DFL droht mit Lizenzentzug "Echte Wirkung erzeugen": Die Nachhaltigkeit im Fußball
Das Thema Nachhaltigkeit wird auch im Fußball immer wichtiger. Zur neuen Saison zieht die DFL die Zügel an: Wenn die Clubs nicht mitziehen, droht sogar der Lizenzentzug. Der NDR hat sich bei den Proficlubs im Norden umgesehen, welchen Teil sie zum Umweltschutz beitragen.
Der Weg führt tiefer und tiefer in die Katakomben des Volksparkstadions. Aber die HSV-Direktorin für das Thema Nachhaltigkeit kennt sich hier unten aus. Marieke Patyna öffnet eine weitere schwere Metalltür und führt vorbei an dicken Rohren und großen Tanks. Was sie zeigen will, ist in der hintersten Ecke des Technikraums versteckt. Es ist ein blauer Zylinder, kaum 50 Zentimeter lang - und auf den ersten Blick ist beim besten Willen nicht zu erkennen, wie dieses Bauteil die Nachhaltigkeitsbemühungen des Hamburger Traditionsclubs nach vorn bringen könnte.
Doch es ist ein richtiger Gamechanger: "Der unscheinbare Zylinder ist der Siekmanns Kalkwandler. Er verändert die Oberflächenspannung des durchlaufenden Wassers", erklärt Patyna. "Aus einem großen Wassertropfen werden viele kleine, die dann besser in den Boden eindringen können." Der Sauerstoffgehalt im Wasser steigt um etwa 5 Prozent. Das wirke sich sowohl auf den Wasser- als auch auf den Düngerverbrauch aus - wohlgemerkt nicht nur beim Rasen im Stadion, sondern auch auf den Trainingsplätzen.
HSV erkannte Nachholbedarf bei ökologischer Nachhaltigkeit
Die 28-Jährige ist seit viereinhalb Jahren beim HSV für die Nachhaltigkeit zuständig und mittlerweile Direktorin. Oder wie es bei der Fußball AG heißt: Chief Strategy, People & Sustainability Officer (CSO). Außerdem ist sie Prokuristin. Im Club wünschten sich damals nicht zuletzt die Fans, dass der HSV mehr in Sachen Nachhaltigkeit unternimmt.
Nachhaltigkeitsarbeit beim Hamburger SV
Der HSV hat sich im Rahmen seiner Nachhaltigkeitsstrategie in den vergangenen vier Jahren intensiv mit dem Thema Umweltschutz auseinandergesetzt. Diese Nachhaltigkeitsaspekte spielten auch bei der jüngsten Stadionmodernisierung eine Rolle: Die alten PVC-Membranen, die das Dach bilden, wurden recycelt. Viele alte Metallteile konnten nach einer Prüfung erneut verbaut werden.
Die neue Flutlichtanlage verbraucht deutlich weniger Strom, der mittlerweile zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt. Die elastische Dachmembran eignet sich nicht für eine Solaranlage. Dafür wurde aber auf dem Dach der Nachwuchsakademie nebenan eine Anlage installiert. Perspektivisch seien "Photovoltaikelemente an Fassaden oder auf überdachten Stellplätzen eine Option".
Vor dem Stadion stehen mittlerweile E-Ladesäulen. Ein Teil der eigenen und ohnehin verkleinerten Fahrzeugflotte fährt mittlerweile elektrisch. Das Stadion hat eine eigene Stadtrad-Station erhalten. Die Mitarbeitenden können ihre E-Fahrzeuge am Stadion kostenlos laden oder auch ein Fahrradleasing-Angebot des Clubs nutzen.
Um das Abfallmanagement im Volksparkstadion zu verbessern, arbeitet der HSV mit der Technischen Universität Hamburg zusammen. Durch eine neues Beregnungssystem für den Stadionrasen und auf den Trainingsplätzen konnte der Frischwasserverbrauch deutlich gesenkt werden. Das gilt auch für die Urinale im Stadion: Diese sind mittlerweile wasserlos.
Im Fanshop wurde der Plastikmüll reduziert - durch Versandbeutel aus in Natur gesammeltem recyceltem Plastik und wiederverwendbaren Transportkisten, die sich auch mit der Post verschicken lassen. Außerdem beteiligt sich der Club an dem Projekt "Vom Feld in den Fanshop". Dabei wird der biologische Baumwollanbau in Indien gefördert. Im Subkontinent wurden in den Jahren 2022/2023 und 2023/2024 auch Klimaschutzprojekte unterstützt, um die berechneten Emissionen durch die Mannschaftsreisen auszugleichen.
