Interview im Trainingslager Darmstadt-Coach Kohfeldt: "Verein hat mich total überrascht"
Seit knapp vier Monaten ist Lilien-Trainer Florian Kohfeldt im Amt. Im Interview blickt er auf die Fortschritte seiner Mannschaft und formuliert das Ziel für die Zweitliga-Rückrunde.
Florian Kohfeldt hat im September 2024 die Position des Cheftrainers bei Darmstadt 98 von Torsten Lieberknecht übernommen. Seitdem ging es steil bergauf, nur das letzte Spiel vor der Winterpause war eine Enttäuschung. Im Interview mit dem hr-sport im Lilien-Trainingslager in El Saler schaut Kohfeldt zurück und voraus.
hessenschau.de: Herr Kohfeldt, wie halten Sie es ganz persönlich mit Neujahrsvorsätzen?
Florian Kohfeldt: Ich habe keine. Es ist kein spezieller Tag, an dem ich mir Dinge vornehme. Ich bin einfach sehr entspannt mit meiner Familie und voller Vorfreude auf das neue Fußballjahr in 2025 reingekommen – aber ohne konkrete Vorsätze.
hessenschau.de: Was wäre denn trotzdem ein Vorsatz für Darmstadt 98 im neuen Kalenderjahr?
Kohfeldt: Wir sollten uns vornehmen, dass wir die Begeisterung, die wir die letzten drei Monate vielleicht auch nach außen, aber vor allen Dingen nach innen entfacht haben, mit einer Mannschaft, die eine große Lernwilligkeit hat, die eine große Begeisterung hat und die mit sehr viel Leidenschaft und Mut Fußball gespielt hat – dass wir diese Stimmung und dieses Mindset weitertragen. Auch wenn es vielleicht mal so Tage gibt wie kurz vor Weihnachten in Regensburg, wo viele Faktoren einfach nicht zusammengepasst haben.
hessenschau.de: Sie sprechen es selbst an: Sie sind mit der möglicherweise schlechtesten Leistung der vergangenen Monate in die Winterpause gegangen – mit der Niederlage in Regensburg. Mussten Sie daran an Weihnachten noch etwas knabbern oder war sie sehr schnell abgehakt?
Kohfeldt: Die war emotional für mich sehr schnell abgehakt, weil sie sehr erklärbar war. Die Woche vor Regensburg war nicht unsere Woche, das muss man einfach so sagen. Wir hatten am Samstagabend das Fußballfest gegen Kaiserslautern, aber im Nachgang war Isac Lidberg verletzt. Dann hatten wir unter der Woche mehrere kranke Jungs und Killian Corredor war bis kurz vor Anpfiff fraglich. Alles in sich keine Gründe, um ein Spiel zu verlieren, aber die ganze Woche war von der Vorbereitung her nicht rund. Die Jungs haben alles probiert, ich kann keinem einen Vorwurf machen, dass er von der Einstellung oder Mentalität nicht dagewesen wäre.
hessenschau.de: Konnten Sie dennoch Lehren aus der Partie ziehen?
Kohfeldt: Man muss schon sagen, dass wir in der Hinrunde extrem gut gepunktet haben, seit wir zusammenarbeiten - gegen die Mannschaften ab Tabellenplatz zwölf bis ganz nach oben. Aber wir haben schon auch einiges liegenlassen gegen Braunschweig, Münster, Ulm, Regensburg, wo wir am Ende drei Punkte holen. Da ist es schon der Auftrag an uns alle, zu überlegen: Brauchen diese Spiele andere Lösungen als die, die wir bislang hatten? Ich war an Heiligabend nicht emotional noch in Regensburg, aber davor habe ich mir schon ein paar Sätze dazu aufgeschrieben, wie wir in Zukunft sowas angehen wollen.
hessenschau.de: Schauen wir trotzdem noch mal zurück auf den September, als Sie in Darmstadt übernommen haben. Wenn man als Trainer in einer Saison übernimmt, hat die Mannschaft in der Regel zuvor ja nicht allzu gut performt. Was war ihr erster Ansatz, was sie in Darmstadt ändern wollten?
