
Lilien-Präsident hört auf Hölle, Himmel und eine Kirsche – Fritschs beachtliche Ära bei Darmstadt 98
Der scheidende Präsident Rüdiger Fritsch hat Darmstadt 98 stabilisiert und von einem gefallenen in einen etablierten Proficlub verwandelt. Den Schritt in den fußballerischen Ruhestand hat er sich verdient, das Abschiedsgeschenk muss nun vom Team kommen.
Es war über Jahre hinweg ein ungeschriebenes Gesetz beim SV Darmstadt 98, dass Rüdiger Fritsch immer dann auftauchte, wenn es wirklich wichtig wurde. Bei verhängnisvollen Niederlagen, großen Erfolgen oder Trainer-Wechseln suchte der Präsident den Weg in die Öffentlichkeit und scheute sich nicht vor klaren Aussagen. Hin und wieder schoss er dabei zwar übers Ziel hinaus – Emotionen gehören im Fußball eben auch dazu. Sobald Fritsch irgendwo auftauchte, war aber immer klar: Jetzt sollte man besser genau hinhören.
Im kommenden Oktober ist damit jedoch Schluss. Fritsch, das teilten die Lilien am Montagabend mit, wird nach knapp 13 Jahren als Präsident und mehr als 17 Jahren im Präsidium der Südhessen nicht erneut kandidieren. Der inzwischen 63-Jährige zieht sich aus dem Fußball-Geschäft zurück und konzentriert sich fortan auf das Leben außerhalb des Böllenfalltor-Stadions. "Ich freue mich, ab Herbst wieder Dinge tun zu können, die nicht ausschließlich dem Fußball geschuldet sind", sagte er. Ein Schritt, zu dem man gratulieren kann.
Fritsch begann ganz unten
Schon rund sechs Monate vor Ablauf seiner letzten Amtszeit lässt sich konstatieren, dass Fritsch seine Arbeit mehr als erledigt hat. Als der Jurist, der im normalen Leben als Anwalt für Wirtschaftsrecht in einer Frankfurter Kanzlei arbeitet, im Jahr 2008 bei den Lilien anheuerte, drückten den damaligen Viertligisten Schulden in Millionenhöhe. Die Südhessen dümpelten in der Oberliga Hessen herum. Böse Zungen behaupten, dass sich damals mehr Steuerfahnder und Insolvenzverwalter am Böllenfalltor aufhielten als gute Fußballer. Es waren düstere Zeiten.
Da auch in Südhessen jedoch auf Schatten Licht folgt und auf den damaligen Präsidenten Hans Kessler im Jahr 2012 Rüdiger Fritsch, ist der folgende Aufstieg fest mit der Person Fritsch verbunden. Kessler stemmte sich zunächst gemeinsam mit Fritsch und vielen weiteren Unterstützern erfolgreich gegen den Untergang und stand auch beim Wiederaufstieg in die 3. Liga noch auf der Kommandobrücke. Das oft beschriebene Darmstädter Märchen, das die Lilien in den Folgejahren sogar für insgesamt drei Jahre in die Bundesliga spülte, verantwortete dann aber Fritsch.
Nun war es sicher nicht der körperlich eher staksig wirkende Fritsch selbst, über den keine fußballerischen Karriereschritte bekannt sind, der die Lilien auf der Bielefelder Alm in der Nachspielzeit in die 2. Liga schoss. Das Freistoßtor gegen St. Pauli zum Sprung in die Bundesliga erzielte auch ein anderer. Und angesichts des massig aufgebrauchten Glücks, das die Lilien auf ihrem unglaublichen Weg hatten, hätte sicher auch alles anders kommen können. Fritschs Verdienst, und das ist das Entscheidende, geht aber weit über den sportlichen Erfolg hinaus.