Zu den Nachhaltigkeitsthemen gehören auch noch Soziales und Wirtschaftliches. Bei einer Bestandsaufnahme und Datensammlung zur Entwicklung der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie stellten die Hamburger allerdings fest, dass besonders im Bereich Umwelt Nachholbedarf besteht. Und seitdem ist beim HSV viel passiert.
DFL droht den Clubs mit Lizenzverweigerung
Der ehemalige Bundesliga-Dino ist damit nicht wenigen deutschen Proficlubs voraus - und auch den offiziellen Vorgaben. Knapp zwei Jahre später nämlich verankerten die Clubs der Ersten und Zweiten Liga als erste Profifußball-Ligen überhaupt eine verpflichtende Nachhaltigkeitsrichtlinie in der Lizenzierungsordnung der Deutschen Fußball Liga (DFL). Die Vorgaben werden seitdem regelmäßig angepasst und auch verschärft.
"Wir wollen echte Wirkung erzeugen. Es geht auch darum, die Gesellschaft zu motivieren mitzumachen. Jeder muss nachhaltig agieren, um seinen Teil beizutragen."
— Nico Briskorn, Leiter der Nachhaltigkeitsabteilung beim VfL Wolfsburg
Nico Briskorn bezeichnet die Richtlinie als "Meilenstein". Er selbst hat daran mitgeschrieben. Der Leiter der Wolfsburger Nachhaltigkeitsabteilung erklärt, dass alle formulierten Forderungen "ein Stück weit ein Kompromiss sein mussten", weil die Clubs ganz unterschiedliche Voraussetzungen hätten. Zum Beispiel, weil einige nur Mieter ihrer Stadien und Trainingsgelände sind und somit gar nicht so einfach in die Infrastruktur investieren können.
DFB-Nachhaltigkeitsrichtlinie für Frauen-Bundesliga und 3. Liga
"Aber das Ambitionsniveau der Richtlinie steigt von Jahr zu Jahr - und das muss es auch", betont Briskorn und fügt hinzu: "Wenn bestimmte Kriterien nicht eingehalten werden, können bereits Geldstrafen und Verwarnungen ausgesprochen werden. Ab nächster Saison droht aber auch, dass Vereine keine Lizenz mehr erhalten, wenn sie keinen Nachhaltigkeitsverantwortlichen stellen oder keine Nachhaltigkeitsstrategie haben."
Im April 2024 zog der DFB nach: Seit dieser Saison gibt es auch für die Frauen-Bundesliga und die 3. Liga der Männer eine Nachhaltigkeitstrichtlinie, in der es unter anderem um Klima, Umwelt und Ressourcen geht. Nach einem Übergangsjahr soll deren Einhaltung in der kommenden Saison verpflichtend sein.
VfL Wolfsburg nimmt am "Race to Zero" teil
Der VfL gilt als Vorreiter in der Branche, erhebt seinen CO2-Fußballabdruck bereits seit 2012 - und hat sich vor vier Jahren mit dem "Race to Zero" der Vereinten Nationen als Ziel gesetzt, Ende 2025 klimaneutral zu sein. Im Stadion läuft auf einer großen Uhr ein Countdown, um die eigenen Ambitionen zu verdeutlichen.
Um 37 Prozent sollen die eigenen Klimabelastungen bis dahin vermindert werden (der Rest durch Kompensation anderswo eingespart werden). "In dem Bereich, in dem wir das direkt beeinflussen können, sind wir schon bei 44 Prozent", erklärt Briskorn. In der Gesamtbetrachtung habe der Club allerdings noch Nachholbedarf: "Da spielen auch Themen wie eine verlangsamte Mobilitätswende mit rein."
Briskorn will mehr Menschen fürs E-Bike begeistern
Und das nicht zu knapp. Rund 60 Prozent der Gesamt-Belastungen durch den Profifußball gehen tatsächlich auf das Konto der Fans. Obwohl diese mit ihrer Eintrittskarte mittlerweile fast überall in Deutschland auch mit Bus und Bahn fahren dürfen, reisen immer noch sehr viele mit dem Auto zu den Spielen.
In Hamburg macht deren Anteil an jedem Spieltag die Hälfte der rund 57.000 Fans aus. Und damit sind die Emissionen durch die Anhängerschaft mehr als viermal so groß wie die, für die der Club durch seine Betriebsstätten selbst sorgt.
Nachhaltigkeitsarbeit beim VfL Wolfsburg
Der VfL hat bereits seit 2012 eine Nachhaltigkeitsstrategie und erhebt seitdem auch seinen CO2-Fußabdruck. Die Strategie wurde seitdem immer wieder überarbeitet - letztmals 2024. Zu den wichtigsten Themen gehören eine nachhaltige Lieferkette, Biodiversität und Ökosysteme, ein klimaschonender Betrieb und klimaschonende Mobilität, Ressourceneffizienz und Stoffkreisläufe sowie der verantwortungsvolle Umgang mit Wasser.
