Nach Alleskönnerin Popp Wie die DFB-Frauen ihr Spiel anpassen müssen
Mit dem Abschied von Alexandra Popp ist bei den DFB-Frauen eine Ära zu Ende gegangen. Die Wolfsburgerin hat das Spiel der deutschen Nationalmannschaft über Jahre geprägt - weil sie sich selbst immer weiterentwickelte. Wie kann das Team von Neu-Bundestrainer Christian Wück ihren Abgang kompensieren? Das sagen die Daten.
Wück hatte es natürlich vorher gewusst. Das 1:2 im Freundschaftsspiel gegen Australien am Montagabend in Duisburg - zugleich Popps Abschiedsspiel - führte es ihm aber noch einmal ebenso deutlich wie schmerzhaft vor Augen: das drohende Erfahrungs- und Führungsvakuum nach dem Abtritt der 33-Jährigen.
"Sie hinterlässt eine große sportliche und menschliche Lücke", sagte der 51-Jährige: "Wir müssen schauen, dass wir auf und auch neben dem Platz diese Lücke schließen können. Sie ist eine absolute Führungsspielerin gewesen."
Der Rekord-Europameister wird sich ohne Popp fraglos sportlich ein Stück weit neu erfinden müssen. Ihre Präsenz, ihre Kopfball- und Willensstärke werden fehlen. Aber auch als Persönlichkeit wird die 33-Jährige eine große Lücke bei der DFB-Auswahl hinterlassen.
"Sie kann auf Sechs spielen, sie kann hinter den Stürmerinnen spielen, sie kann vorne drin spielen."
— Ex-Bundestrainer Horst Hrubesch
Über 145 Partien hat die langjährige Kapitänin das deutsche Spiel geprägt - und sich und ihre Rolle in der Mannschaft zunehmend weiterentwickelt. Wücks Vorgänger Horst Hrubesch hatte sie in der ARD Dokumentation "Ende Legende" als eine der vielseitigsten deutschen Spielerinnen geadelt. Popp sei "eine der überragenden Kopfballspielerinnen dieser Erde", sagte das einstige "Kopfballungeheuer" des HSV.
Er wolle sie aber "nicht darauf reduzieren", ergänzte der 73-Jährige. "Sie kann auf Sechs spielen, sie kann hinter den Stürmerinnen spielen, sie kann vorne drin spielen."
Hrubeschs und Wücks Elogen auf Popp werden von den Daten des Global Soccer Networks (GSN) aus den Spielen der DFB-Frauen der Jahre von 2016 bis heute gestützt. Sie verdeutlichen besonders, dass die Wolfsburgerin "ein außergewöhnliches Beispiel für kontinuierliche Anpassung und evolutionäre Positionsentwicklung" ist.
Popp hat sich demnach im Verlauf ihrer Nationalmannschafts-Karriere "von einer klassischen Mittelstürmerin zu einer multifunktionalen, führenden Mittelfeldspielerin" entwickelt, "die taktische Flexibilität, physischen Einsatz und spielerische Finesse vereint".
Schon als Stürmerin sehr passstark
In den Länderspielen der Saison 2016/2017 zeichnete sich Popp noch vor allem durch ihre Fähigkeit aus, Luftduelle zu gewinnen und als Anspielstation zu dienen. Ihr physischer Einsatz im Sturm war entscheidend, um Bälle festzumachen und die gegnerische Abwehr unter Druck zu setzen. Es ist der Teil ihres Spiels, weshalb DFB-Sportdirektorin Nia Künzer am Montag sagte, sie stehe "für Power, für Wucht". Und das zunächst vor allem ganz vorne, wie auch eine Analyse ihrer Laufwege und ihres Aktionsradius' verdeutlichen.
Schon damals aber ist klar, dass Popp weit mehr als "nur" Stürmerin sein kann. Mit einer für eine Angreiferin beachtlichen Passquote von knapp 80 Prozent verdeutlicht sie zwei Dinge: ihre Spielintelligenz und ihre technischen Fähigkeiten.
Allrounderin und Anführerin
Auch in der Folgesaison spielte sie zwar überwiegend als Mittelstürmerin, jedoch kamen erste Einsätze auf der linken Angriffsseite hinzu. Ein erster Schritt ihrer fußballerischen Evolution, weil ihr Spiel an Variabilität gewann. Entscheidend für ihre weitere Entwicklung aber waren die Länderspiele in der Saison 2018/2019, da sie nun nun regelmäßig als linke zentrale Mittelfeldspielerin eingesetzt wurde. Ihre Rolle wurde vielschichtiger, sie spielte mehr Pässe und bestritt deutlich mehr defensive Zweikämpfe.
Popp wurde zur Box-to-Box-Spielerin und besetzte eine der dynamischsten Positionen im modernen Fußball. Sie agierte viel zwischen den Strafräumen, ihr Aktionsradius wurde immer größer, sie selbst zur Spielgestalterin im Mittelfeld. Die besondere Leistung: Torgefährlich blieb sie trotzdem.
