Enttäuschte Gesichter bei Thomas Müller (l.) und Joshua Kimmich vom FC Bayern München

NDR-Sport Bundesliga im Europapokal: Der deutsche Fußball hat ein Problem

Stand: 24.04.2025 09:50 Uhr

Erstmals seit der Bundesliga-Saison 2020/2021 ist kein deutscher Club in den Halbfinals des Europapokals dabei. Und auch das Schneckenrennen um die Europapokalplätze drei bis sechs in dieser Saison macht deutlich, dass der deutsche Fußball ein Problem hat.

Von Florian Neuhauss

Bayern München ist so gut wie Meister, Bayer Leverkusen schon längst für die Champions League qualifiziert. Dahinter kämpft die halbe Liga um vier weitere Europapokal-Plätze - von der Champions bis zur Conference League. Vermeintlich kleine Clubs wie der SC Freiburg, Mainz 05 oder auch Werder Bremen haben (gute) Chancen, sich sogar für die "Königsklasse" zu qualifizieren.

Die Datenanalyse von Global Soccer Network (GSN) zeigt das Besondere daran: Demnach ist die Saison 2024/2025 "ein Lehrbuchbeispiel für ein Schneckenrennen, in dem das Versagen der Favoriten den Raum für Verfolger öffnet, ohne dass diese besonders stark sein müssten. Die Europapokalplätze sind so offen wie selten, aber qualitativ schwächer als in den meisten Vorjahren."

GSN: "Die Verfolger bleiben deutlich unter den Erwartungen"

Mit anderen Worten: Werder und Co. mussten noch nicht einmal über sich hinauswachsen, um in die oberen Tabellenregionen vorzurücken. Das untermauert auch ein Blick auf die Tordifferenzen, die bei Freiburg, Werder und Augsburg allesamt negativ sind.

Theoretisch wäre es möglich, dass sich neben Bayern und Leverkusen noch Freiburg, Mainz, Werder und Augsburg über die Liga für den Europapokal qualifizieren; dazu im DFB-Pokal Drittligist Arminia Bielefeld (gegen den VfB Stuttgart). Es wäre nach den GSN-Index-Werten der Mannschaften das mit Abstand schlechteste Feld, das die Bundesliga seit Einführung der Conference League 2021 nach Europa schickt.

Was ist der GSN-Index?

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

GSN hat die durchschnittlichen Punkte berechnet, die die Clubs zum gleichen Zeitpunkt in den vergangenen elf Jahren brauchten, um die Europapokal-Plätze zu belegen. In diesem Jahr fehlt besonders bei den Plätzen drei bis fünf, also dem Kampf um die Champions-League-Qualifikation, "jegliche Durchschlagskraft - die Verfolger bleiben allesamt deutlich unter den Erwartungen".

Historischer Durchschnitt vs. Saison 2024/2025
Tabellenplatz Punkteschnitt 14/15–23/24 Saison 24/25 Abweichung
1. Platz 72,4 72 -0,4
2. Platz 63,3 64 +0,7
3. Platz 56,1 52 -4,1
4. Platz 53,7 49 -4,7
5. Platz 49,9 48 -1,9
6. Platz 46,0 47 +1,0
7. Platz 44,0 45 +1,0

Die Analysten bezeichnen Abweichungen als "statistisch signifikant", wenn diese mehr als drei Punkte betragen. Die Performance der Clubs auf den Plätzen drei und vier sticht also ganz besonders negativ heraus.

Dass die Plätze sechs und sieben besser als die Durchschnittswerte sind, unterstreicht noch einmal das Schneckenrennen. Es gibt keinen Abstand zwischen den Verfolgern der Spitze und dem Tabellenmittelfeld.

2024/2025 sticht auch international negativ hervor

In den vergangenen Jahren hat Deutschland immer wieder gute Ergebnisse auf internationalem Parkett erzielt. 2022 gewann Eintracht Frankfurt die Europa League und RB Leipzig erreichte das Halbfinale. 2023 kam Leverkusen ins Halbfinale. Insgesamt konnte so aufgefangen werden, dass in der Champions League, wo ohnehin nur die Bayern und mit Abstrichen Borussia Dortmund konstant erfolgreich sind, kein Team über das Viertelfinale hinauskam.

Die vergangene Saison war dann besonders erfolgreich mit Dortmund im Endspiel der "Königsklasse" und den Bayern im Halbfinale. Außerdem erreichte Bayer Leverkusen das Finale der Europa League.

"Vor allem das enttäuschende Abschneiden der Nachrücker (Hoffenheim, Heidenheim, Stuttgart) zeigt, dass Quantität allein nicht reicht, um im internationalen Vergleich konkurrenzfähig zu bleiben."
— GSN-Fazit zur Europapokal-Saison 2024/2025

Dass in der aktuellen Saison alle deutschen Clubs spätestens im Viertelfinale die Segel streichen mussten, ist umso bitterer, weil gleich acht Teams an den Start gegangen waren. Besonders auffällig war zudem die Zahl der Clubs, die früh ausgeschieden sind - nämlich durch Leipzig und VfB Stuttgart (CL), TSG Hoffenheim (EL) und 1. FC Heidenheim (ECL) gleich vier.