Um die eigenen Ziele zu untermauern, beteiligt sich der Club am Race to Zero der Vereinten Nationen und will bis Ende dieses Jahres klimaneutral sein. Seit 2023 machen die "Wölfe" auch bei Sports for Nature unter Beteiligung der Weltnaturschutzunion (IUCN) mit.
In der Saison 2021/2022 beauftragten die Wolfsburger zudem Biodiversitätsforscher damit zu untersuchen, wie der Profifußball die Biodiversität beeinträchtigt. Anschließend wurde zusammen mit der Stadt und dem NABU ein Aktionsplan aufgesetzt. Erste sichtbare Ergebnisse: Am Trainingsplatz der Profis entstand eine Blühwiese und es wurden Maßnahmen zur Förderung einer Brutkolonie von Staren durchgeführt.
Am meisten Aufmerksamkeit erregten aber Mikroplastikfilter, die der VfL zusammen mit einem Start-up entwickelt hat, um zum Beispiel an den Kunstrasenplätzen am Elsterweg zu verhindern, dass das Granulat ins Grundwasser gelangt. Die Filter sind preisgekrönt und werden mittlerweile von DFL und DFB auch anderen Clubs zum Einbau empfohlen.
Bei einem der Kunstrasenplätze ist Wolfsburg sogar noch einen Schritt weiter: Auf diesem wird gar kein Granulat, sondern Kork und Quarzsand eingesetzt. Außerdem werden mit einem anderen Start-up zusammen immer mehr Trainingsmaterialien eingesetzt, die aus recyceltem Plastik sind.
Darüber hinaus sollen die Nachhaltigkeitsaspekte bei den anstehenden Modernisierungen im Stadion gleich mitgedacht werden: So kann bei der Rasenheizung genauso Strom gespart werden wie bei der Bewässerung des Platzes viel Wasser (bis zu 15 Prozent).
Stolz ist die Nachhaltigkeitsabteilung auch auf die App "ummadum". Über diese Mobilitätsplattform können die Fans ihre Anfahrt "mit dem Rad, zu Fuß, per Ridesharing oder per ÖPNV" planen und absolvieren. Bei einem großen Gewinnspiel locken besondere Preise. "Wir möchten wissen, ob es in unserer Autostadt auch anders geht", heißt es vom VfL im Aufruf an die eigenen Fans.
Laut Briskorn wäre auf Grundlage von Fanbefragungen in Wolfsburg das E-Bike für den Großteil der VfL-Fans das beste Fortbewegungsmittel. Klimaschonend und für die vergleichsweise kurzen Anfahrtswege vollkommen ausreichend. Er wolle den Zuschauenden keine Vorgaben machen, sondern Anreize setzen. Mit einer App können die Fans ihren Weg zum Stadion erfassen und Preise gewinnen.
Fans müssen mitziehen
Wie sehr die Fans bei den Bemühungen mitziehen, entscheidet am Ende über deren Erfolg. Zweifel schwingen zumindest mit. "Bewusstsein ist im Freizeitverhalten ein spezielles Thema", sagt HSV-Direktor Cornelius Göbel, der im Club für Fans, Kultur und Markenidentität zuständig ist. Die weitere Sensibilisierung bezeichnet er deshalb aktuell noch als "unseren Hauptschwerpunkt".
Sonderzüge, mit denen ja auch das Klima geschont wird, nehmen die Fans gern an. Ansonsten bekommt Göbel auch immer wieder zu hören, man solle doch "die politischen Themen aus dem Fußball raushalten". Da hält der 40-Jährige jedoch dagegen, zumal es ihm wichtig ist, dass der Club Haltung zeigt und den Mund aufmacht: "Der Profifußball ist auch ein politischer Ort und wir müssen uns mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen."
Ein Kampf gegen Windmühlen? Im Fall der ökologischen Nachhaltigkeit wären die vielleicht sogar mal hilfreich. Göbel lacht und betont: "Es sind noch keine Quantensprünge, so ehrlich muss man sein. Die Vereine sollten aus meiner Sicht nicht den Fehler machen und gewisse Zustände verklären. Aber es sind kleine Schritte und die sind notwendig, um nachhaltig für Veränderung zu sorgen."