Mit 27 Jahren wurde sie endgültig zur vielseitigen Allrounderin, die auch taktisch Partien bestimmt. Oder wie die GSN-Analysten es formulieren: "Diese Saison zeigt, wie Alexandra Popp begann, die Kontrolle über das gesamte Spielgeschehen zu übernehmen." Zumal sie - über ihre technischen und taktischen Fähigkeiten hinaus - vor allem auch durch ihre Mentalität und ihren Einsatzwillen besticht. Hrubesch: "Sie spielt halt für die Mannschaft. Sie ist sich für nichts zu schade. Macht auch Drecksarbeit."
"Popps Karriere steht exemplarisch dafür, wie sich eine Spielerin über viele Jahre hinweg anpassen und ihre Fähigkeiten auf höchstem Niveau weiterentwickeln kann."
— GSN-Analyse zu Alexandra Popp
Ihre Entwicklung als Anführerin und Allrounderin setzte sich bis zu ihrem letzten Länderspiel am Montag fort. In schier endloser Rollenvielfalt - GSN weist 15 verschiedene Positionen aus - agierte sie mal offensiver, mal defensiver, häufig zentral oder links, wenn nötig aber auch mal rechts, immer aber mit einem "hohen Maß an taktischem Verständnis, um gegnerische Angriffe abzufangen und eigene Offensivaktionen einzuleiten".
Eine Verbindungsspielerin, die die Balance ihres Teams bestimmte. Eine Unverzichtbare, die ihre "Fähigkeiten, Spiele zu gestalten, Angriffe zu initiieren und zugleich in entscheidenden Momenten Torabschlüsse zu suchen" den GSN-Analysten nach "zu einer der flexibelsten und wertvollsten Spielerinnen im deutschen Kader" machte. Popps Karriere in der Nationalmannschaft zeige "exemplarisch, wie sich eine Spielerin über viele Jahre hinweg anpassen und ihre Fähigkeiten auf höchstem Niveau weiterentwickeln kann."
Wück wird Popp nicht eins zu eins ersetzen können
Eine solche Ausnahmekönnerin wird Wück nicht Eins-zu-eins ersetzen können. Die großen Fußstapfen, meinte Lina Magull, seien ja ohnehin "gar nicht" auszufüllen: "Poppi ist die einzig wahre Legende, so wie sie ist."
Der Coach wird Wege suchen müssen, die verschiedene Maßnahmen kombinieren. Einerseits könnte er die verschiedenen Aspekte von Popps Spiel aufteilen und spezialisieren. Infrage hierfür kommen Spielerinnen wie Lena Oberdorf, Lea Schüller, Sara Däbritz und Klara Bühl.
Andererseits wird er generell Verantwortung kollektivieren und auch über taktische Anpassungen nachdenken müssen, um die Abhängigkeit von einer zentralen Figur aufzubrechen. Das furiose 4:3 in Wembley gegen Europameister England am vergangenen Freitag ohne Popp hat dazu erste Ansätze geliefert und Mut gemacht.
Innenverteidigung bleibt die größte Baustelle
Taktisch ist laut GSN-Analysen mit Blick auf die zur Verfügnung stehenden Spielerinnen etwa ein 4-3-3 denkbar, in dem das Mittelfeld durch dynamische Läufe von Spielerinnen wie Oberdorf und Magull unterstützt wird, während die Flügelspielerinnen Bühl und Jule Brand die Offensive antreiben.
Das Mittelfeld müsste allerdings extrem gut organisiert sein, um Popps fehlende Präsenz im zentralen Bereich zu kompensieren. In dieser Hinsicht, das zeigten die beiden jüngsten Begegnungen, hat das Team deutlichen Nachholbedarf, weshalb auch defensivere Grundordnungen wie ein 5-3-2 oder ein 4-2-3-1 eine Möglichkeit sein könnten. Wücks größte Baustelle bleibt nach dem Abschied von Marina Hegering indes die Innenverteidigung, seit Jahren mangelt es an hochkarätigen Talenten.
Popp: Jetzt ist die nächste Spielerinnen-Generation dran
Nach der Partie in Duisburg nahm Popp ihre Nachfolgerinnen im DFB-Team in mehrfacher Hinsicht in die Pflicht: "Wir sind noch nicht am Ende der Entwicklung des Frauenfußballs." Jetzt sei die nächste Spielerinnen-Generation dran, "um die Entwicklung ein Stück weit voranzutreiben" und "auch mal ein bisschen Druck auszuüben". Ganz so, wie es die 33-Jährige eineinhalb Dekaden lang für den deutschen Fußball getan hat - auf und neben dem Platz.
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Sport aktuell | 28.10.2024 | 20:17 Uhr