Fritsch mit ganzem Herzen eine Lilie
Obwohl Juristen oft vorgeworfen wird, zu sachlich, eintönig und distanziert durchs Leben zu gehen, war Fritsch in seiner Amtszeit genau das alles nicht. Er verkörperte stets eine glaubhafte emotionale Bindung zum Verein und ließ sich hin und wieder sogar zu sehr von seinen Gefühlen leiten.
Als Erfolgstrainer Dirk Schuster im Sommer 2016 seinen Abgang in Richtung Augsburg verkündete, flogen intern erst die Fetzen, dann zerbrach eine Männerfreundschaft. Als die Lilien im Mai 2023 noch während der laufenden Saison zur Aufstiegsfeier nach Mallorca aufbrachen, ließ sich Fritsch dazu hinreißen, den letzten Spieltag und die mögliche Meisterschaft offiziell abzuschenken. Sein Spruch: "Scheiß auf die Kirsche, wir haben die ganze Torte", ist ebenso streitbar wie inzwischen legendär.
Was beide Dinge jedoch relativiert und gleichzeitig Fritsch und den SV Darmstadt 98 gut beschreibt: Schuster und Fritsch sprachen sich irgendwann aus, Schuster kehrte nach schwieriger Zeit in Augsburg sogar zu den Lilien zurück. Auf der damaligen Vorstellungs-Pressekonferenz betonten beide die gegenseitige Zuneigung und die gemeinsame Liebe für den Verein. Für den im Überschwang der Gefühle herausposaunten Kirsche-Spruch leistete Fritsch später öffentlich Abbitte. Man schlägt sich, man verträgt sich, hin und wieder passieren Fehler. So ist das im Fußball, und genau das macht es aus.
Fritsch saniert die Lilien
Neben all diesen Anekdoten wird die Ära von Fritsch aber vor allem wegen zahlreichen greifbaren und mit Steinen gebauten Errungenschaft in Erinnerung bleiben. Das altehrwürdige Stadion am Böllenfalltor hat in den vergangenen Jahren zwar etwas an Charme eingebüßt und ist nach einer Komplett-Renovierung nicht mehr wirklich wiederzuerkennen. Der Standort Darmstadt ist dank Fritsch und dessen Weitsicht aber komplett im Profifußball angekommen und auch dank der neugeschaffenen Infrastruktur konkurrenzfähig.
Das Trainingszentrum gehört nicht nur laut Trainer Florian Kohfeldt zu den bestausgestatten in Deutschland. Die Zeiten, in denen die Darmstädter Spieler an einem kultigen, aber wenig hilfreichen Terrarium in Richtung Spielfeld stolperten und nicht selten über kalte Duschen klagten, sind lange vorbei. Der von Fritsch eingeleitete Modernisierungsprozess zahlt sich aus und ist beinahe überall bei den Lilien spürbar. Der einstige wankende Riese ist erwachsen und seriös geworden, die Finanzen stimmen ohnehin, die Mitgliederzahlen steigen.
Team muss sich für den Präsidenten strecken
Fritsch hat in den vergangenen Jahren stets betont, dass die Lilien langfristig zu den besten 20 Clubs Deutschlands gehören wollen und damit gleichzeitig Druck aufgebaut und stets ein Hintertürchen offengelassen. Bundesliga wäre schön und ist immer mal drin, ein ambitioniertes Zweitliga-Dasein ist nach der turbulenten Vergangenheit aber auch schon ein Erfolg.
Eine clevere Vorgabe, die mit Blick auf die derzeitige Tabelle aber auch nur eine Schlussfolgerung zulässt: Der aktuelle 13. Platz ist nicht das, was sich Fritsch und die Lilien vorstellen. Die Mannschaft und Trainer Kohfeldt sollten deshalb alles tun, um die Saison zu einem vernünftigen Ende zu bringen und dann den Präsidenten würdig zu verabschieden.
Rüdiger Fritsch hat seine Arbeit getan, etwas mehr sportlicher Erfolg wäre für ihn allemal verdient. Sein Schritt in den fußballerischen Ruhestand ist es ohnehin.