Kohfeldt: Der erste Ansatz war dreigleisig: Wenn man eine Mannschaft neu übernimmt, hat man die einmalige Chance zu sagen: Ich schaue mir diese Mannschaft noch mal an und versuche, alle Spieler auf die Position zu setzen, wo wir sie am besten sehen. Und vor allem auch das entsprechende Spielsystem dafür zu wählen, die entsprechende Grundordnung. Das zweite Thema war die Grundausrichtung, wie wir Fußball spielen wollen. Ich glaube, dass wir da als Trainerteam vom ersten Tag an sehr klar waren. Wir hatten das Glück, dass ich auch in der Vorbereitung auf die Übernahme in den Gesprächen mit Paul Fernie ein gutes Gefühl für die Mannschaft bekommen habe. In der Vorstellung, die wir als Trainerteam von Fußball haben, fühlt sich die Mannschaft grundsätzlich sehr wohl und tut es deshalb mit Überzeugung. Und das dritte war, allen, und zwar nicht nur der Mannschaft, sondern dem gesamten Umfeld, zu zeigen: Hey, wir gehen da raus, um Spiele zu gewinnen. Es geht nicht darum, irgendwas zu verhindern. Dieser emotionale Strang war genauso wichtig wie die anderen beiden.
hessenschau.de: Wie ist es denn, wenn man ein Team übernimmt, das eine so lange Zeit mit demselben Trainer gearbeitet hat?
Kohfeldt: Ich weiß, dass Torsten Lieberknecht hier herausragende Arbeit geleistet hat und das über drei Jahre. Dementsprechend ist der Ansatz, auf gar keinen Fall zu sagen: Alles, was ihr gemacht habt, war schlecht. Sondern der Ansatz ist eher, zu sagen: Was von dem, was sehr lange sehr gut funktioniert hat, wollen wir in diese neue Phase mit rübernehmen? Und wo gibt es eigene Wege, bei denen man selbst sagt, dass sie jetzt zur Situation passen? Darauf möchte ich sehr achten. Das ist auch eine Frage von Respekt gegenüber der Arbeit, die vorher geleistet wurde. Es gibt im Fußball kaum eine Konstellation, die über 10, 15 Jahre passt, weil es sich immer wieder verändernde Herausforderungen gibt und dann vielleicht auch neue Ansätze besser wirken. Ob diese Ansätze, die ich eben beschrieben habe, bei jeder Mannschaft der Welt wirken würden? Ziemlich sicher nicht.
hessenschau.de: Sie sind jetzt knapp vier Monate in Darmstadt. Wie hat sich denn ihr Gefühl für die Mannschaft entwickelt?
Kohfeldt: Ich habe es selten erlebt, dass es so ist wie hier. Ich habe von Tag eins an ein gutes Gefühl mit der Mannschaft gehabt und spüre von Tag zu Tag eine stärker werdende Verbindung. Und ein großes gegenseitiges Vertrauen, was ich so im Profibereich vielleicht in Bremen eine gewisse Zeit oder auch in Belgien in gewissen Phasen gespürt habe, aber was ich in dieser Stärke so krass noch nicht hatte. Ich vertraue meinen Spielern sehr, ich vertraue auch vielen Leuten im Staff ganz extrem, als ob wir schon ewig zusammenarbeiten würden. Ich habe auch das Gefühl, dass es andersrum genauso ist. Und das ist echt ein guter Nährboden für eine gute Zusammenarbeit.
hessenschau.de: Man bekommt hier im Trainingslager das Gefühl, dass Sie mit der Mannschaft schon sehr im Detail arbeiten. Ist die Phase des grundlegenden Kennenlernens längst vorbei?
Kohfeldt: Sie ist auf gar keinen Fall längst vorbei. Und sie dauert auch immer weiter an und wird auch andauern, wenn wir zehn Jahre zusammenarbeiten. Wir müssen immer wieder schauen, den Grundweg nicht zu verlieren. Aber ich gebe Ihnen Recht: Die Grundidee, wie wir Fußball spielen wollen, die ist eigentlich jedem klar. In der Tat ist es so, dass wir in den Übungen, Spielformen und Themen schon deutlich mehr auf die kleineren Dinge eingehen können. Da verändert sich auch das Training. Wir trainieren auch nicht mehr alles zusammen als Mannschaft. Alles wird dann aber wieder in einer großen Übung zusammengeführt. Die Mannschaft geht diesen Weg zu 1000 Prozent mit. Sie vertrauen diesem Training, das durchaus auch teilweise mühsam für die Jungs ist.
hessenschau.de: Wir werden in der Rückrunde also noch mehr Kohfeldt-Fußball sehen?
Kohfeldt: Das weiß ich nicht. Ich hoffe, die Wiederholungszahl an Spielen, bei denen man sagt: "Das ist Darmstadt-98-Fußball!" ist noch höher als in der Hinrunde. Denn wir müssen ehrlich sein: Das 5:3 auf Schalke war nicht Darmstadt 98 wie das 5:1 gegen Kaiserslautern. Das 5:1 gegen Kaiserslautern war ein Topspiel, das 2:2 in Hamburg war auch ein Topspiel – fußballerisch. Und ich hoffe, dass wir das in einer noch größeren Wiederholungszahl an den Tag bringen können.
hessenschau.de: Sie sind zum ersten Mal als Trainer in der zweiten Liga. Was sind die Hauptunterschiede zur Bundesliga?
