasten. Dass auf der weltweit größten Bühne des Sports versucht werden wird, aktuelle politische Probleme für eigene Motive zu nutzen, hält nicht nur DOSB-Boss Burmester für vorhersehbar: Durch die Ereignisse im Nahen Osten sei klar, "dass wir eine neue Sicherheitslage haben, deswegen braucht es eine klare Haltung - und ich glaube, das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der DOSB haben diese."
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Sportclub | 21.01.2024 | 22:50 Uhr