Flucht mit Koffer und Paddel Flucht mit Koffer und Paddel: Kanu-Talent aus der Ukraine trainiert in Kasseler Verein
Oleksandr Samofalov ist vor dem Krieg in der Ukraine geflohen, im Gepäck sein Kanupaddel. In seiner Heimat war er Leistungskanute, sein Sportgerät ein Renn-Canadier. Jetzt trainiert er in einem Kasseler Verein. Für die Zukunft hat er ehrgeizige Pläne.
Einen kleinen Koffer und ein großes Paddel - mehr hat Oleksandr Samofalov nicht mitgenommen, als er im Sommer aus der Ukraine geflohen ist. Seine Mutter hat den 17-Jährigen weggeschickt, damit er nicht in den Krieg ziehen muss. 2.300 Kilometer trennen ihn von seinem Zuhause. Sein Paddel hat er aus emotionalen Gründen mitgenommen. "Mit dem Paddel habe ich in der Ukraine gewonnen. Das ist wichtig für mich und ich will mich nicht davon trennen", offenbart der junge Mann.
Samofalov ist als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen und stand eines Tages beim Verein Kanu-Sport-Kassel (KSK) vor der Tür. Rennsportwart Olaf Schirakowski erinnert sich an die Situation, als der Kanute vor ihm stand und mittrainieren wollte. "Das war schon sehr ergreifend", erzählt er. Bis dahin habe er nur aus den Medien erfahren, dass auch Sportler vor dem Krieg fliehen müssen. So "face to face" sei das eine ganz andere Erfahrung gewesen.
Trainer Olaf Schirakowski
Deutsch lernen, Sport studieren, für die Nationalmannschaft starten
Im Verein wird Samofalov Aleks genannt - von Trainer Schirakowski und Trainingspartnern wie Miriam Scholl und Tim Ruckdäschel. Beide sind jünger als Aleks und wollen vor allem eins: von dem älteren Sportler lernen. Für den ist das gemeinsame Training in vielerlei Hinsicht wichtig. Er möchte so schnell wie möglich Deutsch lernen und Sport studieren.
Als Sportler will er so weit wie nur möglich kommen. Seit er klein ist, hat er im Boot auf dem Dnjepr, seinem Heimatfluss, trainiert. Er fährt Renn-Canadier, im Einzel, Zweier oder Vierer. Dabei kniet er auf dem Boden und stützt den Hintern auf einem Sitzbrett ab. Mit dem Stechpaddel treibt er das Boot auf einer Seite an, mit einer Paddeldrehung bestimmt er die Richtung.
In der Ukraine ein großes Talent
Eine für die Region seltene Sportart, erklärt die ehemalige KSK-Vorsitzende Andrea Sturm. Es gebe in dieser Disziplin keinen weiteren Sportler im Umkreis von 100 Kilometern, der nächste trainiere in Hannover. In der Ukraine hat Aleks zu den Besten seiner Altersklasse gehört und gilt als großes Talent. Auf nationaler Ebene hat er mehrere Preise abgeräumt.
Im Blick hat er ein ehrgeiziges Ziel: einen Platz in der Nationalmannschaft - der Ukraine oder Deutschlands. Um in der obersten Liga mitzuspielen brauche man viel Talent und Ehrgeiz, heißt es aus dem Verein, beides bringe Aleks mit. Bei einer Regatta in Hannoversch Münden (Niedersachsen) ist er an den Start gegangen - kurz nach seiner Flucht - und hat immerhin den zweiten Platz belegt. In der nächsten Saison plant der KSK fest mit ihm.
Für den Verein eine Kleinigkeit, für Aleks die Welt
"Training ist Leben", sagt Aleks. Alles hänge von seiner sportlichen Leistung ab und davon, wie er sich in Deutschland integrieren könne. Seiner Familie zu Hause geht es gut, in der Region wird gerade nicht gekämpft. Doch sicher sei man nie, berichtet Aleks: "Du bist in der Ukraine immer in Gefahr, in jedem Moment kann etwas bei uns landen". Dennoch möchte er irgendwann zurückkehren.
Sturm ist beeindruckt von dem jungen Ukrainer. Wenn jemand so ehrgeizig sei, so viel Talent habe, dann müsse man das unterstützen, sagt sie und ergänzt: "Für uns war es eine Kleinigkeit, aber für Aleks war es die Welt, dass wir ihm das hier ermöglichen konnten, weiterzumachen".
Gesponsertes Boot fürs Training auf der Fulda
Und so trainiert Aleks auf der Fulda, in Nordhessen. Ein Händler hat sein Boot gesponsert, es ist eine Leihgabe für das Training. Bis April darf Aleks das Boot behalten. Es ist auf seine Körpergröße und sein Gewicht zugeschnitten. Was danach kommt, ist unklar. Mehr als 2.500 Euro kostet ein Renn-Canadier, der Verein hat jetzt einen Soli-Fond eingerichtet, sammelt Spenden. Ob das Geld reichen wird, ist unklar.
Lediglich ein neues Paddel braucht Aleks im April nicht. Denn das hat er ja aus der Ukraine mitgebracht.