Kohfeldt: Der Qualitätsunterschied zwischen den Mannschaften ist nicht ansatzweise so hoch wie in der Bundesliga oder in den europäischen ersten Ligen. In Belgien ist es ähnlich wie in Deutschland, dass die ersten fünf oder sechs eigentlich manifestiert sind. Und normalerweise ist es utopisch, dass ein Team aus dem Tabellenkeller Bayern München schlägt. Es ist aber überhaupt nicht utopisch, dass abstiegsbedrohte Zweitliga-Mannschaften gegen Teams aus der oberen Hälfte gewinnen. Denn diese Unterschiede gibt es in der zweiten Liga nicht, die sind viel enger. Es gibt einzig und allein zwei bis drei Mannschaften, die von Kader her deutlich über den anderen stehen – Köln, Hertha und der HSV. Die sind von ihren Möglichkeiten und der individuellen Qualität eigentlich sehr weit weg von den anderen. Alle anderen sind im Grunde Woche für Woche in der Lage, sich gegenseitig zu schlagen. Und das macht es so spannend.
hessenschau.de: Wieviel Zweitliga-Fußball haben sie geschaut, bevor Sie nach Darmstadt kamen?
Kohfeldt: Die letzten zwei Jahre in der Tat viel. Nicht unter dem Aspekt, dass ich unbedingt in dieser Liga trainieren wollte, sondern weil der Fußball attraktiv ist. Ich habe für mich nach der Zeit in Wolfsburg entschieden, dass ich Dinge nicht mehr nach Erwartung der Öffentlichkeit mache, sondern danach, worauf ich Lust habe. Ich habe nicht in die zweite Liga geguckt und gesagt: Da muss ich unbedingt mal hin. Sondern das war die Entscheidung: Hier wollte ich hin – nach Darmstadt, unter den Voraussetzungen, die Paul mir genannt hat und die im Übrigen auch eingetreten sind.
hessenschau.de: Wenn jeder jeden schlagen kann, ist für Darmstadt in dieser Saison noch einiges drin, oder?
Kohfeldt: Ja. 17 Spiele, die offen sind.
hessenschau.de: Also keine Attacke auf die Spitze?
Kohfeldt: Ich halte überhaupt nichts davon, solche Dinge offensiv zu formulieren. Aber der interne Anspruch an uns selbst ist, dass wir in der Rückrunde besser punkten als in der Hinrunde. Das können dann 25 Punkte sein – plus x. Es ist auch ganz wichtig, dass man sich davor nicht zurückscheut, solche Sachen zu sagen. Am Ende ist es eh das, woran man gemessen wird. Auf diesem Niveau im Sport ambitionslos zu sein - dann müsste man hier nicht sein. Wir wollen besser sein als in der Hinrunde, das ist unser Ziel.
hessenschau.de: Sie haben diesen Verein jetzt über einige Monate kennengelernt. Sie waren davor in Bremen, Wolfsburg und Eupen. Ist Darmstadt 98 denn vom Umfeld her zu größeren Dingen fähig?
Kohfeldt: Es ist ein Verein, der mich total überrascht hat, wie professionell und infrastrukturell gut er aufgestellt ist. Das, was die Profimannschaft mit dem Stadion und Funktionsgebäude an Bedingungen hat, ist für alle deutschen Ligen wettbewerbsfähig. Ich glaube, dass es trotzdem ein Verein ist, der noch im Wandel ist. Der gerade einen Weg hin zu modernen Strukturen des Profi- und Höchstleistungssports einschlägt - den Staff weiter ausbaut, mehr Expertenwissen reinholt. Das sind Themen, wo Strukturen und Entwicklung noch vorangehen müssen, damit man dauerhaft wettbewerbsfähig ist. Aber ich glaube schon, dass man hier einen Kosmos und ein Umfeld schaffen kann, dass es ein realistisches Szenario ist, dauerhaft zumindest zu den besten 25 Mannschaften in Deutschland zu gehören.
hessenschau.de: Man hört in diesem Gespräch raus, dass Ihnen der Verein Darmstadt 98 so richtig taugt.
Kohfeldt: Ja, das kann man so sagen. Es ist wirklich sehr schön, hier zu sein. Das Schönste, was ich spüre: Ich habe das Gefühl, dass es Sinn macht, was ich hier mache. Dass es auch für den Verein Sinn macht, was ich versuche, hier einzubringen. Dass es nicht auf eigene Rechnung ist, sondern dass es eine Gesamtentwicklung mit anstößt. Und das ist etwas, was mich antreibt und was ich total toll finde. Und ja, deshalb taugt es mir.
Das Interview führte Nico Herold.