Handball-Spitzenreiter Kann die MT Melsungen wirklich Meister werden?
Die MT Melsungen surft in Liga und Europapokal auf der Erfolgswelle. Die lange Verlachten werden nun auch von den Gegnern gefürchtet. Eine Analyse der Erfolgsfaktoren und der Chancen auf den ganz großen Wurf.
Als die Spieler und Trainer nach dem 31:23-Sieg der MT Melsungen über den Meister SC Magdeburg am Samstag die Kabine verließen, hatten sie eine klare Meinung: Die Nordhessen sind mittendrin im Meisterschaftskampf! Die Arbeit von und das Festhalten an Coach Roberto Garcia Parrondo zahlen sich nun aus.
Allein: Jene Stimmen kamen allesamt vom Gegner, nicht von der MT. SCM-Trainer Bennet Wiegert sagte am ARD-Mikro: "Da müssen wir kein Geheimnis draus machen, klar sind sie mit in der Verlosung. Das waren heute verlorene 'big points' bei einem direkten Konkurrenten." Und Magdeburgs Nationalspieler Lukas Mertens ergänzte: "Das, was Melsungen schon letztes Jahr gespielt hat, ist wirklich sehenswert. Sie sind jetzt die Gejagten. Das haben sie über Jahre mit Parrondo sehr gut gemacht."
Plötzlich ernstgenommen
Das Lob vom Rest der Liga ist auch deswegen besonders, weil die MT ansonsten eher von außen belächelt wurde: als Klub, der trotz seiner immensen finanziellen Möglichkeiten immer wieder an sich selbst scheitert. Noch vor der Partie gegen Magdeburg hatten viele Experten davon gesprochen, dass die Melsunger Erfolgswelle ähnlich abebben würde wie noch in der vergangenen Saison nach dem Traumstart. Doch die Zeiten haben sich geändert - viele Faktoren sprechen für eine neue Stärke:
Faktor Torhüter
Es war eine der lustigsten Szenen der Saison: Nebojsa Simic lief gegen Magdeburg nach einer Parade zurück zu seinem Tor und deutete in einem Laienschauspiel an, den Kasten wie einen Schrank abzuschließen. Kurz darauf nahm er den nächsten freien Ball weg. 20 Paraden zeigte der Schlussmann und ließ nach der Gala gegen Magdeburg auch die nächste Ausnahmeleistung im Europapokal folgen.
Sein Kollege Adam Morawski ließ gleichzeitig die vom Strich so routinierten Magdeburger verzweifeln, er parierte ihre Siebenmeter. Eigentlich spielt die MT gar mit drei Torhütern, wenn man sich das Pensum und die Emotionalität von Torwarttrainer Carsten Lichtlein am Seitenrand anschaut.
Faktor Abwehr
Die Torhüter können aber auch deswegen glänzen, weil die Abwehr mit den Kanten Adrian Sipos oder David Mandic gut zustellt. Das gefürchtete eins-gegen-eins des SCM erstickten sie mit Körperlichkeit und Stopp-Fouls im Keim. "Das ist unsere große Stärke, wir sind vor allem in der Defensive eingespielt. Unser Trainer bereitet die Jungs perfekt auf jeden Gegner, jede Aktion vor", sagt Sportvorstand Michael Allendorf. Melsungen kassierte von allen Mannschaften die wenigsten Gegentore.
Faktor Ausgeglichenheit
Gegen Magdeburg überragte wieder einmal Dainis Kristopans, doch insgesamt trugen sich zehn verschiedene Torschützen in die Liste ein. "Das ist Teil unserer Kaderplanung", bergündet es Allendorf.
Hinzu kommt: Den Europapokal empfinden sie in Melsungen nicht als Last, sondern als Möglichkeit, vielen Akteuren Spielzeit und Selbstvertrauen zu geben. Unter der Woche gegen Porto beispielsweise erzielte Nikolaj Enderleit die meisten Tore. "Wenn der Gegner einen zumacht, kommt der andere und macht es kaputt", sagt Simic treffend.
Faktor Teamgeist
Auffallend beim Sieg gegen Magdeburg zudem: Während die Gäste-Bank nur vereinzelt "aus dem Sattel" ging, stand die Melsunger Bank bei jeder gelungenen Aktion komplett. Weit nach der Partie schlenderte die Mannschaft im Team-Dress zur Feier mit Sponsoren und Fans - geschlossen in Kleidung und Auftritt. Simic drückt es so aus: "Wir spielen ohne Stress mit Wille und Kampf. Seit letztem Jahr sind wir wie eine Familie."
Nun Meisterkandidat?
An der Zielsetzung wollen die Melsunger aber noch nichts ändern - zumindest öffentlich. Sowohl Allendorf als auch Simic sehen die Mannschaft noch in der Entwicklung. "Vielleicht ist der vierte oder dritte Platz möglich, aber von der Meisterschaft zu reden - das wäre noch zu früh", sagt Simic.
Was gegen die MT sprechen könnte: der Fluch der guten Tat. Nach den Erfolgen stellen sich die Mannschaften wohl noch mehr auf die MT ein. Zudem wecken die Spieler der Nordhessen Begehrlichkeiten. Bei Elvar Örn Jonsson deutet nach hr-sport-Information viel auf einen Wechsel eben nach Magdeburg hin, auch wenn der Rückraumspieler auf Nachfrage nach einem Kontakt zum SCM ausweicht: "Es ist immer schön, wenn man mit so einem tollen Verein in Verbindung gebracht wird."
Nächstes Spiel in Eisenach
Die "großen" Klubs leiden derzeit noch unter großen Verletzungssorgen und könnten im Laufe der Saison mit voller Mannstärke die MT verdrängen. Außerdem verfügen Teams wie Magdeburg noch über mehr Erfahrung in der Crunchtime einer Spielzeit. Von den Top4 aber hat Melsungen bereits drei geschlagen, Flensburg (der Vierte im Bunde) kommt in zwei Wochen in der Liga und am 19.12. noch einmal zum Pokalspiel.
Zunächst aber steht am Freitag (19 Uhr) die Reise zum "Hexenkessel" von Eisenach an - es ist eine der unangenehmsten Auswärtspartien in der Liga. Auch dort werden Meisterschaften entschieden.