Auch wenn sich eine schwache Saison in der Fünfjahreswertung nicht unmittelbar bemerkbar macht: Durch die Misserfolgsserie hat Deutschland in der kommenden Saison einen Champions-League-Platz weniger als dieses Jahr.

GSN: Viele Clubs können international nicht konstant performen

GSN kommt bei der Auswertung der vergangenen Jahre zu einem klaren Ergebnis: "Nur wenige Clubs sind in der Lage, auf internationalem Niveau über mehrere Runden konstant zu performen. Die Ergebnisse sind zu schwankend, zu stark von Einzelereignissen abhängig - und zu selten von strategischer Konstanz geprägt."

Gerade in der Champions League tun sich die deutschen Clubs schwer. Die Erklärung der Analysten lässt tief blicken: "Die Physis, das Spieltempo und die taktische Variabilität der internationalen Konkurrenz setzen sie regelmäßig unter Druck."

Der deutsche Ansatz ist oft zu eindimensional, nämlich "häufig auf Pressing und Umschaltspiel ausgelegt". Einfache Folge: Bei "tief stehenden, abwartenden Gegnern tun sie sich schwer" - und im Vergleich mit europäischen Top-Clubs sowieso.

Spielen die deutschen Clubs in den falschen Wettbewerben?

Für die meisten Clubs sei die Europa League "die realistischere Bühne". Das zeigen die Erfolge von Frankfurt und Leverkusen. Aber auch im zweithöchsten Wettbewerb fehlt die Konstanz. Und in der Conference League hat noch nie ein Bundesliga-Club überhaupt einmal das Viertelfinale erreicht.

"Das schlechte Abschneiden in der Conference League ist besonders auffällig, weil vergleichbare Clubs aus Belgien, den Niederlanden oder Portugal hier bessere Ergebnisse erzielen."
— Aus der Datenanalyse von GSN

Naheliegend ist deshalb, dass die deutschen Clubs oftmals in den für sie "falschen Wettbewerben" antreten. Womöglich wären RB Leipzig und der VfB Stuttgart in dieser Saison in der Europa League viel besser aufgehoben gewesen. Genauso wie Hoffenheim in der Conference League.

Der Bundesliga fehlt es aktuell in der Breite an Qualität, um so viele Clubs in die "Königsklasse" zu schicken, wie ihr nach der guten Platzierung in der Fünfjahreswertung zustehen. Und die Vereine, die dort starten, fehlen in den unteren Wettbewerben, in denen sie wahrscheinlich deutlich erfolgreicher sein könnten.

Vermeintliche Topteams unterbieten sich gegenseitig

Gerade vor diesem Hintergrund ist es schwierig, dass sich auch in dieser Saison hinter den Bayern und Leverkusen kein Club nachhaltig um die beiden weiteren Plätze in der Champions League bewirbt. Für Rang vier reichen am Ende womöglich unter 60 Punkte. GSN nennt dies "ein seltenes Ereignis".

Dazu passt, dass die tatsächliche Leistung der drittplatzierten Frankfurter bisher "eher Platz 5 entspricht". Da aber die eigentlich stärker eingeschätzten Teams aus Leipzig ("eine deutliche Underperformance") und Dortmund ("in der Theorie ein Spitzenteam, in der Praxis Mittelfeld") noch schwächer sind, reicht es, um in Deutschland aktuell die Nummer drei zu sein.

Das macht nur wenig Hoffnung, dass die Europapokal-Bilanz der Bundesligisten in der kommenden Saison mehr Grund zur Freude geben wird.

Werder Bremen am schnellsten im Schneckenrennen

Die GSN-Berechnung der Abschlusstabelle durch eine eigene KI sieht Dortmund am Ende der Saison noch auf dem fünften Rang (aktuell Siebter) - hinter Bayern, Leverkusen, Frankfurt und Leipzig sowie einen Platz vor Freiburg. Größere Überraschungen blieben demnach also doch aus: Zumal auch Freiburg in den vergangenen drei Jahren zweimal in der Europa League dabei war und jeweils im Achtelfinale stand.

Doch in diesem zähen Wettstreit erscheint nichts unmöglich: Auch GSN erwartet noch einige "wechselnde Platzierungen" an den letzten vier Spieltagen. Und vielleicht ist es dann doch Werder Bremen, das noch an all den anderen Schnecken vorbei in den Europapokal einzieht. Die Grün-Weißen sind nämlich das Team der Stunde: 15 Punkte aus den vergangenen sechs Partien bedeuten in diesem Zeitraum klar den ersten Platz.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 20.04.2025 | 22:50 Uhr