Vielfältige Möglichkeiten, Umweltschutz zu betreiben
Neben Wassersparen und der Fanmobilität gibt es für Proficlubs noch viele andere Möglichkeiten, das Thema anzugehen. Es geht um Müllvermeidung - zum Beispiel durch weniger Verpackungen und den Verzicht auf Einwegplastik. Apropos Plastik: Der HSV nutzt in der Natur aufgesammeltes und recyceltes Plastik, um seine Produkte aus dem Online-Fanshop zu versenden. Die Wolfsburger setzen ebenfalls auf recyceltes Plastik - unter anderem in Form von Trainingshütchen. Zudem setzen sie auf Filter, die sowohl an den Abläufen der Plätze als auch bei der Raumluft in der Geschäftsstelle oder bei den Waschmaschinen Mikroplastik auffangen sollen.
Auch Stromsparen ist ein großes Thema: So ergriff der HSV die Möglichkeit, als die UEFA für die Heim-EM stärkeres Flutlicht im Volksparkstadion forderte, LED-Lichter einzubauen, die gleichzeitig deutlich weniger Energie verbrauchen.
"Wichtig ist vor allem, wesentliche Themen zu identifizieren: Um sich nicht zu verzetteln, sondern zu fokussieren auf die Themen, bei denen man einen wirklichen Hebel hat."
— Marieke Patyna, Direktorin für Nachhaltigkeit beim HSV
Hansa hat Bäume gepflanzt, Werder setzt auf Solar
Um die Breite der unterschiedlichen Bemühungen zu verdeutlichen: Hansa Rostock führte 2023 mit der Profiabteilung einen Arbeitseinsatz in der Natur durch und hat mittlerweile mehr als 7.000 Bäume in heimischen Wäldern gepflanzt, um die Aufforstung in Mecklenburg zu unterstützen. Werder Bremen wurde bereits im Jahr 2019 mit dem Deutschen Solarpreis ausgezeichnet, weil eine Solaranlage in der Außenhülle des Weserstadions viel grünen Strom produziert. Holstein Kiel setzt auf regionale Kooperationen wie mit dem NABU Bergenhusen oder mit der Stiftung Naturschutz SH. Und bei St. Pauli wurde eine Bio-Stadionwurst eingeführt - sowohl in der Fleisch- als auch in der veganen Variante.
VfL Wolfsburg zapft den Mittellandkanal an
Die DFL versucht, die Clubs dort abzuholen, wo diese gerade stehen. Stärken fördern und Probleme benennen. So wurde zum Beispiel den Wolfsburgern vorgeschlagen, weiteres Frischwasser zu sparen. Dabei gewinnt der VfL durch eine große Pumpe bereits bis zu 30.000 Kubikmeter Wasser aus dem Mittellandkanal, um die Trainingsplätze zu bewässern. Die Menge deckt den Bedarf aber noch nicht vollständig. Die Gespräche mit der Stadt laufen.
Spagat zwischen Profifußball und Nachhaltigkeit
VfL-Geschäftsführer Michael Meeske ist klar, dass sich der Profifußball-Betrieb erst einmal nicht mit Umwelt- und Klimaschutz verträgt. Die Veranstaltungen im Stadion und die Reisen zu den Spielen, aber auch die Rasenheizung und die UV-Beleuchtung der Rasenfläche: "All das ist natürlich nur bedingt ökologisch nachhaltig. Und deswegen ist es wichtig für uns, dass wir uns optimieren, wo wir können und wo es sinnvoll machbar ist." Und so sollen, wenn die VfL-Arena in diesem Jahr modernisiert wird, die Nachhaltigkeitsthemen gleich mitgedacht werden.
EM als Dämpfer - auch in Hamburg
Allerdings zieht das Fußball-Geschäft in dieser Hinsicht doch immer wieder links auf der Überholspur an den guten Absichten vorbei. Statt wie angekündigt durch möglichst viele Reisen mit der Bahn, etwas für die Klimabilanz der EM in Deutschland zu tun, stellte sich heraus, dass die Nationalteams in der Gruppenphase gerade einmal 12,6 Prozent der Reisen wirklich auf der Schiene zurückgelegt hatten. Mehr als doppelt so oft war das Flugzeug das Verkehrsmittel der Wahl. Spitzenreiter war der Bus mit 61,5 Prozent.
Und auch der HSV wurde bei seinen Nachhaltigkeitsbemühungen von der UEFA eingebremst - was vor den Stadiontoren deutlich wird. Denn wenn es wieder rausgeht aus den Katakomben des Volksparkstadions, führt der Weg an großen surrenden Gerätschaften vorbei. Es handelt sich um den Flüssigkeitskühler, die sogenannte Kältemaschine, der neuen Klimaanlage. Diese war eine Vorgabe der UEFA für die EM, um zum Beispiel die VIP-Bereiche kühlen zu können.
Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 22.12.2024 | 10:17 Uhr